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Ist Solar Geoengineering für klimagefährdete Länder das Risiko wert?

Dr. Sandro Vattioni

Länder des globalen Südens könnten besonders stark von umstrittenen Solar-Geoengineering-Technologien profitieren – etwa um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzumildern. Doch gerade sie tragen auch das grösste Risiko, sollten diese Technologien scheitern, warnt Sandro VattioniExterner Link von der ETH Zürich.

Vor einem Jahrzehnt einigten sich die Staaten der Welt im Pariser Klimaabkommen auf ein zentrales Ziel: Die Erderwärmung sollte auf maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden. Doch im vergangenen Jahr wurde diese Schwelle erstmals überschritten. Trotz internationaler Klimaschutzbemühungen steigen die weltweiten Treibhausgasemissionen noch immer Jahr für Jahr.

Sonnenstrahlen zurück ins All lenken

Angesichts dieser düsteren Klimaprognosen rückt eine umstrittene Idee verstärkt in den Fokus der Forschung: das sogenannte Solar Geoengineering. Hinter dem Begriff verbergen sich Methoden zur gezielten Reflexion von Sonnenlicht – auch bekannt als Solar Radiation Management (SRM). Ziel ist es, einen Teil der Sonneneinstrahlung zurück ins All zu lenken, um das globale Klima künstlich abzukühlen.

Vorschläge für SRM umfassen zum Beispiel die Ausbringung winziger reflektierender Partikel in Höhen über 20 Kilometern, wo sie sich über den Globus verteilen und einen Teil des einfallenden Sonnenlichts reflektieren würden. Andere Vorschläge sehen vor, unterhalb einer Höhe von drei Kilometern Sonnenlicht reflektierende Wolken zu erzeugen oder deren Lebensdauer zu verlängern.

Was sind die potenziellen Vorteile und Risiken des solaren Geo-Engineerings? Finden Sie es in diesem Beitrag heraus:

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Es muss deutlich betont werden: SRM ist kein Ersatz für die dringend notwendige Reduktion von Treibhausgasemissionen – und es löst auch nicht das Problem des Klimawandels. SRM könnte höchstens als vorübergehende und unterstützende Massnahme dienen, um besonders gefährliche, irreversible Kipppunkte im Klimasystem und im Ökosystem zu vermeiden.

Eine Grafik
SWI swissinfo.ch / Kai Reusser

Der Vorteil von SRM liegt in der vergleichsweise schnellen Wirkung und den geringen Kosten. Doch das darf nicht davon ablenken, dass das zentrale Ziel – Netto-Null-Emissionen – konsequent verfolgt werden muss. Nur echte Emissionsminderungen bieten langfristigen Klimaschutz.

SRM würde das globale Klima mit Sicherheit abkühlen – doch diese Technologien sind nicht ohne Risiken. Deshalb erfordert ein solch globales Eingreifen eine internationale Governance unter der Einbindung von Fachwissen jener Länder, die vom Klimawandel am stärksten betroffen sind.

Wir brauchen mehr Forschung zu den Chancen und Risiken von SRM

Obwohl wissenschaftliche Studien zeigen, dass das SRM das Potenzial hat, die Folgen des Klimawandels wirksam abzumildern – und dabei möglicherweise Millionen Menschenleben zu rettenExterner Link sowie Schäden in Milliardenhöhe zu verhindern –, warnen Kritiker: Der technologische Eingriff in das Klimasystem könnte von verschiedenen Interessensgruppen als Vorwand missbraucht werden, um den dringend nötigen Ausstieg aus fossilen Energien weiter hinauszuzögernExterner Link.

Viele der potenziellen Chancen und Risiken von SRM sind noch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Auch wenn alle hoffen, dass der Einsatz von SRM nicht notwendig sein wird, sollten wir umfassend darüber informiert sein, wie sich SRM auf das Klima und die Gesellschaft auswirken würde.

Einige SRM-Technologien könnten beispielsweise negative Nebenwirkungen auf die Umwelt mit sich bringen. Dazu zählen unter anderem der mögliche Abbau der Ozonschicht, Veränderungen regionaler Niederschlagsmuster und – besonders kritisch – die ungleiche globale Verteilung der potenziellen positiven und negativen Auswirkungen, was Fragen hinsichtlich der Governance und der globalen Gerechtigkeit dieser Technologien aufwirft.

Daher ist weitere Forschung erforderlich, um SRM und seine potenziellen Auswirkungen auf die verschiedenen Regionen der Welt besser zu verstehen.

Die Rolle des Globalen Südens

Historisch gesehen ist der Globale Norden für 92 % der kumulierten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gleichzeitig sind die Länder des Globalen Südens am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. SRM ist daher für den Globalen Süden von besonderer Bedeutung.

Sollte SRM jemals eingesetzt werden und die Klimarisiken verringern, würden diese Länder am meisten davon profitieren. Doch zugleich tragen sie auch das grösste Risiko: Wenn der Einsatz scheitert oder unerwartete Nebenwirkungen auftreten, wären sie es, die die schwersten Folgen zu tragen hätten.

Da SRM eine grenzüberschreitende Technologie mit weltweiten Auswirkungen darstellt, ist eine internationale Koalition unerlässlich – sowohl im Hinblick auf Forschung als auch auf mögliche Entscheidungen über ihren Einsatz. Lange Zeit wurde die SRM-Forschung fast ausschliesslich von Universitäten im Globalen Norden vorangetrieben, häufig finanziert durch philanthropische Stiftungen.

Um dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, wurde die Degrees InitiativeExterner Link ins Leben gerufen. Ihr Ziel: die Beteiligung von Ländern des Globalen Südens stärken und sicherstellen, dass auch Entwicklungsländer fundiert, informiert und selbstbestimmt mit am Tisch sitzen, wenn über die Zukunft des globalen Klimas entschieden wird.

Was sind die lokal relevanten Fragen?

Mit Unterstützung staatlicher und philanthropischer Geldgeber – vorwiegend aus dem Globalen Norden – hat die Degrees Initiative einen Forschungsfonds ins Leben gerufen. Dieser soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Globalen Süden dabei unterstützen, lokal relevante Forschungsfragen zu SRM und dessen Bedeutung für klimagefährdete Regionen zu untersuchen.

In den letzten Jahren sind die weltweiten Finanzmittel für die SRM-Forschung stark gestiegen, was die wachsende Bedeutung dieses Themas unterstreicht. Obwohl der Anteil der Finanzmittel, die an Forschende im globalen Süden gehen, ebenfalls stetig wächst, ist er mit 2 % immer noch enttäuschend gering.

Mitte Mai veranstaltete die Degrees Initiative in Kapstadt, Südafrika, ein globales ForumExterner Link zum Thema SRM mit dem Ziel, eine ausgewogene Vertretung des globalen Südens und des globalen Nordens sicherzustellen.

Während auf der Konferenz weiterhin vor allem Stimmen aus dem Globalen Norden dominieren, tragen die von der Degrees Initiative geförderten Forschenden massgeblich dazu bei, dass das Fachwissen und die Perspektiven des Globalen Südens mit im Zentrum der wissenschaftlichen Bewertung von SRM stehen.

So untersucht beispielsweise Roxann Stennett-Brown von der University of the West Indies in Jamaika, wie sich SRM auf die Landwirtschaft in Jamaika und der Karibik auswirken würde.

Internationale Koordination

Während Professor Heri Kuswanto vom Institut Teknologi Sepuluh Nopember in Indonesien die lokalen Auswirkungen von SRM auf Temperatur- und Niederschlagsextreme analysiert, untersucht Romaric Odoulami von der University of Cape Town diese Auswirkungen für verschiedene Regionen in Afrika.

Mit eigenem wissenschaftlichem Know-how zu SRM ist der Globale Süden zunehmend in der Lage, sich unabhängig und fundiert eine eigene Haltung zu dieser kontroversen Technologie zu bilden – sei es für oder gegen SRM. Dieses Fachwissen ist unerlässlich, um zentrale politische und ethische Fragen zu beantworten: Wer hat die Macht zu entscheiden, ob, wie und in welchem Umfang SRM erforscht und eingesetzt werden soll?

Wie gross wäre das Konfliktpotential, wenn aufgrund der scheinbaren Einfachheit, eine einzelne grosse Wirtschaftsmacht mit der globalen Anwendung von SRM beginnen würde?

Gerade in Zeiten globaler Spaltung zeigen diese Fragen wie wichtig eine international ausgewogene Regulierung von SRM sein wird. Während sich einige Teilnehmende der Konferenz für sofortige, kleinere SRM Versuche aussprechen, forderten andere ein Nichtanwendungsabkommen oder ein Moratorium für SRM, bis die Forschung mehr Klarheit über die Chancen und Risiken dieser Technologie geschaffen hat.

Welche Rolle spielt die Schweiz bei SRM?

An der ETH Zürich, dem Paul Scherrer Institut und der Physikalisch-Meteorologischen Observatorium in Davos gibt es mehrere wissenschaftliche Gruppen, die sich mit SRM befassenExterner Link. Bedeutender ist jedoch, dass die Schweiz eine führende Rolle bei der Regulierung von SRM anstrebt und das Thema aktiv bei den Vereinten Nationen einbringt.

Nach einem ersten Versuch im Jahr 2019 hat die Schweiz im vergangenen Jahr der  United Nations Environment Assembly der Vereinten Nationen eine Resolution vorgelegt, in der ein internationales Assessment von SRM gefordert wird. Die Resolution musste jedoch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern über den Umfang des Berichts und über die daran beteiligten Akteure zurückgezogen werden. Somit fehlt nach wie vor ein umfassendes internationales Assessment von SRM

Dennoch zeigen die Bemühungen, dass die Schweiz bereit ist, Verantwortung bei der Etablierung einer internationalen Governance zu übernehmen. Als neutrales Land, in dem auch die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in Genf ihren Sitz hat, ist die Schweiz ideal positioniert, um diese Rolle zu übernehmen.

Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage, der weltweit zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels und der stark wachsenden Finanzmittel für SRM-Forschung ist zu erwarten, dass das Thema in naher Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird.

Um den Diskurs und die Entscheidungsfindung zu SRM zu unterstützen, ist es unerlässlich, verbindliche Governance- Strukturen zu schaffen und die Unsicherheit über Risiken und Chancen von SRM durch koordinierte Forschung und genaue Kommunikation der Ergebnisse zu verringern.

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