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Das Theater und die exakten Wissenschaften

Der Basler Theaterdirektor Michael Schindhelm versucht sich am Mikroskop. Keystone

Während zwei Tagen tauschten der Basler Theaterdirektor Michael Schindhelm und der Biochemiker Hans-Peter Wessels ihre Jobs. Die Aktion erfolgte im Rahmen der Schweizer Wissenschaftswoche.

Das Ziel der Aktion bestand darin, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Wissenschaft und Kultur zu beleuchten. «Ich war recht neugierig, weil ich keine grosse Ahnung vom Theater habe, nicht einmal als Zuschauer», sagte Wessels, leitender Direktor des privaten Zentrums für pharmazeutische Wissenschaften in Basel. «Ich muss gestehen, dass ich sehr selten ins Theater gehe.»

Michael Schindhelm stammt aus der ehemaligen DDR und studierte in der Sowjetunion Chemie. Erst dann wurde er Theaterschaffender. «Als ich zwanzig Jahre alt war, interessierte ich mich zunehmend für die Kunst. Es wurde mir klar, dass ich früher oder später den Wechsel vornehmen musste», erklärte Schindhelm. «In der früheren DDR und den anderen Ostblockstaaten entschied man sich oft für die Wissenschaft. Dort war ideologische Freiheit grösser als in der Kunst.»

Typische oder untypische Arbeitstage?

«Der normale Tag eines Doktoranden sieht folgendermassen aus: Er kommt ins Labor, führt einen Haufen Experimente durch, geht 10, 12 oder 16 Stunden später wieder, legt sich schlafen und kommt am nächsten Morgen erneut», sagte Wessels. «Je älter ein Forscher ist und je höher er in der Hierarchie steht, desto mehr widmet er sich schriftlichen Arbeiten, analysiert die Forschungsergebnisse anderer Leute und pflegt den Austausch in der ’scientific community›.»

«Im Theater gibt es keine typischen Tage», sagte Schindhelm. «Es ist möglich, dass am Tag der Premiere einer der Sänger krank wird. Dann muss ein Ersatz gefunden werden, der den Part übernehmen kann. Diese Person kann im Moment in Paris, London oder Berlin sein, hat von meiner Produktion keine Ahnung und soll ohne eine einzige Probe auftreten. In solchen Momenten herrscht jeweils völlige Horrorstimmung, und es ist völlig unvorhersehbar, was herauskommen wird.»

Die Bilanz nach zwei Tagen Rollentausch

Nach den zwei Tagen mit vertauschten Rollen war sich Theaterdirektor Schindhelm sicher, dass er nie mehr in die Wissenschaft zurückkehren wird. Wessels hingegen bedauerte, dass seine Zeit im Theater derart kurz gewesen war. «Ich habe eine Persönlichkeit, die sich permanent von anderen Dingen ablenken lässt. Die Arbeit, welche ich im Theater mitverfolgen konnte, faszinierte mich.»

Die Frage der Finanzierung

Ist die Rede von den Ähnlichkeiten der beiden Jobs, dominiert die Frage des Geldes. Laut Wessels muss die Wissenschaft in der Schweiz um die Konkurrenz-Fähigkeit kämpfen. Auf diesem Faktum müsse die Finanzierung erfolgen.

Auch für Schindhelm war die Frage der Finanzierung seiner Projekte stets ein Thema. «Wir leben von Zuwendungen und wir brauchen Unterstützung von der öffentlichen Hand. Oft ist es meine Aufgabe, Politiker zu überzeugen, dass ohne Unterstützungs-Gelder die Existenz des Theaters gefährdet sei.»

Die Synthese zweier Welten?

In einem Punkt waren sich Theaterdirektor und Wissenschaftler einig: Es gibt Möglichkeiten, die zwei Welten in einer Synthese zusammenzuführen.

«Wissenschaftler werden mit wichtigen gesellschaftlichen Problemen konfrontiert. Dazu gehört die Frage, was Wissenschaft soll und was nicht», führte Wessels aus. «Für mich hat das Theater in dieser Beziehung eine wichtige Funktion. Es muss die Gesellschaft provozieren, gewisse Fragen zu debattieren. Ich bin der Auffassung, dass es viele Dinge in und rund um die Wissenschaft gibt, die aufzugreifen sich für das Theater lohnen würde.»

Vincent Landon

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