听不懂 – Ich höre, aber verstehe nicht
Chinesisch gilt hierzulande als eine der schwierigsten Sprachen der Welt. Die Chinesen selber finden ihre Sprache aber gar nicht schwierig. Dafür kämpfen sie ihrerseits sehr mit den Feinheiten des Englischen.
Die Anforderungen ans menschliche (und speziell ans westliche) Gehirn beim Chinesisch sprechen sind gewaltig: Mandarin fühlt sich im praktischen Gebrauch eigentlich gar nicht an wie eine Sprache. Eher wie synchron Laute raten, Scrabble spielen oder Kreuzworträtsel lösen.
Gelernt werden müssen 3000 bis 5000 alltägliche Schriftzeichen, viereinhalb unterschiedliche Betonungen für jede einzelne Silbe, wobei jede Betonung mehrere, wenn nicht gar Dutzende unterschiedliche Bedeutungen haben kann.
Die Zeichen geben nur bedingt Hinweise auf ihre Betonung, Worte werden nicht mit einem Leerzeichen abgetrennt. Und jeder kleinere oder grössere Ort verpackt das Ganze in einen eigenen Dialekt.
Die Herausforderung
Zusammengefasst ist die Sprache also für Ausländer auf den ersten Blick – sinnbildlich für viele andere Lebensbereiche Chinas – ein wuselndes Chaos. In kürzester Zeit muss man beim Zuhören die Betonung richtig heraushören, einzelne Wörter identifizieren und gleichzeitig deren Bedeutung aus dem Kontext des ganzen Satzes herausschälen.
Schlimm für mein Berner Hirn. Das strengt sich zwar gewaltig an, kommt aber immer wieder zum Schluss: «听不懂»: «Ich höre, aber verstehe nicht.»
Erfolge…
Seit 8 Jahren beschäftige ich mich schon mehr oder weniger intensiv mit dieser Herkules-Aufgabe, und die Ergebnisse sind gleichsam erheiternd und frustrierend.
Einerseits reagieren viele Chinesen unglaublich freudig auf Ausländer, die sich bemühen, ein zwei Worte Chinesisch richtig auszusprechen. Schon fast euphorisch sind die Reaktionen, wenn man ein Gespräch in Gang bringen kann. Und die Erheiterung ist gross, wenn dabei immer wieder aufgrund falscher Betonung ungewollt zweideutige Bemerkungen im Gespräch auftauchen.
…und Misserfolg
Andererseits kann aber auch der Frust gross sein. Mein erstes Telefongespräch in China als Beispiel war traumatisierend: Eine chinesische Kollegin wollte mir Shanghai zeigen. Ich sollte sie anrufen, um mit ihr einen Treffpunkt abzumachen. Als ich anrief war sie schon weg, doch ihr Vater wusste Bescheid.
Der arme Mann hatte meinen Anruf offenbar schon ungeduldig erwartet, denn kaum hatte er abgenommen ratterten die Informationen auch schon auf mein überfordertes Gehirn ein. Dieses dachte immerzu nur 听不懂, 听不懂.
Nach kurzem ratlosem Zuhören bat ich den Herrn, etwas langsamer zu sprechen. Dieser wurde dadurch zunehmend nervös und wiederholte gleich schnell, aber lauter seine Anweisungen. Ich sagte also 听不懂. Ein Fehler.
Nun wurden seine beschwörenden Erklärungen nicht nur lauter, sondern auch noch viel schneller. Nach einer weiteren Bitte um Langsamkeit brüllte mein zunehmend hilfloses Gegenüber förmlich ins Telefon. Irgendwann sah ich mich verzweifelt gezwungen, das Gespräch aus Sorge um seine Stimmbänder abrupt zu beenden.
Chinglisch
Fairerweise haben allerdings auch die Chinesen und Chinesinnen ihre liebe Mühe mit westlichen Fremdsprachen. Vor den Olympischen Spielen wollte die Pekinger Regierung die Englischkenntnisse ihrer Taxifahrer verbessern. Den Fahrern wurden Lern-Tonbänder für ihre Autoradios verteilt, und die Damen und Herren mussten in Kursen einfachste Konversation büffeln.
Der Erfolg hielt sich in engen Grenzen. Viele Taxifahrer winken heute beim Thema Englisch verlegen ab. Die schrecklichen Laute des Englischen seien einfach zu sonderbar für ihr Gehirn. 听不懂.
Auch Schilder im öffentlichen Raum und in Geschäften wurden vor den Olympischen Spielen auf korrektes Englisch überprüft. Auch hier waren die Erfolge nur temporär. Und so tummeln sich heute wieder massenweise Schilder in der Stadt, welche die 听不懂-Problematik witzig und zum Teil erstaunlich poetisch auf den Punkt bringen.
Eigentlich wäre es ganz einfach
Nach langem Üben habe ich nun endlich doch noch realisiert, dass die Chinesen recht haben und ihre Sprache eigentlich ganz einfach wäre. Der Trick: Chinesisch ist nur schwierig, so lange man sich in westlicher Logik an Gesetzen, Regeln und Richtlinien zu orientieren versucht.
Sobald man sich dem Chaos ergibt, gelöst drauflos redet und das von anderen Gesagte frei interpretiert, wird es tatsächlich einfacher. Nicht präzise Aussagen, sondern Flexibilität ist gefragt. Angewandte Lebensphilosophie im Sprachgebrauch.
Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen, für ein Stage oder zum Arbeiten.
Zu ihnen gehört auch Christian Binz, der gegenwärtig in Beijing forscht.
Bis im Sommer 2011 berichtet er für swissinfo.ch über seine Erfahrungen und Beobachtungen in Beijing.
Christian Binz ist 27 Jahre alt. Er hat an der Universität Bern Geographie mit den Nebenfächern Volkswirtschaft, Philosophie und Chinesisch studiert.
Für seine Masterarbeit untersuchte er das chinesische Innovationssystem für dezentrale Wasserrecycling-Technologie.
Aus dieser Arbeit entwickelte sich seine Doktorarbeit, ein Kooperationsprojekt zwischen der Eawag (Wasserforschungsinstitut an der ETH) und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.
Seit September 2010 lebt er in Peking und arbeitet für sein Projekt, das untersucht, ob China in seinem urbanen Wassermanagement zu nachhaltigeren Lösungen finden könnte.
Christian Binz war insgesamt schon fünfmal in China und hat weite Teile des Landes bereist.
Nebst Reisen ist sein grösstes Hobby die Musik, insbesondere seine Band Karsumpu, wo er Mundharmonika, Piano und diverse «Binztrumente» spielt (www.karsumpu.ch).
Nebenbei ist er begeisterter Filmer, Sportler und Hochseesegler.
Nebst seiner Muttersprache Deutsch spricht er Englisch, Italienisch, Französisch und Chinesisch.
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