Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Bund soll Sterbehilfe-Organisationen beaufsichtigen

Sterbezimmer der Organisation Dignitas in Zürich. Keystone Archive

Sterbehilfe-Organisationen in der Schweiz sollten unter staatliche Aufsicht gestellt werden und Sorgfaltspflichten einhalten müssen.

Das fordert die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) vom Bund. Damit will sie Sterbewillige vor Missbrauch schützen.

Es gebe Hinweise darauf, dass Suizidtouristen aus dem Ausland noch am gleichen Tag ihrer Ankunft in den Tod begleitet würden, sagte Daniel Hell, Mitglied der Ethikkommission, am Freitag in Bern.

Das Gremium möchte dieser und anderen Vorgehensweisen nun einen Riegel vorschieben.

Es hat zu Handen des Bundes Richtlinien erarbeitet, die Missbräuche bei der organisierten Suizidhilfe verhindern sollen.

Affekthandlung ausschliessen

Die Ethikkommission will mit dem Richtlinienkatalog namentlich sicher stellen, dass nur jene Menschen in den Tod begleitet werden, deren Suizidwunsch aus einem schweren und krankheitsbedingten Leiden erwächst. Der Sterbewunsch dürfe nicht aus dem Affekt oder einer vorübergehenden Krise hervorgehen, heisst es im Bericht.

Die Kommission erachtet es als ethisch unvertretbar, wenn Menschen wegen ihrer lebensverneinenden Haltung geholfen wird, aus dem Leben zu scheiden. Bei psychisch Kranken sollen die Hürden für die Sterbehilfe von Organisationen wie Exit oder Dignitas höher gelegt werden: Nur wenn das Leiden chronisch verläuft, soll die Beihilfe zum Suizid rechtlich möglich sein.

Begleit-Prozess

Allgemein fordert die Ethikkommission, dass Suizidwillige eine intensivere und längere Begleitung erhalten. Mehrmalige Kontakte und intensive Gespräche seien unabdingbar; eine Entscheidung auf dem Korrespondenzweg oder per Telefon dürfe nicht mehr möglich sein.

Dabei sei besonders wichtig, mit den Betroffenen Einzelgespräche zu führen, sagte die Geschäftsführerin der Ethikkommission, Sibylle Schürch. Nur so könne sicher gestellt werden, dass der Suizidwunsch nicht auf äusserlichen Druck zu Stande gekommen sei.

Die Begleiter sollen zudem die Pflicht haben, ihre Klienten auf Alternativen zur Selbsttötung hinzuweisen. Und in jedem einzelnen Fall müsse eine Zweitmeinung eingeholt werden.

Von Bundesrat enttäuscht

Mit dem Kriterienkatalog konkretisiert die Ethikkommission ihre letztjährige Forderung an die Schweizer Regierung, die organisierte Sterbehilfe einer staatlichen Kontrolle zu unterstellen.

Im Mai dieses Jahres hatte der Bundesrat (Landesregierung) jedoch eine solche staatliche Aufsicht abgelehnt. Er argumentierte, das geltende Recht sei griffig genug, um Missbräuche zu verhindern.

Zahl steigt

Jetzt zeigte sich die Ethikkommission von der Untätigkeit des Bundesrats enttäuscht: “Wir hatten gehofft, dass unsere Empfehlungen Eingang ins Justizdepartement finden”, sagte Kommissionspräsident Christoph Rehmann.

Mit den konkreten Richtlinien wolle die Kommission nun ihren Forderungen weiter Nachdruck verleihen. Die Zahlen der begleiteten Suizide stiegen von Jahr zu Jahr an. Damit nehme auch die Gefahr von Missbrauch zu, sagte Rehmann weiter.

Die Ethikkommission steht mit ihren Forderungen allerdings nicht allein da: Im vergangenen Juni reichte die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) eine parlamentarische Initiative ein, welche die Sterbehilfe gesetzlich regeln will. Sozialdemokraten (SP) und Christlichdemokraten (CVP) unterstützen das Begehren.

swissinfo und Agenturen

Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern ist in der Schweiz die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt.

Von Jahr zu Jahr gewinnen Suizidhilfe und Sterbetourismus an Bedeutung. Sowohl bei der Sterbehilfeorganisation Exit wie Dignitas ging die Zahl der begleiteten Suizide in den vergangenen Jahren stark nach oben.

In der Schweiz gibt es jährlich 350 assistierte Suizide.

Besonders stark war die Zunahme der Sterbewilligen aus dem Ausland Suizidwillige kommen aus dem Ausland (rund 100 Fälle). Gemäss der Ethikkommission ist die Zahl der Sterbewilligen aus dem Ausland weiter steigend.

Insgesamt sei jeder fünfte Suizid in der Schweiz begleitet – im Raum Zürich sei es sogar jeder dritte. Die Suizidraten lägen in der Schweiz deutlich über dem weltweiten Durchschnitt.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft