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Erste Flüchtlingshelferin rehabilitiert

Aimée Stauffer-Stitelmann wurde 1945 von einem Militärgericht verurteilt, weil sie Flüchtlingen geholfen hatte. Keystone

Aimée Stitelmann hat in der Nazizeit Flüchtlingen geholfen und wurde 1945 dafür verurteilt. Nun wurde das Urteil annuliert.

Die Rehabilitierungs-Kommission machte damit erstmals vom neuen Bundesgesetz über die Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer Gebrauch.

“Ich bin sehr zufrieden mit diesem Entscheid, weil die Schweiz damit ein legitimes Handeln von Personen anerkennt, die sich unter schwierigsten Bedingungen mutig gezeigt haben”, sagt die Genfer Nationalrätin Martine Brunschwig Graf, Mitglied der Kommission, gegenüber swissinfo.

Es sei auch ein wichtiges Zeichen gegen aussen und eine grosse Ehre für die Schweiz, so Brunschwig Graf weiter.

Aimée Stauffer-Stitelmann ist damit die erste Flüchtlingshelferin, deren Urteil auf Grund eines seit dem 1. Januar geltenden Bundesgesetzes aufgehoben wurde.

Das Gesetz ermöglicht die Rehabilitierung von Leuten, die wegen ihrer Tätigkeit als Flüchtlingshelfer während des Nationalsozialismus verurteilt worden waren.

Weitere 27 Gesuche um Rehabilitierung sind laut Kommissions-Präsidentin Françoise Saudan noch hängig. 26 Anträge reichte die Paul Grüninger Stiftung als Sammelgesuch ein, dazu kommt ein einzelnes Gesuch von Hinterbliebenen.

Scharfer Arrest

Die 79-jährige französisch-schweizerische Doppelbürgerin Stauffer-Stitelmann war 1945 in Genf von der Militärjustiz mit 15 Tagen scharfem Arrest bestraft worden.

Während drei Jahren hatte die damals ledige Stitelmann 15 Kinder, meist Waisen, in die Schweiz gebracht und Familien übergeben.

Dazu half sie anderen Flüchtlings-Helfern beim heimlichen Grenzübertritt nach Frankreich. Dabei wurde sie 1945 verhaftet und anschliessend für dieses Delikt verurteilt.

17-köpfige Kommission

Die aus zwölf Nationalrats- und fünf Ständeratsmitgliedern bestehende Kommission (RehaKo) prüft auf Gesuch hin oder von Amtes wegen, ob ein konkretes Strafurteil unter die generelle Aufhebung fällt. Ihr Entscheid ist endgültig, einen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung gibt es nicht.

Gesuche können von den Verurteilten selber oder von den Angehörigen eines verstorbenen Verurteilten eingereicht werden.

Gesuchsberechtigt sind mit deren Einverständnis auch im Inland domizilierte schweizerische Organisationen, die sich dem Schutz der Menschenrechte oder der Aufarbeitung der Schweizer Geschichte zur Nazizeit widmen.

Die schriftlichen und eigenhändig unterschriebenen Gesuche sind vor dem 31. Dezember 2008 einzureichen, in begründeten Ausnahmefällen bis spätestens Ende 2011.

Entschuldigung

Die Schweizer Regierung hat sich 1995 für die Behandlung von Flüchtlingen offiziell entschuldigt.

Die Gesetzesänderung geht zurück auf einen parlamentarischen Vorstoss von SP-Nationalrat Paul Rechsteiner.

Rechsteiner gelang es, den Schweizer Polizeihauptmann Paul Grüninger, der Tausende von Juden vor den Nazis gerettet hatte, postum zu rehabilitieren.

2002 erklärte der Bundesrat die Bestrafung von Flüchtlingshelfern während des Zweiten Weltkrieges als ungerecht. Im Juni 2003 sprach sich das Parlament für eine Änderung des Gesetzes aus.

Nun sei es wichtig, so Brunschwig Graf, dass die Arbeit der Rehabilitierungs-Kommission transparent gemacht werde, auch in den Medien.

swissinfo und Agenturen

Aimée Stauffer-Stitelmann ist die erste Flüchtlings-Helferin aus dem Zweiten Weltkrieg, die aufgrund der neuen Gesetzgebung rehabilitiert wird.

Sie hatte in den Kriegsjahren 15 Kinder, meist Waisen, in die Schweiz gebracht.

1945 wurde sie von der Militärjustiz in Genf zu 15 Tagen scharfem Arrest verurteilt.

Insgesamt hatte die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs rund 300’000 europäischen Flüchtlingen Zuflucht geboten.

Rund 20’000 Menschen jedoch, meist Juden, wurden an der Grenze abgewiesen und damit meist in den sicheren Tod abgeschoben

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