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Ein Lautsprecher für die Rechtlosen

Ausschnitt aus dem Film "Article 61". (Mahvash Sheikholeslami) Mahvash Sheikholeslami

Seit drei Jahren zeigt das Filmfestival Locarno ein spezielles Menschenrechts-Programm. Immer mehr Zuschauer interessieren sich für diese Filme.

Auch bei den Filmschaffenden hat sich herumgesprochen, dass Locarno den Menschenrechts-Themen mit offenen Armen gegenübersteht.

Die Iranerin Mahvash Sheikholeslami nimmt uns mit in ein iranisches Frauengefängnis. In ihrem Film “Article 61” schildern verschiedene Frauen ihr Schicksal.

Sie sind alle wegen Mordes zum Tode verurteilt worden, weil sie sich gegen einen Vergewaltiger gewehrt hatten – mit tödlichen Folgen.

Dies, obwohl der Artikel 61 des iranischen Strafgesetzes es jeder Person erlaubt, sich gegen einen Angriff zu wehren. Doch anscheinend gilt dies nur für Männer. Frauen haben keine Chance: Im Falle einer Vergewaltigung droht ihnen ebenfalls die Todesstrafe.

Filme gehen tiefer

“Article 61” ist einer von 16 Filmen im “Human Rights Program” des Filmfestivals Locarno. Weitere neun werden im regulären Programm gezeigt. Am Samstag wird einer der 25 Filme den Human Rights Award gewinnen.

Der Film ist das perfekte Medium, um Missstände und Ungerechtigkeiten zu zeigen, sagt Lucia Milazzotto, Koordinatorin des Menschenrechts-Programms. “Ein Film kann viel tiefer in ein Thema eintauchen”, erklärt sie im Gespräch mit swissinfo.

Ein Filmemacher habe viel mehr Freiheiten und mehr Zeit als etwa ein Journalist, um ein Thema von allen Seiten her zu beleuchten. Denn was der Welt fehle, sei Information über diese Menschenrechts-Verletzungen. “Klare, faire und ehrliche Informationen.”

Initiative aus dem EDA

Die Idee zu einem speziellen Programm zum Thema Menschenrechte kam vor einigen Jahren vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Die Sektion Menschenrechtspolitik habe die Direktorin des Festivals, Irene Bignardi, angefragt, sagt Milazzotto. “Und sie war sofort begeistert.” Zwar habe man schon immer Menschenrechts-Themen in gewissen Filmen thematisiert, doch ein eigenes Programm könne eine grössere Plattform schaffen.

Obwohl es spezielle Festivals gibt, die sich nur den Menschenrechten widmen, ist Milazzotto überzeugt, dass die Integration in ein grosses Festival wie Locarno Sinn macht. “Es erlaubt uns, mehr Leute für das Thema zu sensibilisieren. Leute, die sonst nicht speziell informiert oder interessiert sind.”

Die Schweiz sei der richtige Ort, um Filme zum Thema Menschenrechte zu präsentieren. “Sie war schon immer ein guter Platz für die persönliche Freiheit, nicht so wie viele andere Länder.”

Erfolg bei Publikum und Filmemachern

Und der Erfolg scheint den Organisatoren recht zu geben. Heute füllt das Programm regelmässig einen Raum mit 800 Plätzen. “Das hatten wir noch nie”, bemerkt Lucia Milazzotto erfreut.

“Wir sind jetzt auch bei den Filmemachern zu einer Referenz geworden. Sie schicken uns ihre Filme bereits selber zu.” Denn sie wüssten, dass Locarno ihnen einen speziellen Platz bieten könne.

Wäre das Menschenrechts-Programm eine Idee, die auch in andere grosse Festivals integriert werden könnte? “Natürlich wäre das gut”, meint Milazzotto.

“Bei diesen Themen gibt es keine Konkurrenz zwischen den Festivals. Jeder sollte diesen Leuten eine Stimme geben.”

Eine Stimme, die teilweise auch von den Verantwortlichen gehört wird. So konnte “Article 61” am Schluss doch noch einen Teilerfolg zeigen: Dank öffentlichem Druck wurde einer der Frauen die Todesstrafe bis auf weiteres aufgeschoben. Eine andere konnte gar nach Entrichtung eines hohen “Blutgeldes” wieder in die Freiheit zurückkehren – nach 13 Jahren Haft.

swissinfo, Christian Raaflaub, Locarno

Seit drei Jahren hat das Filmfestival Locarno den Menschenrechten ein eigenes Programm gewidmet.

Immer mehr Besucherinnen und Besucher interessieren sich für diese Filme aus aller Welt.

Und auch unter den Filmemachern hat sich herumgesprochen, dass Locarno eine spezielle Plattform und damit auch den Zugang zu einem breiteren Publikum bietet.

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