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Der Kunstsammler Christoph Blocher

Un homme à côté d un tableau
Christoph Blocher vor Albert Ankers "Der Gemeindeschreiber" von 1874. Sabine Haehlen

Der vor allem als Politiker bekannte ehemalige Bundesrat ist auch ein ausgewiesener Kunstliebhaber. Er besitzt zahlreiche Meisterwerke der Schweizer Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine reiche Auswahl seiner Sammlung ist derzeit in der Fondation Gianadda in Martigny zu sehen. Zwei grosse Namen dominieren: Albert Anker und Ferdinand Hodler.

Léonard Gianadda ist ein glücklicher Mann. Seine Stiftung in Martigny (Wallis) zeigt bis zum 14. Juni “Schweizer Meisterwerke”Externer Link, eine Ausstellung mit Werken aus der umfassenden Sammlung von Christoph Blocher, dem Deutschschweizer Geschäftsmann, früheren Nationalrat und Ex-Bundesrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP, rechtskonservativ).

Léonard Gianadda heisst das Publikum, das trotz des bitterkalten Wintermorgens gekommen ist, herzlich willkommen. Während wir uns im grossen Saal mit ihm unterhalten, kommen begeisterte Besucherinnen und Besucher auf ihn zu, um ihm zu danken. “Sehen Sie, diese Menschen sind dankbar, das ist eine grosse Freude für mich”, erklärt er uns. 

Die Ausstellung zeigt brillant Gesichter und Facetten einer Schweiz, die von den besten Schweizer Malern festgehalten wurden: Alexandre Calame, Ernest Biéler, Édouard Castres, Adolf Dietrich, Alberto Giacometti, Giovanni Segantini, Félix Vallotton… Und an der Spitze der Gruppe, zwei Giganten: Ferdinand Hodler und Albert Anker, die beiden Künstler, von denen zwei Drittel der ausgestellten Gemälde stammen. Insgesamt 127 Werke sind in der Schau zu sehen, in verschiedenen Stilen (impressionistisch, realistisch, figurativ) und zu verschiedenen Themen (Landschaften, Porträts, Stillleben, Alltagsszenen).

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Giovanni Segantini – “Ruhe im Schatten” © Christoph Blocher

Nostalgie für alte Schweizer Werte

Wenn es unbedingt einen gemeinsamen Nenner für die ausgestellten Werke bräuchte, würde er als schweizerisch geltende Werte wie Nüchternheit, Ruhe, Frömmigkeit, Fleiss, Pflichtbewusstsein, Disziplin umfassen… “Im Grunde genommen, alles, was die Einheit dieser Sammlung und die Vision ihres Besitzers ausmacht”, erklärt Matthias Frehner, der Kurator der Ausstellung. Ein Teil der Sammlung Blocher war 2015 bereits in Winterthur zu sehen. Die Resonanz damals war lebhaft, die Ausstellung sehr gut besucht.

“Christoph Blocher ist einfach ein Kunstliebhaber und leidenschaftlicher Sammler.” Matthias Frehner

Man muss präzisieren, dass Christoph Blocher nach Ansicht gewisser Schweizer Kunstkritiker und Soziologen ein Nostalgiker für alte Schweizer Werte ist, die er für nationalistische Ziele vereinnahme. Der Lausanner Essayist Michel Thévoz ging so weit zu schreiben: “Man versteht, dass Christoph Blocher, ein rechtsextremer Tribun, Milliardär (…) sein Augenmerk in erster Linie auf dieses Werk [das Werk von Albert Anker, N.d.R.] gerichtet hat, das eine simple Schweiz nach seinen Fantasien zelebriert.”

Der Vorwurf ist happig. Für Matthias Frehner ist “Blocher einfach ein Kunstliebhaber und leidenschaftlicher Sammler. Ich sehe bei ihm keine Verbindung zwischen Kunst und Politik. In Ankers Gemälden ist diese Verbindung am Werk, ja, aber sie muss in eine historische Perspektive gesetzt werden – die nicht mit unserer Zeit verwechselt werden darf. In der Zeit, in der Anker malte, ist der 1848 gegründete Bundesstaat jung, befindet sich in gesellschaftlichem Umbruch. Der Maler komponierte seine Szenen auf Grundlage der damaligen Fakten; es geht um die 1860-1870er-Jahre.”

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Albert Anker – “Turnstunde”. Foto: Sik-isea, Zürich (philipp Hitz)

Erziehung und staatsbürgerliches Bewusstsein

Die Presse nimmt zu jener Zeit im Schweizer Alltag einen wichtigen Platz ein. Meinungen werden gebildet, die Rechte des Volkes werden geltend gemacht. Albert Anker überträgt diese Realität in Bilder. Sinnbildlich dafür ist seine Gemäldeserie, die unter anderem Feissli gewidmet ist, dem Schuhmacher in Ins (der Gemeinde im Kanton Bern, wo Anker lebte).

“Der Zeitung lesende alte Feissli” oder “Die Bauern und die Zeitung” gehören zu diesen Gemälden, die den Weg eines einfachen Handwerkers verfolgen, der sich für die gesellschaftspolitischen Ereignisse interessiert. “Anker stellte den Schuhmacher in verschiedenen Phasen seines Lebens dar, als Prototyp eines Einwohners, der Vertrauen hatte in die moderne Schweiz”, erläutert Matthias Frehner.

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Ferdinand Hodler – “Der Holzfäller”. © Christoph Blocher

Neben dem staatsbürgerlichen Bewusstsein lagen Anker Erziehung und Familie am Herzen. Die Bilder von Anker, die sich mit dem Schulleben und der Kindheit befassen, sind wunderbar. Es ist schwierig, vor Werken wie “Protestantische Flüchtlinge” oder “Der Schulspaziergang” keine Rührung zu verspüren. Anker, Theologe und Vater einer grossen Familie, beobachtete die Kinder mit einer fast mystischen Andacht.

Alpen-Idyll

Ihm gegenüber, in der grossen Halle der Fondation Gianadda, finden wir Ferdinand Hodler, dessen Gemälde eine andere Mystik suggerieren, inspiriert von unberührter, reiner Natur. Hodler hat denkwürdige, weltweit bekannte Werke geschaffen, auf denen vor allem der Genfersee, der Thunersee, die Alpen, “Sommerlandschaften” im Oberland oder die “Blumenwiese” zu sehen sind.

Bei Hodler stossen wir auf das Alpen-Idyll, ein anderes charakteristisches Merkmal einer ewigen Schweiz, das verbunden ist mit dem Respekt vor harter Arbeit. Dies zeigt sich in Werken wie “Der Holzfäller”, “Der Schnitter” oder “Der Redner”, bekannte Porträts robuster, muskulöser Männer.

Hodler, ein bedeutender Maler, gehört zu den versierten Künstlern, die wie sein Landsmann Félix Vallotton heute international bekannt sind. “Was bei Albert Anker nicht der Fall ist”, bedauert Matthias Frehner. “Schweizer Sammler haben all seine Werke gekauft. Mit dem Resultat, dass man sie heute in den Sammlungen der weltweit bedeutenden Museen nicht findet. Das ist tragisch! Ich hatte vor einiger Zeit eine Anker-Ausstellung in Japan organisiert, die ein grosser Erfolg war. Aber die Leute waren überzeugt, dass Anker Franzose war!”

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(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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