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Drei Jahre Gefängnis für Sterbehelfer

Im Sterbezimmer: Suizidbegleiter dürfen keine aktive Rolle spielen. Keystone

Der Zürcher Sterbehelfer Peter Baumann muss ins Gefängnis. Das Basler Strafgericht hat den Psychiater wegen fahrlässiger Tötung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, davon ein Jahr unbedingt.

Der Staatsanwalt hatte auf sieben Jahre Freiheitsentzug, die Verteidigung auf Freispruch plädiert.

Das Basler Strafgericht zog Baumann beim Strafmass die drei Monate Untersuchungshaft ab, die er von Februar bis Mai 2003 abgesessen hatte.

Der bald 72-jährige Psychiater muss zudem die Verfahrenskosten von gut 50’000 Franken sowie Urteilsgebühren von knapp 15’000 Franken übernehmen.

Baumann, Präsident des Vereins Suizidhilfe Schweiz, war wegen drei Sterbehilfe-Fällen zwischen 2001 und 2003 in Basel und Luzern angeklagt. In zwei Fällen sprach die Kammer des Basler Strafgerichts Baumann schuldig, im dritten kam sie zu einem Freispruch.

Grobe Pflichtverletzung

Im ersten Fall hatte Baumann einen 46-jährigen Mann beim Suizid begleitet, der seit langem unter einer Zwangsneurose und schweren Depressionen litt, von der Sterbehilfeorganisation Exit aber abgewiesen worden war. Baumann verwendete eine selbst gebastelte Atemmaske, die zum Tod des Mannes durch Ersticken führte.

Der Psychiater sei dabei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Mann am Todestag urteilsfähig gewesen war, sagte Gerichtspräsident Lukas Faesch in der mündlichen Urteilsbegründung. Dass dieser sich als unheilbar erachtete und keine Alternativen sah, gehöre vielmehr zum Bild einer schweren Depression.

Nahe am Vorsatz

Faesch verwies auf ein gerichtsmedizinisches Gutachten. Der Mann sei damals nicht in der Lage gewesen, selbst zu entscheiden. Die Tatherrschaft sei daher bei Baumann gelegen. Dieser habe aber seine ärztliche Sorgfaltspflicht grob verletzt und seine Diagnose nicht genügend abgestützt.

Der Gerichtspräsident sprach dabei von einer “dilettantischen Diagnostiziererei”, die nicht auf der Höhe der Zeit gewesen sei. Zudem reiche es nicht aus, sich auf die eigene Erfahrung zu stützen. Das Gericht sprach Baumann daher der fahrlässigen Tötung als mittelbarer Täter schuldig.

Publizität gesucht

Im zweiten Fall hatte Baumann eine halbseitig gelähmte Frau in den Tod begleitet. Der Fall wurde vom Schweizer Fernsehen DRS dokumentiert, nachdem Baumann einen Kontakt vermittelt hatte. Das Gericht verkenne die altruistischen Beweggründe Baumanns nicht, sagte der Präsident; die selbstsüchtigen Motive würden aber überwiegen.

So habe Baumann zwar keine materielle Bereicherung verfolgt, aber mit seinem Vorgehen Geltungsdrang an den Tag gelegt. Er suche Anerkennung, die er mit niemandem teilen wolle und habe in dem Fall bewusst Publizität für sich und seinen Verein gesucht.

Weiterzug?

Das Gericht sprach ihn daher in diesem Fall der Beihilfe zum Suizid schuldig; in der Schweiz ist diese strafbar, wenn sie aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt. Im dritten – von Baumann bestrittenen – Fall sprach das Gericht Baumann jedoch frei, weil es keinen einzigen Beweis dafür gebe, dass er überhaupt am Tatort gewesen sei.

Im übrigen warf der Gerichtspräsident Baumann Methoden vor, die zum Teil “amateurhaft”, menschenverachtend und nicht akzeptabel seien. Das Gericht habe jedoch nur zu beurteilen, ob ein Tatbestand erfüllt sei. Über einen allfälligen Weiterzug wollen beide Seiten erst nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden.

swissinfo und Agenturen

Sterbehilfe-Organisationen haben 2006 in der Schweiz mehr als 350 Menschen in den Tod begleitet.
Es gibt fünf Organisation, die grössten sind Exit und Dignitas.
Exit (50’000 Mitglieder) 2006: 150 Sterbebegleitungen (nur Schweizer Bürger).
Dignitas (5000 Mitglieder) 2006: 195 Sterbebegleitungen, davon 120 an Deutsche.

Schweiz: Sehr liberale Praxis. Passive Euthanasie (Einstellen einer Therapie, Abstellen von Maschinen) nicht strafbar. Aktive Euthanasie gilt als Tötung und ist strafbar.

Deutschland: Suizidbeihilfe ist Ärzten untersagt.

Frankreich: Passive Euthanasie ist Ärzten und Angehörigen künftig erlaubt. Aktive Euthanasie aber weiterhin verboten.

Italien: Weder aktive noch passive Sterbehilfe sind erlaubt.

Niederlande und Belgien: Aktive Euthanasie ist unter bestimmten Bedingungen erlaubt.

England: Restriktivste Regelung in Europa. Sterbehilfe ist gesetzlich nicht vorgesehen (“Sterbetourismus”).

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