Presseschau vom 25.11.2002
Für die Schweizer Presse ist klar: Trotz hauchdünner Mehrheit hat die Landesregierung die Abstimmung über die Asylinitiative eigentlich verloren.
Es müsse zu denken geben, dass die Hälfte der Stimmenden die humanitäre Tradition der Schweiz beenden wolle, so der Tenor.
«Asylinitiative spaltet das Land», beschreibt die BERNER ZEITUNG den Umstand, dass sämtliche Westschweizer Kantone und das Tessin geschlossen das von der Deutschschweiz gutgeheissene Volksbegehren ablehnen.
Der Röstigraben sei zwar bei vergleichbaren Vorlagen auch schon tiefer gewesen, schreibt DER BUND, aber das Abstimmungsergebnis deute nichts desto weniger auf ein in der Asyl- und Sozialpolitik sprachregional geteiltes Land. Und weiter:
Pyrrhus-Sieg für Bundesrat und Parlament
«Wenn die Hälfte der Stimmenden das Risiko eingeht, das Asylrecht faktisch abzuschaffen und die humanitäre Tradition unseres Landes zu zerstören, zeigt das tiefen und breiten Verdruss.»
Fazit des Blattes: «Bundesrat und Parlament haben amWochenende zwar zweimal gewonnen. Aber in einem geteilten Land mit steigender Unruhe».
Für die meisten Zeitungen, so auch den TAGES-ANZEIGER, ist es bedenklich, dass so viele Ja zur Asylinitiative gesagt haben, denn:
«Der Beinahe-Erfolg hat Folgen, die weit über die Asylproblematik hinausgehen. Das gute Abschneiden der Initiative gibt denen in der SVP Auftrieb, die seit Jahren die Missstimmung gegen Ausländer schüren und die vorhandenen Überfremdungsängste wahlpolitisch auszuschlachten suchen.»
Zittersieg über das Réduit
Als «Zittersieg des Asyllands über das Réduit» wertet die BASLER ZEITUNG das Abstimmungsresultat. Zum Glück sei es nicht gelungen, den Ruf des Asyllandes Schweiz im Ausland zu beschädigen, denn:
«Die echten Flüchtlinge müssen wissen, dass das elementare Recht auf Asyl hier gilt, ohne dass Zufälle wie das Transportmittel oder der eingeschlagene Weg dahin es allenfalls löschen.»
Von einem «échec triomphal de l’UDC» – einer triumphalen Niederlage der SVP – spricht die Genfer Zeitung LE TEMPS , betont dann aber, dass die Partei politisch gesehen gestärkt da stehe.
Der BLICK geht da noch weiter: Bundesrätin Ruth Metzler habe verloren – die eigentliche Siegerin sei Ueli Maurers SVP: «Sie hat mit ihrer Initiative den Nerv der Deutschschweizer getroffen.»
SVP nicht kaltstellen
Die NEUE LUZERNER ZEITUNG warnt vor einer Ausgrenzung der SVP: «Rechte Rüpel sind dafür kein Argument. Viel eher wird der verstärkte Einbezug der SVP rechte Rüpel ins Abseits stellen».
Nach Ansätzen zur Verhinderung von Missbräuchen im Asylwesen sucht die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: «Wie können wir im gegenseitigen Interesse europäisch und international kooperieren? Mit welcher ungewollten Einwanderung haben wir in jedem Fall zu rechnen? fragt die NZZ und findet, es wäre einer offenen Diskussion über derartige Fragen vielleicht dienlich, das Thema etwas weniger moralisch aufzuladen:
«Gerade auch beim jüngsten Volksentscheid spielte ein Pragmatismus entscheidend mit, der die – nie völlig selbstverständliche – humanitäre Tradition durchaus stützen kann.»
Internationales Echo
Mehr am Rande kommentieren die ausländischen Presseerzeugnisse den Schweizer Abstimmungs-Sonntag. Die Wahlen in Österreich haben Vorrang.
Die Schweiz lasse zwar die Tür offen, schreibt etwa die INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE, aber knapp.
Für die Korrespondentin der NEW YORK TIMES hätte die Annahme der Initiative bedeutet, dass eines der reichsten Länder für Asyl Suchende die Grenzen sperrt.
Einem Bruch mit der humanitären Tradition der Schweiz wäre laut der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ein Ja zur Initiative gleich gekommen.
Der Genfer Korrespondent des französischen FIGARO betont die restriktive Ausrichtung des SVP-Vorstosses, während andere Blätter, wie die italienische STAMPA und die britische TIMES kommentarlos das Abstimmungsergebnis vermelden.
swissinfo, Monika Lüthi
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