«Leoparden von Morgen» setzen zum Sprung
Der Kurzfilm hat in der Schweiz einen schweren Stand. Weder beim Publikum noch auf dem Markt findet er grosse Unterstützung. Zu Unrecht, wie sich wieder einmal am Internationalen Filmfestival in Locarno zeigt. Der Kurzfilm ist nicht nur ein wichtiges Ausbildungsmittel, er kann auch sehr viel Charme besitzen.
Internationales Filmfestival Locarno – das sind nicht nur grosse Filme, bekannte Schauspieler, berühmte Regisseure, das sind auch die «Leoparden von Morgen», junge Filmschaffende, die ihre Sporen erst noch verdienen und ihre Erfahrungen erst noch machen müssen. Die aber jetzt schon den Mut haben, ihre ersten Werke einem breiten und bekanntlich äusserst kritischen Publikum zu präsentieren.
Seit mehr als zehn Jahren existiert die Sektion «Leoparden von Morgen». Während all den Jahren bot sie jungen Talenten die Möglichkeit, ihre Kurzfilme zu zeigen, und zog dadurch auch immer wieder Bilanz über das europäische Filmschaffen. Wie jedes Jahr sind auch heuer wieder viele Schweizer Filme-macherinnen und -macher mit dabei, darunter zwei Talente mit eindrücklichen Kurzfilmen: «Viaje en Taxi» von Nico Gutmann und «Quid Pro Quo» von Jérome Bellavista Caltagirone.
«Quid Pro Quo» oder «Viaje en Taxi»
«Quid Pro Quo» handelt von zwei jungen Ethnologiestudenten, die nach Sardinien fahren, um der lokalen Volksmusik nachzugehen. Zufälligerweise stossen sie auf eine Gruppe wortkarger Schäfer, die sich jedoch als herrliche Sänger herausstellen. Die Studenten nehmen begeistert deren Gesang auf und verabschieden sich voller Dankbarkeit und Bewunderung, ohne bemerkt zu haben, dass die Männer eigentlich etwas verbergen.
«Viaje en Taxi» schildert die erste Begegnung des Regiesseurs mit seiner leiblichen Mutter. Nico wurde in Peru geboren, doch aufgewachsen ist er bei Adoptiveltern in der Schweiz. Als dreissigjähriger Mann macht er sich auf die Suche nach seiner leiblichen Mutter und reist nach Peru. Ein Taxifahrer begleitet ihn und redet ihm Mut zu. Das erste Treffen wird ein unvergessliches Erlebnis für Mutter und Sohn.
Die beiden Kurzfilme überzeugen, weil sie sich auf eine Geschichte konzentrieren und diese mit ebenso viel Ernst wie Humor und Sympathie erzählen. Im Vordergrund beider Filme steht das Erzählen der Episoden und nicht – wie bei vielen Konkurrentinnen und Konkurrenten – raffinierte, bemüht ästhetische Kameraführung oder eine Geschichte, die an Komplexität und Problematik kaum zu übertreffen ist, sich dabei jedoch im Detail verliert.
Mehr Unterstützung
Guttmann und Caltagirone zeigen, dass der an sich eher unpopuläre Kurzfilm durchaus seinen Reiz hat und es im Grunde zu bedauern ist, dass ihm nicht öfters eine Plattform in der Schweiz geboten wird. Schliesslich stehen, wie Chicca Bergonzi, Verantwortliche der «Leoparden von Morgen», bei der Begrüssung am Freitag (03.08.) betonte, noch viele Fragen an: Dient der Kurzfilm als Sprungbrett? Gibt es für den jungen Schweizer Film eine Zukunft, wenn der Kurzfilm Schwierigkeiten hat, sich auf dem Markt und beim Publikum durchzusetzen? Werden die jungen Filmmacher gezwungen sein, ins Ausland zu ziehen, wo der Kurzfilm breitere Unterstützung findet? Diese Fragen, so Bergonzi, gilt es zu diskutieren. Locarno bietet die Gelegenheit.
Carole Gürtler, Locarno
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