Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

«Nur über die Sprache kann man am Leben teilnehmen»

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Immer mehr Deutsche zieht es in die Schweiz. Und immer mehr von ihnen wollen auch die hiesigen Dialekte lernen. So auch drei junge Leute aus dem nördlichen Nachbarland, die in Bern leben und arbeiten.

«Zum Zmorge isst er nur es Birchermüesli u trinkt Gaffe, zum Zmittag nimmt är Riis mit Gmües.» Mathias Buchholz aus Sachsen, Deutschland, tut sich schwer mit dem schweizerdeutschen Dialekt. Mühe bereiten ihm wie auch fast allen anderen sieben Kursteilnehmenden das helvetische «ch» sowie das «üe» – «Birchermüesli» ist ein Zungenbrecher.

Der junge Software-Ingenieur lebt und arbeitet erst seit drei Monaten in der Schweiz. «Die Sprache ist noch sehr fremd.» Deshalb besucht er seit Januar 2008 den Berndeutsch-Kurs von Marguerite Moser-Léchot an der Volkshochschule Bern.

An diesem Montag Abend geht es im Dialekt-Kurs von Moser-Léchot um Essen und Restaurants. Schnell rückt man Tische und Stühle zusammen und improvisiert eine Pizzeria. Die einen der Kursteilnehmenden sind Gäste, die anderen Servierpersonal.

«Ich verstehe noch längst nicht alles»

Kathleen Pospich aus Cottbus bei Berlin nimmt die Bestellungen auf. Lustigerweise wollen alle dasselbe trinken: eine «Stange» (3 dl offenes Bier). Es wird viel gelacht, das Berndeutsch tönt bei den meisten noch etwas holprig.

Die junge Sozialpädagogin will den hiesigen Dialekt verstehen, um sich integrieren zu können. «Nur über die Sprache kann man am Leben teilnehmen. Mir ist es wichtig, die Menschen zu verstehen. Sonst funktioniert das nicht.»

Pospich spricht bei ihrer Arbeit mit den Kindern manchmal Dialekt oder versucht es zumindest. «Mit den Kindern lernt man schnell und hat weniger Hemmungen.» Nach erst drei Monaten in der Schweiz versteht sie noch längst nicht alles und spricht meistens Hochdeutsch.

Alltags-Vokabular

Kursleiterin Moser spricht ausschliesslich Berndeutsch, wenn auch langsam und klar. In erster Linie geht es darum, ein Gefühl und ein Ohr für die Sprache zu bekommen. Es geht aber auch ums Reden.

Während des Unterrichts versuchen alle, Mundart zu reden. «Ob sie es dann auch draussen anwenden, zum Beispiel bei der Arbeit oder beim Einkaufen, kann ich schlecht beurteilen», sagt Moser-Léchot, die schon seit rund 15 Jahren Berndeutsch-Kurse gibt.

In Rollenspielen werden Alltagssituationen geprobt. Es geht um Begrüssung, Einkaufen, Essen, Krankheit, Ferien und vieles mehr.

Die Berndeutsch-Expertin erklärt, wenn das Bedürfnis besteht, auch Unterschiede zu anderen Dialekten, sie erzählt von kulturellen Schweizer Eigenheiten, arbeitet immer wieder mit den Texten des legendären Berner Liedermachers Mani Matter oder – gerade jetzt – mit der neuesten CD der Berner Mundartrock-Gruppe Züri West.

Den Text des Songs «Es Schiff im Sand» zu verstehen, fällt den Nicht-Schweizern nicht eben leicht.

«Was heisst: es het nume chly gluftet», fragt Kathleen Pospich. «Das bedeutet, dass es etwas Wind hatte. Luft kann auch Wind bedeuten», erklärt die Sprachlehrerin.

Wenn Schweizer Hochdeutsch sprechen

Christopher Schmidt versteht Berndeutsch nach bald fünf Jahren mittlerweile recht gut. Jetzt will der IT-Spezialist lernen, was korrektes Berndeutsch ist. Könnte ja sein, dass er länger hier bleiben will.

«Hin und wieder kommt ein Wort vor, das ich nicht kenne. Mühe habe ich auch, wenn jemand einen Dialekt aus den Bergen spricht», sagt der Mann aus Karlsruhe.

Mathias Buchholz findet es «nervig», wenn man in jedem zweiten Satz sagen muss: «Entschuldigung, könnten Sie das auf Hochdeutsch sagen?» Und wenn die Schweizer dann antworteten, wohl auf Hochdeutsch, tönt es für den Mann aus Sachsen wie «eine Fremdsprache».

Es werde wohl noch Monate dauern, bis er die Schweizer verstehen könne. Und das mit dem Sprechen komme wohl mit der Zeit automatisch. «90% heimische deutsche Sprache, mittendrin ein paar Dialekt-Ausdrücke.»

Ein paar berndeutsche Ausdrücke hat der junge Deutsche jedenfalls schon aufgeschnappt: Dass ein Puff nicht nur ein Bordell, sondern auch ein Chaos bei einer Baustelle sein kann.

Deutsche haben es nicht unbedingt einfach

Christopher Schmidt aus Süddeutschland hat die Erfahrung gemacht, dass Berndeutsch mit serbischem Akzent in der Schweiz für normaler gehalten wird als ein Berndeutsch mit hochdeutschem Akzent. Das komme eher schlecht an – was es für Deutsche nicht eben einfacher macht.

Laut Marguerite Mosers Erfahrungen fällt es den Deutschsprachigen relativ leicht, Schweizerdeutsch zu verstehen. Beim Sprechen sei das nicht unbedingt der Fall. «Wer unbelastet von einer anderen Sprache herkommt, hat es mit der Aussprache einfacher.»

swissinfo, Gaby Ochsenbein

Gemäss Ausländerstatistik per Ende 2007 sind von den gut 7,5 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern 1,57 Mio. Ausländer. Das sind 20,7%.
Mehr als 200’000 oder 12,9% aller Ausländer stammen aus Deutschland.
Deutschland steht damit nach Italien (18,43%) an 2. Stelle, gefolgt von Serbien (11,6%) und Portugal (11,6%).
Rund 40’000 deutsche Staatsangehörigen kamen 2007 in die Schweiz, etwa 10’000 haben sie verlassen.
2007 haben 1361 Deutsche das Schweizer Bürgerrecht erworben.
2006 waren es 1134.
Seit August 2007 können die Deutschen Doppelbürger sein. Seither haben die Gesuche um die Schweizer Staatsbürgerschaft markant zugenommen.
Die Schweiz ist in den letzten Jahren zum beliebtesten Auswanderungsziel für Deutsche geworden.
Über die Hälfte der in der Schweiz wohnhaften Deutschen sind Führungskräfte oder Akademiker.

In der Schweiz werden an Universitäten, Volkshochschulen, der Migros-Klubschule und anderen Instituten Kurse in Schweizerdeutsch angeboten.

Seit die Zahl der Deutschen in der Schweiz zunimmt, wurde auch das Angebot erhöht ausgeweitet.

Die Volkshochschule bieten in Basel, Bern, Biel, Jura und Grenchen Dialektkurse an.

Die Volkshochschule Bern bietet neu einen Crash-Kurs an: 3 x 2 Stunden Berndeutsch über Mittag für Berufstätige.

Die Migros-Klubschule führt seit 30 Jahren Schweizerdeutsch-Kurse.
Insgesamt sind es heute 112 Kurse in der Schweiz, 24 davon für Fortgeschrittene, sprich für Leute deutscher Muttersprache.

34 Kurse gibt es in der französischsprachigen Schweiz.

Zwischen 2006 und 2007 hat das Angebot von Schweizerdeutsch-Kursen bei Migros um 30% zugenommen, bei Kursen für Deutschsprachige um fast 50%.

Das Angebot wurde insbesondere in den Städten Zürich, Basel und Bern erhöht, wo auch am meisten Deutsche arbeiten.

In Zürich plant die Migros-Klubschule ein «Schweizerdeutsch-Tram, das über Mittag fährt. Die Rundfahrt im Extratram dauert 70 Minuten, inkl. Mittagessen. Mit Flyern und via Lautsprecher wird Schweizer Mundart vermittelt.

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