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Presseschau vom 11.12.2003

Nach der historischen Regierungswahl mit dem Einzug von Christoph Blocher gibt der Rechtsrutsch in der Schweizer Presse viel zu schreiben.

Pragmatisch kommentiert die Presse die notwendige Änderung in der Regierung. Nur das bürgerliche Nachdoppeln mit Hans-Rudolf Merz stösst vielerorts auf.

Die Regierungswahl vom Mittwoch wird in allen Zeitungen ausführlich thematisiert: Zu grossen Frontartikeln, Bildern mit küssendem Christoph Blocher und harschen Frontkommentaren kommen auch seitenweise Hintergrund-Artikel.

Älter, rechter, männlicher

“Ein wirtschaftspolitisches Dream-Team?”, fragt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG im Inlandkommentar argwöhnisch. Dies, um festzustellen: “Ohne Zweifel hat aus der Sicht der Unternehmen mit Blocher und Merz das Dream-Team obsiegt – gemessen an allen anderen vor der Wahl herumgebotenen Kombinationen.”

Man solle nicht so tun, als ob es bisher im Bundesrat nicht schon genügend Wirtschaftskompetenz gegeben habe. Kaspar Villiger war auch ein Unternehmer, und “die nun von ihrer eigenen Partei verheizte Ruth Metzler” arbeitete als Wirtschaftsprüferin.

Die AARGAUER ZEITUNG bringt drei Schlüsselpunkte der Wahl bereits im Titel: “Lösung im Wachstum”, “Frauen sind ausgegrenzt” und “CVP hat auf der ganzen Linie versagt”.

Dieser Bundesrat spalte die Schweizerinnen und Schweizer, liest man und: “Ein rechtsbürgerlicher (reicher) Altherrenklub, die Frauen an den Rand gedrängt, die Linke marginalisiert. Für viele Junge, für die Frauen und für die so genannten einfachen Leute steht dieser neue Bundesrat nicht.”

Das Positivste an diesen Wahlen sei, dass die Konkordanz und die (modifizierte) Zauberformel gerettet seien.

Nichtwahl wäre gravierender gewesen

Auch die SÜDOSTSCHWEIZ aus Chur kommentiert, dass “weite Kreise der Bevölkerung vom Ergebnis dieser Wahl enttäuscht bis erschüttert” seien. Aber eben: “Die Folgen einer Nichtwahl von Christoph Blocher wären weit gravierender gewesen.” Und so titelt die SÜDOSTSCHWEIZ eben dennoch: “Dem Chaos entronnen.” Mit diesem “Kunststück in Problembewältigung” sei der rechtsbürgerliche Block eingebunden und damit “domestiziert” worden.

Zahlreiche andere Zeitungen gehen davon aus, dass mit dieser Regierungs-Zusammensetzung der Volkswille umgesetzt wurde. Laut BERNER ZEITUNG “wählten die Parlamentarier Leadership”.

Das Boulevardblatt BLICK zieht auf seiner Frontseite alles an Blochers Ehefrau Silvia auf: “Silvia Blocher im Glück – Mann gewählt – Tochter schwanger”. Der Machtwechsel sei perfekt, aber dafür sei Samuel Schmid mit seinen 57 Jahren nun der Jüngste in der Regierung.

Der BLICK hofft nun, dass Blocher es schafft, die preistreibenden Kartelle zu zerschlagen, den Milliarden teuren Subventionssumpf in der Landwirtschaft trocken zu legen und dabei wie versprochen die AHV nicht auszuhöhlen.

Linke hat nicht mehr viel zu sagen

Harte Zeiten für die Linke sieht der TAGES ANZEIGER kommen: “SP und CVP werden nicht mehr viel zu sagen haben.”

Der Titel des TA-Kommentars: “SP hat falsch gepokert”. Der Volkswille sei in einem wichtigen Punkt umgesetzt. Die SVP als klar stärkste Partei stellt nun zwei Bundesräte. Jetzt müsse Blocher politische Verantwortung übernehmen. Keine andere Partei sei derart stark von einer einzelnen Persönlichkeit geprägt wie die SVP.

Mit der CVP springt der TA unzimperlich um: “Ihre Weigerung, dem Wählerwillen zu entsprechen, hat dieser Partei ein Debakel beschert.” Das sei auch der Grund, weshalb Ruth Metzler als erste seit 131 Jahren abgewählt worden sei.

Der TAGES ANZEIGER wirft der CVP vor, als Partei in die Geschichte einzugehen, die sich zum Ende an Posten klammere und dadurch “eine glänzende Frauenkarriere beendet”.

Kritischere Westschweiz

Die Kommentare in den Westschweizer Zeitungen schwanken zwischen “richtig” und “falsch”. “Un triomphe brutal mais sain – ein brutaler Triumph, der gesund ist”, schreibt die TRIBUNE DE GENEVE.

Mit “La révolution conservatrice – die konservative Revolution” überschreibt der Genfer LE TEMPS seinen Frontkommentar. Die Demontage der alten Zauberformel werde verstärkt durch den persönlichen Triumpf von Christoph Blocher, der sich trotz der vielen Anfeindungen durchsetzen konnte.

Ziemlich unter der Gürtellinie titelt 24 HEURES auf ihrer Front mit einem Wortspiel: “Merz alors, c’est Blocher.” Angespielt wird natürlich auf “Merde alors, c’est Blocher – Scheisse, es ist Blocher.”

Sogar im Ausland bemerkt: “Eidgenössische Querulanten”

“Swiss ultra-nationalist” Christoph Blocher erscheint in der FINANCIAL TIMES gleich auf der Frontseite im Bildkasten . Das das Wirtschaftsblatt bringt die Sache aus europäischer Sicht auf den Punkt: “Swiss nationalist will strain relations with EU – der Schweizer Nationalist wird die Beziehungen zur EU strapazieren”.

“Rechtspopulist Blocher in Schweizer Regierung”, schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und berichtet über “eine der bisher spannendsten Wahlen” und vom Ende der Zauberformel.

“Blocher in der Schweizer Regierung”, titelt die FRANKFURTER ALLGEMEINE und deutet mit diesem Titel auch an, dass der Name Blocher dem deutschen Leser gar nicht mehr weiter erklärt werden muss – ein Umstand, der nicht für alle Schweizer Politiker in der deutschen Öffentlichkeit gilt. Wahl-Abweichler hätten “schneller als erwartet die Taktik der Mitte-Links-Parteien durchkreuzt”.

Der Schweiz-Korrespondent der FAZ schreibt von “Eidgenössischen Querulanten” und vom Umstand “wie die Schweizer Abgeordneten urdemokratischen Eigensinn bewiesen und den patriotischen Missionar Blocher in den Bundesrat wählten”. Weiter hinten in der Zeitung wird Blocher in einer Porträtspalte vorgestellt: “Endlich hat der Polterer einen Posten.”

swissinfo, Alexander Künzle

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