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Grosse helvetische Künstler waren Auslandschweizer

Einer der "Ehren-Hodler": Der Tag, entstanden 1899. Kunstmusem Bern, Staat Bern. zvg

Gibt es eine spezifisch schweizerische Kunst? Was macht einen Schweizer Künstler aus? Das Kunstmusem Bern und die Kunsthalle München gehen diesen Fragen in einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt nach. Die Antwort bleibt offen.

Das Kunstmuseum Bern ist zu Gast in München. Unter dem Titel “…Giacometti, Hodler, Klee…Höhepunkte der Schweiz aus sieben Jahrhunderten” sind noch bis Januar 2011 mehr als 150 Werke aus dem Bestand des Hauses in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München zu sehen.

Gezeigt werden Gemälde, Papierarbeiten und Skulpturen von mehr als 60 Schweizer Künstlern vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die Auswahl soll dabei nicht nur die Sammlung des Kunstmuseums Bern repräsentieren, sondern auch einen Überblick über die Entwicklung der Kunst in der Schweiz bieten.

Als “spannendes Abenteuer” und “Nationen übergreifendes Experiment” bezeichnen Christiane Lange, Direktorin der Hypo-Kunsthalle München, und Matthias Frehner, Direktor des Kunsmuseums Bern, ihr Kooperationsprojekt.

Wie definiert man Schweizer Kunst?

Lässt sich mit dem Blick über sieben Jahrhunderte Kunst etwas spezifisch Schweizerisches feststellen? Welche Merkmale hätte eine solche Schweizer Kunst, und von wem wird sie erschaffen? Sind es die Künstler, die in der Schweiz geboren wurden, auch wenn sie ausserhalb der Heimat zu Ruhm kamen? Was ist mit Künstlern, die in der Schweiz wirkten, aber keinen eidgenössischen Pass erhielten?

Mit der Eingangstafel der Ausstellung werden die Besucher eingeladen, diese Fragen beim Betrachten der Werke für sich selbst zu beantworten.

Wilhelm Tell, Schweizer Berge und die “Ehren-Hodler”

Der Rundgang beginnt mit dem Schweizer Nationalhelden schlechthin, mit Wilhlem Tell in Form eines Denkmal-Entwurfs des bedeutenden Schweizer Bildhauers Auguste Rodolphe de Niederhäusern, genannt “Rodo”.

Es folgen eine Video-Installation von Pipilotti Rist und ein Altarbild von 1506. Mit dieser Gegenüberstellung soll der Bogen der Ausstellung vom Mittelalter bis zur Gegenwart gespannt werden.

Beim Gang durch die Ausstellungsräume, die in chronologischer Abfolge entweder einer Epoche, einem Stil oder einem einzelnen Künstler zugeordnet sind, erfährt der Besucher teils Kurioses, wie zum Beispiel, dass der britische Reise-Unternehmer Thomas Cook bereits Mitte des 18. Jahrhunderts Reisen in die Schweizer Berge organisierte, die damals zum Markenzeichen und begehrten Motiv von Schweizer Künstlern avancierten.

Begegnungen mit berühmten Schweizer Malern wie Arnold Böcklin, Ferdinand Hodler oder den Giacomettis sind hingegen weniger überraschend. Als einem der bekanntesten Schweizer Maler des 19. Jahrhunderts ist Hodler der grösste Raum gewidmet.

Seine vier grossformatigen Ölgemälde Der Tag, Die Nacht, Der Auserwählte und Eurythmie stehen im Zentrum der Ausstellung. Sie machten Hodler international berühmt, noch bevor er in der Schweiz zu Ruhm gelangt war. Der Maler selbst nannte sie deshalb die “Ehren-Hodler”. Ausserhalb der Schweiz werden sie nur sehr selten gezeigt.

Swissness fraglich

Gezeigt werden ausserdem in der Schweiz bekannte, in Deutschland indes kaum ausgestellte Künstler wie der Genremaler Albert Anker oder der Bergmaler Franz Niklaus König.

Aber auch die Davoser Landschaftsansichten des deutschen Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner finden unter den Werken der Schweizer Moderne Platz. Prominent vertreten ist ebenfalls der in Bern geborene Paul Klee, der 1940 in der Schweiz als Deutscher gestorben ist.

Ob in dieser Zusammenschau der ausgestellten Werke nun eine Art “Swissness” deutlich wird, beantwortet jeder Besucher am besten für sich selbst. Sehr deutlich wird jedoch, wie wichtig der Austausch mit dem Ausland für nahezu alle Schweizer Künstler war.

Austausch mit dem Ausland

Viele von ihnen haben in Deutschland, Italien oder Frankreich studiert – Hodler und Giovanni Giacometti übrigens unter anderem in München -, haben dort Anregungen gesammelt und diese teilweise wieder in die Heimat mitgebracht.

Andersherum haben viele grosse Schweizer Künstler einen wichtigen Beitrag zu den Strömungen ihrer Zeit geleistet, wie Böcklin zum Symbolismus oder Giovanni Giacometti zur Abstrakten Malerei. Die Farbenlehre von Johannes Itten, der am Bauhaus gelehrt hat, wird bis heute an Kunsthochschulen unterrichtet.

“Die Schweiz ist so vielfältig in ihren Kulturlandschaften. Von einer Swissness als Wesensmerkmal oder Stilhaltung kann man da nicht sprechen”, sagt Dr. Matthias Frehner.

“Verbindendes Element der Schweizer Kunst ist, wenn schon, deren Unabhängigkeit sowie der Einfluss von aussen. Alle grossen Schweizer Künstlerpersönlichkeiten sind zuerst im Ausland berühmt geworden.”

Als Beitrag zu diesem Austausch versteht sich übrigens auch das Ausstellungsprojekt selbst. “Zur Wiederbelebung der kulturellen Beziehungen” Deutschlands und der Schweiz war München mit Werken aus der Alten Pinakothek, dem Bayrischen Nationalmuseum und der Glyptothek im Jahr 1949 im Kunstmuseum Bern zu Gast. Nach über sechzig Jahren erfolgt nun der Schweizer Gegenbesuch.

Anders als in anderen Ländern entwickelten sich in der Schweiz im Laufe des 19. Jahrhunderts keine bedeutenden Museen oder gar eine Nationalgalerie, da es hier weder Akademien noch eine ausgeprägte Sammlertradition gab.

Ab dem späten 18. Jahrhundert gründeten Künstlervereinigungen in Kantonshauptorten und grösseren Städten zwar Kunstmuseen, doch das Bewusstsein für die Bedeutung des eigenen künstlerischen Erbes oder ein wissenschaftlich fundiertes Wissen über den Umgang mit Kunst fehlten.

In Basel, Bern und Lausanne entstanden bedeutende lokale Sammlungen, beruhend auf dem internationalen Ruhm von Künstlern, die aus den jeweiligen Städten hervorgegangen waren.

Doch erst Anfang des 20. Jahrhunderts wandelten sich die Schweizer Museen dank einiger engagierter Kunstsammler zu Weltmuseen.

Auch das Kunstmuseum Bern hat diese Entwicklung durchlaufen. Es ist das älteste Museum der Schweiz mit einer ständigen Sammlung. Gegründet 1879, fusst sie hauptsächlich auf Stiftungen und Legaten.

Sie umfasst Werke von der Gotik bis zur Gegenwart und besteht derzeit aus über 3000 Gemälden und Skulpturen sowie rund 48’000 Handzeichnungen, Druckgraphiken, Fotografien, Videos und Filmen.

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