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Pornografie ist mein Beruf

Zoë Stähli bei der 100. Erotik- und Pornografie-Ausstellung in der Weinhandlung der Familie. Christian Schwarz

Ihr Vater wird "Pornokönig" genannt, jener Mann, der die Pornofilmindustrie in der Schweiz lanciert hat. Tochter Zoë Stähli, eine unkonventionelle, begeisterte Unternehmerin, führt in Zürich seit einigen Jahren eine Galerie für pornografische Kunst.

“Als ich klein war, durften meine Schulkolleginnen und -kollegen nicht zu mir nach Hause kommen. Ihre Eltern dachten, mein Vater sei ein Monster. Er hätte ‘ein schlechtes Vorbild’ abgegeben. Ich dagegen war immer stolz auf ihn, auf seinen Mut und auf seinen Unternehmungsgeist.”

Es ist 10 Uhr morgens, und Zoë Stähli empfängt swissinfo.ch in ihrem Büro im Kreis 4, eines der Rotlichtmilieus in Zürich. Sie hat staubige Hände und einen alten Filmprojektor unter dem Arm. Sie entleert den Keller, ein baufälliges Museum der Pornografie. Es tauchen alte Filmstreifen aus den 70er-Jahren auf und ein Souvenir von einer Filmklappe aus anderen Zeiten.

In diesen Gemäuern haben die verschiedenen Gesellschaften ihren Sitz, die von Zoës Vater Edi Stöckli seit Ende der 70er-Jahre gegründet wurden: eine Produktions- und Verleihfirma, eine Internet-Plattform, acht Pornofilm-Kinosäle, ein Online-Museum für erotische Kunst und eine Kunstgalerie. Edi Stöckli ist Mitglied des Gründungsrates des Schweizerischen Filmarchivs und auch bekannt für die Förderung von grossen Schweizer Filmen wie Giulias Verschwinden oder Sennentuntschi. Aber für lange Zeit galt er als der Schweizer “Pornokönig”.

Tochter Zoë hat die Aufgabe, den artistischen Aspekt der Familienindustrie zu führen. Ihr Büro ist eine Miniaturgalerie: an den Wänden pornografische Bilder, eine Buchhandlung voller Kataloge und überall herumliegende Erinnerungskarten.

“Ich bin in einer liberalen Umgebung aufgewachsen, wo man immer offen über Sexualität und Erotik sprechen konnte. Für mich war das die Normalität. Dazu gingen in unserem Haus Künstler aus der Untergrundszene ein und aus: Musiker, Maler, Bildhauer… Erst später merkte ich, dass es nicht für alle selbstverständlich war, gewissen Themen ohne Tabu gegenüberzutreten.”

Wenn sich Kunst mit Pornografie vermählt

Die diplomierte Kunstdesignerin Zoë Stähli hat sich zuerst von den Aktivitäten ihres Vaters distanziert.

“Ich wollte meine Unabhängigkeit betonen, beweisen, dass ich mich selbst zurechtfinden kann. Aber dann hat mich mein Vater mit der Kunst verführt – so habe ich aufgegeben.”

1996 lanciert die Familie Stöckli in Lausanne das erste Museum für pornografische Kunst. “Mein Vater hatte eine riesige Kollektion, aber für diese Art von Kultur gab es keinen Platz in den traditionellen Galerien. Die Zensur und Tabus waren allgegenwärtig, und sie sind es teilweise noch heute.”

Die Initiative gefiel den Behörden indessen nicht und noch viel weniger der Nachbarschaft. “Die Polizei forderte uns regelmässig auf, Bilder, die als zu explizit betrachtet wurden, zu verstecken. Und dies, obwohl die Ausstellung innerhalb des Pornofilmkinos gezeigt wurde und nur für Erwachsene zugänglich war”, erzählt Zoë Stähli.

Deshalb schloss die Familie Stöckli kurz danach den Laden, und das Projekt wurde für einige Jahre eingemottet. Bis ins Jahr 2004, als die Eröffnung einer Weinhandlung in der Zürcher Altstadt die Kreativität von Zoë Stähli explodieren liess.

“Als ich die leeren Wände sah, habe ich mir gesagt, die könnte ich brauchen für temporäre Ausstellungen von pornografischer Kunst. Und so geschah es. Mitte April dieses Jahres haben wir das Ziel der 100. Ausstellung erreicht.”

Ein Tabubruch, aber nur scheinbar

Die Kunstgalerie inmitten der Altstadt ist im Quartier mit Neugier aufgenommen worden. Ein Quartier, das bereits seit Jahrzehnten gewohnt ist, mit einem Rotlichtmilieu-Kino zusammen zu leben. Dank dem zu gemässigten Preisen verkauften Wein, Karaoke, und der Faszination für Porno-Chic werden die Vernissagen in “Edi’s Weinstube” immer beliebter. Aber trotz einem begeisterten Publikum kann der grösste Teil der Bilder nicht verkauft werden.

“Es ist eine Sache, sich gegenüber einem erotischen oder pornografischen Bild neugierig zu zeigen; eine andere ist es, ein solches Bild mit nach Hause zu nehmen und sich mit dem scharfen Blick der Schwiegermutter oder der Gemahlin auseinandersetzen zu müssen”, sagt Zoë Stähli lachend.

In der Regel sind es die Künstler, die Zoë aufsuchen. Einige von ihnen haben bereits einen Namen, andere versuchen, sich Legitimität zu verschaffen, in einer Gesellschaft, die weiterhin die Grenze zwischen Kunst und Pornografie hinterfragt.

“Wir haben immer gegen die Behörden, die Polizei, die Moral kämpfen müssen. Diese haben der Realität nie ins Gesicht blicken und akzeptieren wollen, dass die Pornografie, wie auch die Prostitution, positive Auswirkungen haben können, wenn sie mit Respekt und nach den Regeln der Kunst betrieben werden”, sagt Zoë Stähli.

Heute sei die Situation immer noch dieselbe. “Es kommen neue Geschäftsleute ins Quartier, die es ‘cool’ finden, sich in einem alten Cabaret niederzulassen. Aber sobald sie mit expliziteren Bildern konfrontiert sind, werden sie zu Moralisten und rufen nach Zensur.”

Zwischen Erotik und Pornografie

Zoë Stähli ist eine der wenigen Frauen, die in der Pornoindustrie tätig sind, ausgenommen die Schauspielerinnen und ein paar wenige nonkonformistische Regisseurinnen. Aber das macht Zoë noch lange nicht zur Feministin, zumindest will sie nicht als solche definiert werden.

“Ich teile die Forderung nach Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau”, sagt sie. “Aber gleichzeitig sehne ich mich gewissermassen zurück nach dem virilen Mann, der mir die Türe öffnete, wenn ich ein Restaurant betrat.”

Die Pornografie wird von radikalfeministischen Kreisen genauso bekämpft – weil sie als gewalttätig und sexistisch betrachtet wird – wie sie von anderen feministischen Kreisen als Instrument der sexuellen Befreiung befürwortet wird. In den letzten Jahren haben Regisseurinnen Filme mit explizitem Inhalt produziert, für ein geschlechtlich gemischtes Publikum.

“Es gibt Frauen, die harte Kurzfilme machen, und Männer, die ein weibliches Publikum anziehen wollen und langweilige Filme produzieren, in denen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler eine halbe Stunde lang küssen, bevor es zur Sache geht”, so Zoë Stähli.

Männliche Pornografie und weibliche Erotik? “Ich kann nichts anfangen mit diesem Bedürfnis nach Schubladisierung der Kunst und vor allem nicht damit, Frauen und Männer in vorbestimmte Kategorien einzuteilen. Die Frauen, die unsere Weinhandlung besuchen, sind oft enthemmter als die Männer. Paradoxerweise sprechen die Frauen offener darüber”, sagt Zoë Stähli.

Das gleiche gelte für die Künstlerinnen und Künstler: “Der grösste Teil von ihnen macht mehr oder weniger explizite Bilder oder Fotografien, je nach Situation. Vor einem berühmten Bild stellt niemand die Frage, ob dieses nun erotisch oder pornografisch sei. Derweil die weniger berühmten Artisten Mühe haben, aus ihrem Schattendasein herauszutreten und immer auf der Suche nach Legitimität sind. Und gegen diesen Konformismus müssen wir kämpfen. Alles andere ist eine semantische Frage.”

Die Pornoindustrie, die weltweit zu den undurchsichtigsten Sektoren zählt, wird oft mit dem Organisierten Verbrechen, mit Menschenhandel und Geldwäscherei in Zusammenhang gebracht.

Die Einnahmen dieser Industrie sind schwer kalkulierbar. Aber nach einer Schätzung des britischen Wochenmagazins The Economist übertrafen sie 2008 die Einnahmen der Film- und Musikindustrie um 20 Milliarden US-Dollar.

Gemäss dem US-Wochenmagazin Times vertreiben weltweit 4 bis 12% der Internetseiten pornografische Inhalte. Nicht inbegriffen dabei ist die 2011 lancierte neue Domain .XXX, die sofort einen Ansturm der Pornoindustrie erlebte.

In der Schweiz gehören gemäss Zahlen der Plattform Alexa die Pornosites Xhamster, Youporn und LiveJasmin zu den 50 meist besuchtesten. Xhamster ist auf Rang 22, hinter den grossen Suchmaschinen, den Sozialnetzen und einigen News-Portalen.

2012 gibt es in der Schweiz noch zehn Pornofilmkinos, acht davon werden von der Firma East Cinemas AG geführt, die im Besitz der Familie Stöckli ist. Diese ist Gründerin der Mascotte Film AG, die bei der Produktion von Pornofilmen in der Schweiz Marktführerin ist.

Bis vor wenigen Jahren verdiente ein weiblicher Pornostar in der Schweiz 1000 Franken im Tag. Heute gibt es 500 Franken pro Szene, wovon es vier pro Tag geben kann.

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

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