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Genfer Konventionen unter der Lupe

Das Los der Gefangenen Taliban in Guantanamo erhitzt die Diskussion um die Genfer Konventionen. Keystone Archive

Gemäss einem Bericht der "Washington Post" ist die Schweiz dabei, die Genfer Konventionen "zu überdenken".

Bern seinerseits bestätigt, dass es einen Forschungsauftrag vergeben hat, um bestimmte humanitäre Fragen in Bezug auf ihre Aktualität zu untersuchen.

Unter dem Titel “die Schweiz überdenkt die Genfer Konventionen” schreibt die Washington Post vom 18. September von einem Auftrag, den die Schweizer Regierung erteilt hätte. Sie wolle abklären lassen, ob eine Revision der Genfer Konventionen notwendig sei.

Die amerikanische Zeitung zitiert in diesem Zusammenhang den Schweizer Botschafter in Washington, Christian Blickenstorfer. Er habe darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit dem 11. September und der Militäroperation in Afghanistan “bestimmte Lücken” in den humanitären Verträgen sichtbar geworden seien.

Ein Auftrag wurde erteilt

In Bern ist das Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) der Meinung, der Zeitungsartikel sei “verwirrlich”. Aber Bern bestätigt, dass man tatsächlich einem Institut der Harvard-Universität einen diesbezüglichen Forschungsauftrag erteilt habe.

Die Sprecherin des EDA, Muriel Berset-Kohen bestätigte, dass die Abteilung für humanitäre Politik und Konfliktforschung der amerikanischen Harvard-Universität beauftragt worden sei “Überlegungen zu rechtlichen und praktischen Fragen der Anwendung der Genfer Konventionen unter den heutigen Gegebenheiten” anzustellen.

Die neue Wirklichkeit berücksichtigen

Die Washington Post verweist ausdrücklich auf die Bestimmungen, “welche die Behandlung der Kriegsgefangenen betreffen”. Und bei welchen Punkten man sich fragen sollte, “ob sie auf den neusten Stand gebracht oder ob sie aufgrund der Frage des Terrorismus neu interpretiert werden müssten.”

Die durch die Schweiz eingeleitete Abklärung gehe noch einen Schritt weiter, sagt Muriel Berset-Kohen: “Es geht darum, zu wissen, ob der derzeitige Stand des internationalen humanitären Rechtes alle Arten von Konflikten berücksichtigt, insbesondere die neue Form der von nicht staatlichen Armeen ausgeübten Gewalt.”

Die Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konventionen “muss deren Respektierung unter allen Umständen fördern”, sagt Berset-Kohen. Dazu gehöre auch, abzuklären, ob das derzeitige Recht den neuen Gegebenheiten gerecht werde, oder ob man es anpassen müsse.

Eine Forschungsagenda

Das Fachinstitut von Harvard geniesst einen hervorragenden Ruf in diesem Bereich. Aber dieses Mandat geht über das gewöhnliche Mass der Forschung hinaus.

Das Institut hat deshalb von Bern “grünes Licht” erhalten, um informelle Konsultationen mit Regierungen und unabhängigen Experten aufzunehmen, damit eine Art “Forschungs-Katalog” erstellt werden kann.

Im Moment sei es nicht angebracht, die Schlussfolgerungen der Wissenschafter vorwegzunehmen. Beim jetzigen Mandat handle es sich um eine erste Etappe. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Mandat verlängert werde, hiess es in Bern.

Auch sei es noch zu früh, davon zu sprechen, dass ein so heikles Thema auf die Tagesordnung der Konferenz des Internationen Komitees vom Roten Kreuz und des Roten Halbmondes gelangen könnte. Die Konferenz soll Ende des kommenden Jahres stattfinden.

Das Herz der Verträge bleibt bestehen

Tatsache bleibt, dass seit Beginn des Jahres da und dort Argumente zugunsten einer Revision der Bestimmungen der Genfer Konventionen laut geworden sind.

In Diskussionen über das Los der im Afghanistan-Krieg gefangenen Personen und ihrer Inhaftierung in Guantanamo habe man sogar aus amerikanischen Kreisen gehört, das internationale Recht sei in diesem Fall mehr oder weniger ausser Kraft gesetzt worden.

Auch in diesem Zusammenhang hat die Schweizer Diplomatie immer eindeutig Stellung bezogen und das Übereinkommen als “striktes gesetzliches Minimum” bezeichnet. Jakob Kellenberger, Präsident des IKRK, hatte immer wieder betont, dass die Genfer Konventionen “den Konflikten von morgen” angepasst werden müssten.

Schweiz will Verträge verbessern

Der Titel der Washington Post lässt glauben, dass sich die Schweiz von den humanitären Verträgen distanzieren wolle. Das Gegenteil sei der Fall: Die Schweiz versuche Wege und Mittel zu finden, sie zu verbessern.

Muriel Berset-Kohen fasst die Geschichte in zwei Sätzen zusammen: “In dieser Angelegenheit gibt es unterschiedliche Interessen: Diejenigen der Schweiz aber sind eindeutig.”

swissinfo, Bernard Weissbrodt, Genf

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