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Konservativer Papst enttäuscht Presse

Der neue Papst lacht - doch die Schweizer Presse bleibt skeptisch. swissinfo.ch

Die Schweizer Presse reagiert mit einer Mischung von Enttäuschung und Skepsis auf die Wahl von Joseph Ratzinger zum neuen Papst Benedikt XVI.

Die Wahl des Erzkonservativen zum Haupt der 1,1 Mrd. Katholiken wirke innerhalb der Kirche als reformbremsend – zumindest für die nächste Zukunft, so der Tenor.

Im helvetischen Blätterwald ist man sich für einmal ziemlich einig: Der neue Papst wurde in “bemerkenswert kurzer Zeit” gewählt, wie die “Neue Zürcher Zeitung” schreibt. Er sei “keine Verlegenheitslösung”, aber ein Übergangspapst, aber dennoch gemäss dem Berner “Bund” ein “Verteidiger des Absoluten”.

Als langjähriger Leiter der Kongregation für die Glaubenslehre mache der bayerische Kardinal Joseph Ratzinger nun seinem “Ruf eines strengen Wächters über den Glauben”, so die NZZ, alle Ehre. Die “Südostschweiz” titelt gar: “Wenn der Grossinquisitor Papst wird.”

Rückfall in die jungen Jahre?

Die “Neue Luzerner Zeitung” kommentiert, Papst Benedikt XVI. sei schon seines Alters wegen ein Übergangspapst. Die wahlberechtigten Kardinäle hätten die Lösungen dringender Fragen der Kirche offenbar dem nächsten Papst überlassen wollen.

Die Walliser Zeitung “Le Nouvelliste” schreibt, dass “dieser Papst uns überraschen könnte”. Schliesslich habe Ratzinger in seinen jüngeren Jahren als “offen für Reformen” hält der Kommentator fest.

Es werde für Benedikt XVI. schwer werden, die Etiketten los zu werden, die an Joseph Ratzinger klebten, schreibt hingegen die Freiburger “Liberté”.

“Auf den ersten Blick ein Schock”,

kommentiert die “Südostschweiz”: “Der Chef der Glaubenskongregation, der modernen Nachfolgeorganisation der Heiligen Inquisition, wird zum Papst gekürt.” Von “verlängertem Arm des Mittelalters” ist die Rede, von der “Zubetonierung des Zweiten Vatikanischen Konzils für alle Zeiten”.

Der “Tages-Anzeiger” spricht von “Ideologischer Wahl” und von der “Karriere des greisen Joseph Ratzinger”: Mit ihm werde das polnische Pontifikat “verlängert, germanisch zugespitzt und akzentuiert”.

“Blitzwahl” und Bayern-Bild

Als “Blitzwahl” – in Anlehnung an den deutschen “Blitzkrieg” vor 60 Jahren – bezeichnet das Boulevardblatt “Blick” die Papstwahl. Auch sonst schiesst sich das Blatt auf das deutsche Element ein: “Papst Benedikt der Deutsche – müssen wir vor ihm Angst haben?”, lautet die Schlagzeile.

Und der “Blick” liefert auch gleich die richtige Bebildung nach: Ratzinger als Erzbischof vor dem bayerischen Ex-Herrscher Franz-Josef Strauss, Kardinal Ratzinger beim Abgehen einer bayerischen Ehrengarde.

Für Ratzinger sei “die moderne Welt grundsätzlich eine Gefahr”, so der “Blick”, “er will die Kirche abschotten”.

Das fürchtet auch die “Berner Zeitung”. Ratzinger soll massgeblich an jener Erklärung mitgewirkt haben, die für die katholische Kirche die alleinige Wahrheit beansprucht – “ein Affront in jedem offenen religiösen Dialog”. Die BZ vermutet, dass Ratzingers Stabilisierungsversuche “in Ländern wie der Schweiz heftigen Widerspruch herausfordern” werde.

“Kühl und verletzend”

“Der Vorgänger Papa Wojtyla hat seine strenge Lehre nie so rüde formuliert wie der neue Papst”, schreibt die “Basler Zeitung”. Wojtyla und Ratzinger denken ähnlich – doch hätte es der Pole nie so kühl und verletzend in die Welt gesetzt.

Man könne sich, so die “Basler Zeitung”, Benedikt XVI. nur schwer vorstellen, ein Schuldbekenntnis in einer Ritze der Klagemauer in Jerusalem zu stecken oder brüderlich die Omayaden-Moschee in Damaskus aufzusuchen.

“Wahl ist (k)eine Überraschung”, kommentiert die “Aargauer Zeitung”. Sie bezeichnet Ratzinger als “Grenzgänger zwischen Traditionalismus und Fundamentalismus”. Die “Spannungsrisse in der katholischen Kirche bleiben bestehen”, glaubt die AZ. Liberale Katholiken “können nur hoffen, dass er zur Einsicht kommt, sich (…) mitbewegen zu müssen, damit aus den Rissen nicht Brüche oder Abspaltungen werden”.

Starke mediale Präsenz

Mit “Le gardien de la doctrine” (Wächter der Doktrin) überschreibt die Westschweizer Zeitung “Le Temps” den neuen Papst Benoît XVI. “Le Temps” vermutet, dass die ständige mediale Präsenz von Ratzinger in den letzten Jahren mit ein Grund für seine schnelle Wahl war.

Es gebe Hoffnungen auf eine gewisse Dezentralisierung unter dem neuen Papst, doch der “doctrinaire inflexible” habe auch einen “Krieg ohne Pardon gegen neuerungswillige Theologen geführt”.

“Wahl, die aufs tiefste betrübt”

Weniger diplomatisch formuliert es die “Tribune de Genève”: “Ratzinger, une choix qui désole – Ratzinger, eine Wahl die betrübt”. In Genf sprächen auch die Protestanten ihre Konsternation aus, so das Westschweizer Blatt weiter.

“Noch sind alles Spekulationen”, kommentiert abschliessend die “Berner Zeitung” doch noch versöhnlich. “Vielleicht geschehen ja auch im Vatikan noch Zeichen und Wunder.”

swissinfo, Alexander Künzle

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