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Gewerkschafter befürchtet Unruhen in Europa

Demonstration gegen die Ausbeutung in Tunesien. Keystone

Die aktuelle Welle sozialer Unruhen in Nordafrika könnte sich auch auf Europa ausbreiten, ausser es werden neue Stellen geschaffen. Das befürchtet UNI Global Union, der internationale Dachverband der Gewerkschaften des Dienstleistungsbereichs.

Fehlende Perspektiven und fehlende Arbeitsplätze seien einer der Gründe für die so genannte Jasmine-Revolution, die kürzlich zum Sturz des tunesischen Präsidenten geführt hat, sagt Philip Jennings, Generalsekretär der in Nyon domizilierten UNI Global Union gegenüber swissinfo.ch.

Mit einer Arbeitslosenrate von 10% innerhalb der Europäischen Union sollten sich die Regierungen die Sparmassnahmen noch einmal überlegen, so Jennings.

In seiner Rede am Weltwirtschafts-Forum (WEF) in Davos lobte Jennings auch die Sozialpartnerschaft in der Schweiz.

swissinfo.ch: Besteht die Gefahr, dass sich die sozialen Unruhen von Nordafrika in Europa wiederholen könnten?

Philip Jennings: In Nordafrika beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 45%. Es gibt wirtschaftliche Ausbeutung und diese jungen Leute waren bereit, die Welt zu verändern.

In Europa erlebt England schwierige Zeiten und wir sorgen uns um Irland. In Griechenland halten die Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaftsführern und der Regierung an.

Die Politiker sind daran, das Finanzsystem zu retten, vergessen jedoch die soziale Komponente.

swissinfo.: Werden die Sparmassnahmen im öffentlichen Bereich die Spannungen erhöhen?

P.J.: Wir verstehen, dass es Interventionen brauchte, um das Finanzsystem gewisser Staaten zu retten. Doch die Art und Weise wie und die Geschwindigkeit, mit der das geschehen ist, waren schlichtweg falsch.

Die Sparmassnahmen werden jeden Haushalt treffen. Sie gehen so weit, dass wir besorgt sind um deren soziale Akzeptanz. Die Leute sehen die Konsequenzen noch nicht klar, aber sie sind auf dem Weg dazu.

swissinfo.ch: Was muss getan werden, um die Situation zu entspannen?

P.J.: Wir müssten politische Entscheide fällen, die die Arbeitnehmer in die Lage versetzen würden, ihre Arbeitsbedingungen neu auszuhandeln. Das Wachstum vor der Finanzkrise war enorm.

Die Finanz- und Geschäftswelt handelte wie eine grosse Saugpumpe und hat vom Wohlstand profitiert. Der Mittelstand hat mehr Schwierigkeiten als vorher, die Reichen sind reicher geworden.

swissinfo.ch: Ist die Schweiz mit ihrer tiefen Arbeitslosigkeit und einer funktionierenden Sozialpartnerschaft ein Modell für die restliche Welt?

P.J.: In der Schweiz setzte sich ein Verständnis durch, das davon ausgeht, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre Differenzen in Verhandlung austragen. Das muss erhalten werden.

swissinfo.ch: Ist es gerechtfertigt, dass Firmen die Produktion und die damit zusammenhängenden Jobs in kostengünstigere Länder auslagern?

P.J.: Der Hang zu tieferen Produktionskosten hat einen negativen Effekt auf die Fähigkeit, qualitativ hochstehende Produkte mit einem Mehrwert zu entwickeln und zu produzieren.

Das ist nicht lediglich eine Kostenfrage. Warum sollen Schweizer Firmen ihr Geschäftsmodell ändern, nur weil der Franken vorübergehend so stark ist?

In Indien und in China gibt es eine wachsende Mittelschicht, die in naher Zukunft 600 Millionen Leute umfassen wird. Diese wollen Produkte mit einem gewissen Prestige. Schweizer Unternehmen sollten sich also auf die Produktion exklusiver und qualitativ hochstehender Markenartikel konzentrieren.

Das 41. WEF-Treffen in Davos findet vom 26. bis 30. Januar statt. Es werden 2500 Führungspersonen aus 90 Ländern erwartet.

Das World Economic Forum wurde 1971 als “Management Symposium” von Klaus Schwab, einem in Deutschland geborenen Geschäftsmann, gegründet.

Das WEF, das diesen Namen seit 1987 trägt, ist eine nicht profitorientierte Stiftung nach Schweizer Recht. Sie setzt sich für ein Unternehmertum im globalen öffentlichen Interesse ein. Die von rund tausend Mitgliederfirmen getragene Stiftung hat ihren Sitz in Cologny, Genf.

Die Organisation sieht sich als Dialog-Plattform zwischen Entscheidungsträgern, als Hilfsinstrument für strategische Entscheide und als Katalysator für verschiedene Initiativen, die den “Zustand der Welt” verbessern wollen.

Das WEF organisiert weltweit Symposien, fördert Initiativen und Arbeitsgruppen, realisiert Studien und schlägt Master-Programme vor. Es führt jährlich eine Anzahl Treffen durch, wobei Davos – immer im Januar – das Flaggschiff ist.

2002 zügelte das WEF für einmal nach New York, aus Solidarität mit der Stadt nach den Terroranschlägen 9/11 im Vorjahr.

Davos hat schon grosse Namen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Show Business angezogen, wie Nelson Mandela, Bill Clinton, Tony Blair, Bono, Angela Merkel, Bill Gates und Sharon Stone.

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