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OECD: Schweiz soll Reformen vorantreiben

Landwirtschaft, Post und Gesundheitswesen - Sektoren, in denen die OECD Handlungs-Bedarf sieht. Keystone

Einmal mehr weist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Schweiz zurecht: Sie setze ihre strukturellen Reformen nicht rasch genug um.

Wolle die Schweiz ihren hohen Standard behalten, dann brauche sie mehr Wettbewerb und Wachstum.

Aus der Sicht der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) ist ein verstärktes Wachstum die grösste Herausforderung für die Schweiz. Die lange Zeitspanne mit “magerem Anstieg der Produktivität” sei Grund zu Besorgnis, schreibt die Organisation in ihrer am Freitag veröffentlichten Wirtschaftsstudie über die Schweiz.

Viel Zustimmung und Widerspruch

Aymo Brunetti, Chefökonom des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco), kommentiert die OECD-Resultate aus Schweizer Sicht gegenüber swissinfo: “Wir stimmen mit der OECD-Studie voll überein, besonders was die schwache Wachstumsraten der letzten 20 Jahre betrifft.”

Brunetti geht mit der Studie auch einig, dass die inländische Wettbewerbs-Situation angegangen werden muss, um das Wachstum zu stimulieren.

Weniger einig mit der Studie geht der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB). Die Wachstumsschwäche der neunziger Jahre sei auf konjunkturpolitische Verfehlungen und nicht auf Strukturprobleme zurück zu führen.

Falls der Euro nicht schwächer werde, so SGB-Chefökonom Serge Gaillard, und die internationale Konjunktur anziehe, werde die Schweiz einen nachhaltigen Aufschwung erleben.

Demgegenüber würdigt der Wirtschafts-Dachverband economiesuisse den OECD-Bericht als substanziell und in den wirtschaftspolitischen Empfehlungen richtig.
Allerdings seien diese Empfehlungen nicht neu.

“Wir haben deshalb nicht ein Erkenntnis- oder Wissenproblem, sondern ein Umsetzungsproblem”, sagt economiesuisse-Geschäftsführer Rudolf Walser.

Mängel auf dem Produktemarkt

Laut OECD-Studie habe auch die Tiefe der Baisse seit 2001 habe den dringenden Bedarf nach raschem und ehrgeizigerem Handeln aufgezeigt. Denn “langsames Wachstum ist kein unvermeidliches Schicksal”, sagte der OECD-Experte Claude Giorno an der Präsentation in Bern.

Die OECD spricht von “schwerwiegenden Mängeln” auf dem Produktemarkt, die sich unter anderem in den vergleichsweise hohen Preisen zeigen.

Die OECD postuliert einen eigentlichen Wechsel zu Gunsten eines wettbewerbsfreundlichen Umfelds. Explizit erwähnt sie den Bedarf für dringende Reformen im Bereich Elektrizität, Erdgas, Telekommunikation und Postdienste. Schrittweise brauche es auch mehr Wettbewerb in bisher weitgehend abgeschlossenen Sektoren wie dem Gesundheitswesen.

Auf die von der OECD verlangten Marktöffnungen angesprochen, sagte der SGB-Chefökonom Serge Gaillard, die Schweiz könne froh sein, die Strommärkte nicht geöffnet zu haben. In den liberalisierten Märkten in Europa explodierten zurzeit die Strompreise, während sie in der Schweiz zurückgingen.

Immer wieder die Landwirtschaft

Einmal mehr kritisieren zudem die Verfasser der OECD-Studie die Schweizer Landwirtschaftspolitik: Die Staatseingriffe erschwerten einen freien Markt, dies führe zu Nahrungsmittelpreisen, die weit über internationalem Level seien. In diesem Punkt geht auch der SGB mit der OECD einig.

Auch economiesuisse sieht Umsetzungsprobleme im Bereich Landwirtschaft. Die Agrarpolitik der OECD stimme nicht überein mit der von der Schweiz praktizierten Politik. Das sehe man am Beispiel der Schweizer Position bei der Welthandelsorganisation WTO.

Auch ein Preisüberwacher habe in der wettbewerbspolitischen Strategie der OECD sicher keinen Platz, so economiesuisse. Der Bundesrat müsse den Mut haben, ein Legislaturprogramm zu schnüren, das ohne Vorwegnahme von Kompromissen eine Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung präsentiere.

Das OECD-Sekretariat schätzt, dass mit ehrgeizigen Reformen in diesen Sektoren das Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) innert 10 Jahren um 8% gesteigert werden könnte.

Ältere Arbeitnehmende und Frauen

Die Studie beschäftigt sich weiter mit der heiklen Situation von älteren Erwerbstätigen und Frauen.

Ein klarer Schritt hin zu einer wettbewerbsfreundlicheren Umgebung sollte von Massnahmen begleitet sein, um die Anzahl älterer Menschen und Frauen in der Arbeitswelt zu erhöhen.

Kritik gibt es auch für das Bildungssystem: Es sei zwar teuer, liefere aber dennoch keine guten Resultate. Da brauche es eine Überprüfung. Zudem wird darauf verwiesen, dass die Gelder für die Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung (AHV) für die Zeit nach 2025 nicht gesichert seien.

In ihrer Untersuchung kommt die OECD zum Schluss, dass die kurzfristig dringendsten Aufgaben die Unterstützung des Wirtschaftsaufschwungs und die Minimierung der Deflationsrisiken seien.

Ein weiteres Absenken des Zinsniveaus sei nicht angebracht, bereits jetzt seien die Leitzinsen der Nationalbank auf rekordtiefem Niveau, so die OECD.

seco: mit Analyse einverstanden

Brunetti sieht im OECD-Länderexamen die Ergebnisse des von seinem Amt seco im Jahre 2002 verfassten Wachstumsberichts bestätigt.

Auch decke sich ein grosser Teil der Empfehlungen der OECD mit den Anstrengungen im Volkswirtschaftsdepartement, erklärte Brunetti. Zentral sei es nun, der Einsicht zum Durchbruch zu verhelfen, dass die nötigen Reformen kein Selbstzweck seien.

Gegenüber swissinfo bekräftige Brunetti, dass die Regierung, also der Bundesrat, nun die Pläne publizieren wolle, in welche Richtung die Wirtschaft in den nächsten vier Jahren zu gehen gedenke. Dabei sei es klar, dass viele von der OECD erwähnten Punkte auch im Regierungsplan wieder vorkommen.

Sicher werde der Bundesrat denkbare Reformen aufzeigen, doch müsse man in der Schweiz immer mit dem Umstand der Volksinitiativen rechnen. So könne laut Brunetti die Regierung – systembedingt – nicht im Alleingang Reformen durchsetzen.

Besonders der inländische Wettbewerb wäre schneller reformiert worden, wenn die Schweiz 1992 dem Europäischen Wirtschaftsraum beigetreten wäre, befindet Brunetti. Es sei härter, diese Massnahmen heute im schweizerischen Alleingang autonom durchsetzen zu müssen, statt sie vor zehn Jahren im Paket mit den anderen angepackt haben zu können.

swissinfo und Agenturen

In den letzten beiden Jahrzehnten lag das Wachstum der Schweizer Wirtschaft unter dem Durchschnitt der anderen OECD-Länder, so der OECD-Bericht.

Zwischen 1980 und 2002 habe beispielsweise das jährliche Wachstum im Vergleich zur Eurozone im Durchschnitt 0,75% und gegenüber den USA gar um 1,5% tiefer gelegen.

Die OECD postuliert eine Wende hin zu einem wettbewerbs-freundlicheren Umfeld. Explizit erwähnt sie den Bedarf für dringende Reformen im Bereich Elektrizität, Erdgas, Telekommunikation und Postdienste.

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