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Fingerzeig auf Fussballverbands-Bosse

Spuckaffäre Alex Frei: Untersucherungsleiter Ulrich Fässler äussert sich vor den Medien. Keystone

Ein am Dienstag veröffentlichter unabhängiger Bericht übt in Sachen "Spuckaffäre Frei" schwere Kritik an der Delegation, die während der Euro 2004 in Portugal weilte.

Auch wenn die Verantwortlichen des Schweizerischen Fussballverbandes nicht gelogen hätten, sei ihr Verhalten wenig professionell gewesen.

Die Verantwortlichen des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) geraten im Bericht des Juristen Ulrich Fässler zur “Affäre Frei” unter Druck.

Laut dem Schlussbericht soll Kommunikationschef Pierre Benoit die Verantwortung für die verhängnisvolle Entwicklung tragen.

Laut Bericht trifft der Vorwurf, die offiziellen SFV-Delegationsmitglieder hätten gelogen und Alex Frei manipuliert, nicht zu. Sie hätten aber, so Fässler im Schlussbericht, “den Sachverhalt bei frühzeitiger, vertiefter und sorgfältiger Analyse der zur Verfügung stehenden Informationen erkennen müssen”.

Das gelte insbesondere für den Präsidenten Ralph Zloczower und den Chef der technischen Delegation, Ernst Lämmli.

Fässler, Rechtsanwalt und Luzerner Regierungsrat von 1990 bis 2003, und unabhängiger Leiter der vom SFV beantragten Untersuchung, übt schwere Kritik an der Delegation des SFV: Sie sei nicht auf den Portugal-Aufenthalt vorbereitet gewesen.

Der Bericht bemängelt zudem Kompetenzkonflikte und Führungsfehler. Zudem seien keine Pflichtenhefte erstellt worden.

Niemand suchte das Gespräch mit Frei

Die Wahrheit habe die SFV-Spitze jedoch nicht gekannt, folgert Fässler. Die Verantwortlichen hätten schneller und professioneller handeln können und müssen.

Schwer nachvollziehbar ist für Fässler, dass niemand aus der SFV-Delegation das Gespräch mit Alex Frei suchte.

Ausgelöst habe die Affäre die Ratsuche von Alex Frei bei Pierre Benoit und die darauf folgende Absprache zwischen den beiden, den wahren Sachverhalt geheim zu halten und konsequent zu bestreiten.

Ab diesem Zeitpunkt seien die beiden Gefangene ihrer eigenen Strategie gewesen, heisst im Bericht. Benoit kannte in der kritischen Phase den wahren Sachverhalt.

Er habe es jedoch unterlassen, den SFV-Präsidenten Ralph Zloczower, die Mitglieder der offiziellen und der technischen Delegation zu informieren.

Er habe seine Loyalitäts-Pflichten gegenüber dem Verband verletzt und damit erheblichen Schaden verursacht. “Als Kommunikationschef hatte er, mangels Führung, grossen Freiraum. Seine Kompetenzen waren nicht klar abgesteckt”, so Fässler.

TV-“Spuckbilder”: Zufallsfund eines Technikers

Das Untersuchungsergebnis zeige ausserdem, dass Pierre Benoit in der kritischen Zeit auf telefonische Anfrage beim Schweizer Fernsehen SF DRS Auskünfte bekam, aus denen er schliessen durfte, dass es keine weiteren belastenden Bilder gäbe.

Tatsächlich existierten aber Bilder, von denen auch die Verantwortlichen von SF DRS zu diesem Zeitpunkt noch nichts wussten. Die Bilder seien ein Zufallsfund eines Technikers gewesen.

“Der Verband wurde rund eine Stunde vor der ersten Ausstrahlung der Bilder über deren Vorhandensein informiert, was ausserordentlich knapp war. Dass diese Bilder – in der gegebenen Situation – noch am selben Tage ausgestrahlt werden mussten, war zwingend”, steht im Bericht.

“Dass man dem Verband mit der kurzfristigen Ausstrahlung kaum eine Chance zur sorgfältigen Beurteilung der neuen Situation gab, liegt ebenfalls auf der Hand.”

SF DRS: Zur Ausstrahlung verpflichtet

Es wäre ohne Einschränkung der Medienfreiheit und Informationspflicht möglich und ein Akt der Fairness gewesen, dem Verband mehr Zeit zu geben, schreibt Fässler.

Die Kritik, SF DRS hätte die belastenden Bilder gar nicht ausstrahlen dürfen, sei fehl am Platz. “SF DRS war medienrechtlich und gemäss den eigenen publizistischen Leitlinien zur Veröffentlichung verpflichtet”, meint Ulrich Fässler.

“Zeitpunkt sowie Art und Weise der Ausstrahlung sind allerdings diskutabel.”

Lehre aus der Affäre

“Aus dem Verhalten der SFV-Delegation in Portugal sind Symptome für Schwächen und Probleme in den Bereichen Führung, Teamverhalten, Kommunikation und Kompetenz-Abgrenzungen zu erkennen”, resümiert Fässler.

Bei folgenden Punkten sieht der Untersuchungsleiter für die Führung des SFV Handlungsbedarf: Konzeptionelle Fragen müssten beantwortet, die anstehenden Reformprojekte umsetzungsreif gemacht und zur Entscheidung geführt werden.

Weiter seien die Pflichtenhefte, Zuständigkeiten und Kompetenzen im Zentralvorstand und im technischen Bereich zu prüfen.

Künftige Einsätze von Delegationen bei grossen Anlässen müssten sorgfältig geplant werden, mit Programmen, Aufgaben-Zuteilungen und Pflichtenheften.

Schneller Entscheid um Benoit vonnöten

Schliesslich sei das Kommunikationskonzept zu überprüfen und auch auf ausserordentliche Situationen auszurichten. Weiter wird dem SFV in Fässlers Schlussbericht empfohlen, den Zentralvorstand mit neuen Kräften zu ergänzen.

Der Zentralvorstand des SFV habe ein Durchschnittsalter von 65 Jahren. Das kann als indirekte Rücktrittsforderung interpretiert werden.

Auch über die weitere Zusammenarbeit mit Kommunikationschef Pierre Benoit müsse der SFV kurzfristig entscheiden.

swissinfo und Agenturen

17. Juni 2004: Alex Frei spuckt dem Engländer Steven Gerrard ins Genick.
18. Juni: Nach Vorwürfen aufgrund von TV-Bildern im deutschen Fernsehen bestreitet Frei, gespuckt zu haben.
20. Juni: Während Frei ein erstes Mal von der UEFA entlastet wird, strahlt SF DRS neue Bilder aus, die das Spucken bestätigen.
15. Juli: Frei wird von der UEFA für drei Tage freigestellt.

Ein unabhängiger Untersuchungsbericht von Ulrich Fässler entlastet die Schweizer Fussball-Verantwortlichen vom Vorwurf der Lüge.

Er wirft ihnen jedoch während der EM in Portugal unprofessionelles Verhalten vor.

Besonders die Absprache von Kommunikationschef Pierre Benoit mit Alex Frei sei verhängnisvoll und schädigend gewesen.

Der Bericht drängt den Fussballverband, sich rasch über eine weitere Zusammenarbeit mit Benoit zu entscheiden.

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