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Porträt: Joseph Ratzinger

Joseph Ratzinger ist einer der weltweit umstrittensten Kardinäle. "Grossinquisitor aus Marktl am Inn" wird er nicht nur genannt, weil er jenes Amt innehat, dem früher Inquisitoren vorstanden, sondern auch weil er hart gegen anders Denkende vorgeht.

Als Sohn eines Gendarmeriemeisters wurde Ratzinger am 16. April 1927 in Marktl am Inn in Bayern geboren. Er wuchs in einer tief religiösen Familie auf und war in der Schule sehr erfolgreich. Abgesehen vom Sport glänzte er in allen Fächern.

Nach dem Abitur auf dem Gymnasium Traunstein studierte er an der Theologischen Hochschule in Freising und an der Universität München Katholische Theologie und Philosophie. Anschliessend wurde er zum Priester geweiht.

Habilitationsschrift mit 30 Jahren

1953 wurde er promoviert, und bereits mit 30 Jahren legte er seine Habilitationsschrift vor. Diese Arbeit über die “Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura” wäre jedoch beinahe abgelehnt worden. Er musste sie nochmals korrigieren.

Bereits seit 1951 war er Privatdozent, 1958 wurde er Dogmatik-Professor an der Freisinger Hochschule, später lehrte er an den Universitäten Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg.

Vom Reformer zum Fundamentalisten

In den sechziger Jahren war der junge Ratzinger noch ganz anders gewesen: Erfasst vom Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils galt er als weltzugewandt und reforminteressiert.

Noch 1968 plädierte er, zusammen mit seinem Tübinger Kollegen Hans Küng, “gegen Zwangsmassnahmen bei irrigen theologischen Auffassungen”. Später freilich unterstützte er Zwangsmassnahmen gegen Küng – die mit der Amtsenthebung des populären Theologen endeten.

Die Wende

Ein prägendes Erlebnis für Ratzinger waren nach Einschätzung von Walter Bayerlein, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, die Studentenunruhen von 1968, die er als Professor erlebte.

Störungen bei seinen Vorlesungen habe er nichts entgegenzusetzen gehabt. Die Erfahrung von 1968 hätten Ratzinger “schockiert” und den ehemals offenen Theologen zu einer Wendung zum Konservativen veranlasst.

1977 berief ihn Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising, wenig später erhob er ihn in den Kardinalsstand. 1981 wechselte Ratzinger als Kurienkardinal nach Rom und wurde Präfekt der Glaubenskongregation, einer Nachfolgeorganisation der Inquisition. In Rom wurde er lange Jahre von seiner Schwester Maria betreut, die 1991 starb.

An der Spitze der Glaubenskongregation sprach sich Ratzinger entschieden gegen Frauenpriestertum, Feminismus, Abtreibung und Schwangeren-Konfliktberatung aus. Abtreibungsgesetze geisselte er als “Kultur des Todes”. Der 1992 veröffentlichte Weltkatechismus entstand unter seiner Federführung.

Marktl bereitet sich auf Pilgerstrom vor

Ratzingers Geburtsort hatte sich bereits auf einen Pilgeransturm nach der Papstwahl vorbereitet. Der Bürgermeister von Marktl am Inn, Hubert Gschwendtner, hatte bereits vor Wochen darüber nachgedacht, wie sich die geringe Zahl von 100 Gästebetten ausweiten liesse, vielleicht mit den Möglichkeiten des Campingplatzes und mit grossen Pilgerzelten in der Nähe des Sportplatzes.

In Ratzingers Geburtshaus am Marktplatz 11, so ist bereits so gut wie beschlossen, will die Gemeinde ihrem berühmten Sohn nach der Wahl zum Papst ein Museum einrichten.

swissinfo und Agenturen

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