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Mali: Gegen die Prostitution von Minderjährigen

Die Mädchen, die sich prostituieren, werden immer jünger. Alain Meier/Caritas Suisse

Im westafrikanischen Staat Mali zwingt die grassierende Armut viele Frauen zur Prostitution. Oft verkaufen schon Zwölfjährige ihren Körper. Zusammen mit Einheimischen hat eine Schweizerin eine Organisation zur Beratung von Sexarbeiterinnen gegründet.

“Das sexuelle Vergnügen der Frauen zählt hier wenig. Für die Frauen ist Sexualität in erster Linie ein ökonomisches Rezept”, sagt Sylvia Sangaré Mollet.

Zwar sei es Brauch, dass die Mätressen von den Männern mit Geschenken bedacht würden. “Aber man zeigt mit dem Finger auf die Prostituierten, sie sind aus der Gesellschaft ausgeschlossen”, sagt die 49-jährige gebürtige Baslerin.

Sie kam 1992 ins westafrikanische Land, um eine Studie über die Prostitution von Minderjährigen zu schreiben. Dort lernte sie ihren malischen Mann kennen, einen Rechtsberater. Zwei Jahre später gründete das Paar die Vereinigung Danaya So. Das dritte Gründungsmitglied, eine einheimische Prostituierte, ist inzwischen an Aids gestorben.

Danaya So zählt heute 3000 Mitglieder. Das besondere an der Organisation: Nur Prostituierte können Mitglied sein. Das Ziel besteht nicht darin, die Frauen zum Ausstieg zu bewegen, sondern in der Förderung ihres Zusammenhalts und in der Information.

Frauen, selbst aus dem Gewerbe, besuchen die Bordelle und einschlägigen Lokale, wo sie ihre Kolleginnen über Risiken einer Ansteckung mit dem HIV-Virus und über ihre Rechte informieren.

“Die Stärke der Organisation besteht darin, dass die Angestellten aus dem Milieu sind und wissen, wo die Frauen und Mädchen sind. So erreichen sie auch die illegalen Prostituierten, die 60% aller Sexarbeiterinnen in Mali ausmachen”, so Sylvia Sangaré Mollet. Die anderen 40% arbeiteten in Bordellen.

Noch Kinder

Sie beobachtet, dass die Prostituierten immer jünger werden. “Ältere Frauen, die selber angeschafft hatten und jetzt Kinder hüten, schminken die Mädchen, um sie auf die Strasse zu schicken”, beschreibt Sangaré Mollet den Prozess. Das beginne bereits ab einem Alter von zwölf Jahren.

Eine verhängnisvolle Institution ist auch die Heirat im Kindesalter: “Damit wird Pädophilie völlig banalisiert”, empört sich die Schweizerin. Im Gegensatz zu den erwachsenen Frauen versuchen die Mitarbeiterinnen von Danaya So, minderjährige Prostituierte von der Strasse weg zu bringen. Eigens dafür haben sie 1997 Lakana So gegründet.

Die Kinder der Prostituierten enden mit 80% Wahrscheinlichkeit auf der Strasse, sagt die Baslerin. Da der Vater unbekannt ist, besitzen sie keine Geburts-Bescheinigung und dürfen deshalb nicht zur Schule gehen. Eine der ersten Massnahmen von Lakana So war, solche Geburtsscheine per Gerichtsentscheid zu erhalten, um diese Kinder in den Unterricht zu schicken und nachher einen Lehrplatz zu finden.

“Ich begann als 13-Jährige. Ich wurde schwanger und mein Freund verliess mich. Nach dem Tod meines Vaters übersiedelte meine Mutter mit meinen Schwestern an die Elfenbeinküste, mich liess sie hier. So hat mich eine Alte aufgelesen und mich in ein Bordell geschickt”, erzählt F. T.

“Damals kam man auf 15’000 bis 20’000 CFA-Francs pro Tag. Ein Besuch kam auf 500 CFA-Francs, heute kostet er 1000 FCFA (1.85 Schweizer Franken).”

Die heute 43-jährige und Aids-kranke F.T. hat ihre Sexarbeit aufgegeben und möchte anonym bleiben, wegen ihrer drei Töchter, jede von einem anderen Vater: “Die kennen mich in allen Bordellen von Bamako. Sylvia hat mich 1994 in so einem Etablissement gefunden und mich als Animatorin engagiert.”

“Wenn ich nun meine Tour durch die Bars mache, rauche ich, ziehe mich an und schminke mich wie früher. Sonst glauben die Leute noch, ich sei eine alte Mutter, die ihre Töchter suchen kommt. Ich lade die Mädchen auf ein Glas ein und stelle ihnen Danaya So vor. Auch zeigen wir an einem Holzpenis, wie Präservative zu gebrauchen sind.” 

Sich hinter dem Glauben verbergen und Prostituierte frequentieren

“Ich habe zwanzig Jahre in Bordellen verbracht. Um es durchzuhalten, braucht es Whisky und auf der Strasse gekaufte Aufputsch-Pillen. Der Kundenkreis umfasst alles, vom Karrenschieber bis zum Reichen”, erinnert sich F.T. 

Ihr Urteil ist hart: Die Männer würden sich hinter dem Islam verbergen, die Moschee besuchen, aber 90% von ihnen würden Prostituierte frequentieren. Und von den zehn restlichen Prozenten würden drei Viertel ihre Frauen betrügen.

Gemäss F.T. würde sich auch die Mehrzahl der Malierinnen ihren Charme gerne bezahlen lassen. Die Dienstmädchen, die Schulmädchen und sogar die verheirateten Frauen, wenn ihnen ihr Ehemann nicht genügend Haushaltsgeld für schöne Kleider überlasse: “In Mali heiratet man aus gesellschaftlichen Gründen, nicht aus Liebe.”

  

“Vor religiösen Festtagen jeweils nimmt die Anzahl der schwarz arbeitenden Prostituierten zu, weil sie sich schön fürs Fest machen wollen”, bezeugt auch Mamadou Diakité, Bildungs-Verantwortlicher für die Kinder der Frauen von Danaya So.  

“Die Mädchen gehen als Verkäuferinnen auf die Strasse, tragen ihre Waren in Körben auf dem Kopf und geben mit dem Finger zu verstehen, dass sie zur Verfügung stehen.”

Gemäss Diakité würden die meisten Männer aussereheliche Beziehungen pflegen. “Der Malier als egoistischer Mann will Sex, den er aber nicht mit seiner Frau teilen möchte. Sieht er eine Frau, die ihm gefällt, will er ihr Alter gar nicht wissen.”

“Strassenverkäuferinnen und Dienstmädchen aus armen Verhältnissen riskieren auf diese Weise, in die Prostitution abzugleiten. Als Jugendliche kommen sie in die Stadt, um etwas Geld zu verdienen und es nach Hause zu schicken. Werden sie schwanger, ohne verheiratet zu sein, schämen sie sich, ins Dorf zurückzukehren”, sagt Sylvia Mollet.

Schlecht ausgebildet und oft Analphabeten, blieben diesen Mädchen nicht viele andere Auswege, um sich und ihre Kinder über die Runden zu bringen. 

Die 49-jährige Baslerin ist mit einem Malier verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter im Alter von 8 und 16 Jahren.

Sozialpsychologie-Studium am NADEL der Eidg. Technischen Hochschule Zürich (ETHZ).

Sylvia Sangaré Mollet lebt seit 1992 in Mali, mit Zwischenaufenthalten in der Schweiz. Seit 2006 lebt sie permanent in der Hauptstadt Bamako.

Von 1994 bis 1998 war sie Koordinatorin von Danaya So.

Seit 2008 ist sie Delegierte der Caritas Schweiz in Mali.

Vertrauen.Danaya So heisst auf Bambara, der meist gesprochenen Sprache in Mali, Haus des Vertrauens. Der Name wurde von den Mitgliedern der Vereinigung ausgewählt.

Freie Frauen. Die 1994 in der malischen Hauptstadt Bamako gegründete Vereinigung bezweckt die Verbesserung der Lebensbedingungen von freien Frauen. Sie hat Zweigstellen in vier anderen Städten: Sikasso, Koutiala, Mopti und Ségou. Die Vereinigung beschäftigt 26 Sexarbeiterinnen.

Gesundheit.Danaya So kümmert sich um die Gesundheit ihrer Mitglieder (Arztpraxis und Abkommen mit Gesundheitszentren). Sie hat in den geschlossenen Häusern einen Gesundheitspass eingeführt und bietet eine Krankenversicherung für 500 FCFA (0,80 SFr.) im Monat an.

Aids. Die Vereinigung organisiert Veranstaltungen zur Bekämpfung von Aids und verkauft Präservative. Dank dieser Sensibilisierungsarbeit ist HIV-Infizierung in den Bordellen von 70% 1997 auf 24% 2009 gesunken. In Mali ist die Behandlung von Aids gratis.

Bildung.Danaya So bietet Alphabetisierungs- und andere Ausbildungskurse sowie Kleinkredite für Prostituierte an, die aus dem Beruf aussteigen wollen. Dabei werden diese nicht dazu gezwungen.

Kinder.Lakana So – auf Bambara Haus der Orientierung – wurde 1997 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen gegründet. Das Programm garantiert Schul- und Berufsausbildung der Kinder der freien Frauen. Es hilft den Kindern auch, sich mit ihren Vätern auszusöhnen.

Caritas. Die Vereinigung wird von Caritas Schweiz und Caritas Luxemburg unterstützt.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

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