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Arbeitsmarkt will keine schwierigen Jungen

Mit ihnen geht der Arbeitsmarkt hart um. Ex-press

Im April wird die 4. Revision des Arbeitslosenversicherungs-Gesetzes (AVIG) wirksam. Vor allem Junge ohne Job müssen befürchten, nach der Arbeitslosenkasse vermehrt direkt bei der Sozialhilfe zu landen. Wie aber steht es mit ihrer Integration in den Arbeitsmarkt?

Am Ende ihrer obligatorischen Schulzeit fehlt jährlich 2000 bis 2500 Jugendlichen in der Schweiz der Zugang zu einer weiteren Schulbildung oder zu einer Arbeit. Weiteren 15’000 Jungen fehlt ein Berufsausweis oder ein Diplom.

Damit begleitet sie gleich zu Beginn ihrer beruflichen Zukunft ein grosses Risiko. Denn als Bedingung für einen Eintritt in den Arbeitsmarkt gilt ein Lehrabschluss, ohne den man chancenlos bleibt. Wer ihn nicht besitzt, läuft Gefahr, keine Beschäftigung zu finden und während langer Zeit auf Sozialhilfe angewiesen zu bleiben.

Risikokategorie Problemjugendliche

Um was für Jugendliche handelt es sich dabei? Und weshalb sind ihnen die Tore zum Arbeitsmarkt verschlossen? “Es handelt sich um Jungen und Mädchen, die eine Vielzahl an Problemen mit sich tragen”, sagt Elisabeth Allemann Theilkäs, Verantwortliche für die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BIZ) Bern-Mittelland.

“Jugendliche also, die den zur Zeit hohen Erwartungen der beruflichen Ausbildung nicht entsprechen. Die Arbeitswelt ist ihnen nicht gerade zugetan und gibt ihnen oft nicht einmal die Chance, eine Lehre zu beginnen.” Dabei wäre es wichtig, so Allemann, allen diese Möglichkeit zu geben, zum Beispiel mittels einer erleichterten Berufslehr-Version.

Das Prekäre ihrer beruflichen Situation spiegelt sich in der Sozialempfänger-Statistik des Bundes: Hier gehört die Kategorie der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren zu jener, die am stärksten auf Sozialhilfe angewiesen ist. 2009 waren es 4,5% der jungen Erwachsenen, drei Viertel davon ohne Berufsdiplom.

Für rund 90% der Schweizer Schulabgänger (nach dem obligatorischen Schulabschluss) verläuft der Übergang von der Schule zur Berufslehre ohne Schwierigkeiten. Für die verbleibenden 10% sind verschiedene Projekte entwickelt worden, damit auch ihre Integration ins Berufsleben besser garantiert werde.

Zum Beispiel das Case Management Berufsbildung: Diese Dienstleistung wendet sich besonders an die Risikogruppe unter den Jungen. Dabei werden sie von der ersten Oberstufen-Klasse bis zum 24. Altersjahr begleitet. Ein Verantwortlicher achtet dabei darauf, dass die Aktivitäten der verschiedenen Behörden während der Berufs-Auswahl und der Lehre geplant und koordiniert werden.

“Bis 2015 möchten wir damit den Prozentanteil jener, die den Übergang zur Berufslehre bis zum Diplom schaffen, auf 95% steigern”, so Allemann Theilkäs.

Der Kanton Bern hat diese Quote schon geschafft. “In unserem Kanton bleiben nur 500 von 10’000 Jugendlichen, die den Schulabschluss gemacht haben, ohne Diplom. Das entspricht 5%.” Noch 2008 habe diese Quote innerhalb der 15- bis 24-jährigen Sozialhilfebezüger in Bern 5,8% betragen – ein Anteil, der klar über dem damaligen Landesdurchschnitt von 3,9% lag.

Revision – Gefahr oder Stimulus?

Das Stimmvolk hat der vierten Revision des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung (ALV) im September 2010 zugestimmt. Die Neuerungen der Arbeitslosenversicherung werden ab 1. April 2011 in Kraft gesetzt. Die Folge wird sein, dass das Risiko der Problemjugendlichen wächst, Sozialhilfe-Bezüger zu werden.

Es besteht die Befürchtung, dass die jungen Arbeitslosen – im Februar 2011 waren es 21’280 – direkt von der Arbeitslosenkasse zur Sozialhilfe wechseln. Denn die Revision reduziert die Bezugsdauer von noch 260 auf neu 200 Tage und führt eine Wartezeit von 120 Tagen ein für jene, die keine Beiträge einbezahlt haben (also für Schulabgänger).

Dies jedenfalls befürchtet die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS): “Es ist schwierig, den Effekt abzuschätzen, den die Revision auf die Anzahl der Sozialbezüger haben wird”, sagt Dorothee Guggisberg von der SKOS. “Wir gehen aber für die kommenden Jahre von einer Zunahme in der Grössenordnung von 30% aus.” Am meisten betroffen werden die jungen Erwachsenen sein und jene Leute, die kurz vor der Pensionierung stehen.

Für Elisabeth Allemann Theilkäs stellt sich das Problem so nicht: “Mit der Revision müssen sich die Jungen zuerst dem Arbeitsmarkt stellen, was für sie von Vorteil ist. Für jene Lehrlinge, die im August mit dem Diplom abschliessen, genügt die revidierte Anzahl der Bezugstage, denn die Erfahrung zeigt, dass nach 6 bis 8 Monaten die meisten von ihnen eine Arbeit gefunden hat.”

Ausserdem würden die in den vergangenen Jahren eingeführten zusätzlichen Beschäftigungsmassnahmen wie ein Motivations-Halbjahr oder Berufs-Praktika den Eintritt in die Welt der Arbeit verbessern.

2009 gab es in der Schweiz 230’019 Menschen, die Sozialhilfe bezogen, 3% der Bevölkerung.

Ein Drittel davon waren Working Poor, also Menschen, die trotz Erwerbsarbeit nicht vor Armut abgesichert sind; ein Drittel Personen ohne berufliche Aktivität und ein Drittel Arbeitslose.

Sozialhilfe ist vornehmlich ein urbanes Phänomen. Ein Viertel der Bezügerinnen und Bezüger wohnt in fünf Städten mit über 100’000 Einwohnern. Die Zahl ist in diesen Städten doppelt so hoch wie der schweizerische Durchschnitt. In den Gemeinden , die weniger als 2000 Einwohner haben, bezieht lediglich ein Viertel davon Sozialhilfe.

Laut dem Statistischen Amt hat sich die Zahl der Sozialhilfe-Bezügerinnen und –Bezüger 2009 in allen Alterskategorien erhöht. Dies ist auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen, die sich erst mit einer gewissen Verspätung auf die Sozialhilfe auswirkte.

Den höchsten Anteil an Sozialhilfe machen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zu 25 Jahren aus. 2009 wurde ein starker Zuwachsvon Sozialhilfe-Bezügerinnen und -Bezügern kurz vor dem Pensionsalter (56-64) registriert. Für Menschen in dieser Alterskategorie ist eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt schwierig. Deren Quote beträgt zur Zeit 2,2%, eine höhere Anzahl als 2004.

Versicherte zwischen 25 und 55 Jahren: Um maximale Arbeitslosenunterstützungs-Beiträge beziehen zu können (400 Taggelder) sind mindestens 1,5 Jahre Beitragszahlungen an die Arbeitslosenkasse erforderlich; bisher genügte ein Jahr Beitragszahlungen. Wer lediglich ein Jahr einbezahlt hat, erhält ab 1. April  nur noch 260 Taggelder.

Versicherte über 55 Jahren: Maximalbeiträge (520 Taggelder) erhalten nur jene, die für mindestens zwei Jahre einbezahlt haben; bisher genügten Einzahlungen  für 1,5 Jahre.

Versicherte unter 25 Jahren: 200 Taggelder für jene, die ein Jahr einbezahlt haben (bisher 260 Taggelder); jene, die nicht einbezahlt haben, erhalten lediglich 90 Taggelder.

(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Kuenzle)

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