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Schweizer Friedenssoldat: UNO muss in Libanon bleiben

Die UNO-Friedenstruppen unterstützen auch humanitäre Aktionen im Libanon. Keystone

Einer der zwei Schweizer UNO-Beobachter im Süden Libanons betont, dass es für die Vereinten Nationen enorm wichtig ist, die Präsenz vor Ort aufrecht zu erhalten.

Hauptmann Michael Iseli erklärte dies nach dem Entscheid der UNO, ihre unbewaffneten Beobachter abzuziehen, weil Israel einen UNO-Posten bombardiert hatte. Vier Beobachter waren dabei getötet worden.

Kürzlich sind die UNO-Blaumützen ins Hauptquartier in Nakura zurückgeschafft worden. Sie stehen im Einsatz für das Programm UNIFIL (UNO-Interims-Truppe in Libanon).

Laut Iseli, der als Kartograph hauptsächlich in Nakura arbeitet, wird es immer schwieriger, die Landkarten zu aktualisieren. Das Strassennetzwerk falle auseinander und man komme fast nirgends mehr durch.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unter der Leitung der Schweiz erhält nun diese Karten. Es ist seit Donnerstag vor Ort und versucht, der lokalen Bevölkerung zu helfen.

Iseli sagte gegenüber swissinfo, trotz Bomben- und Raketenüberflügen sei das UNIFIL-Hauptquartier bisher von Einschlägen verschont geblieben.

swissinfo: Was hat sich seit Begin des Konflikts verändert?

Michael Iseli: Es ist eine total andere Welt. Vor drei Wochen war der Süden Libanons ein hoffnungsvoller Ort.

Viele Libanesen mit Doppelbürgerrecht – auch aus der Schweiz – waren zurückgekehrt, hatten kleine Geschäfte eröffnet. Sie wollten nicht nur den Sommer hier verbringen, sondern definitiv in diese Region kommen.

Das ist alles vorbei. Die Infrastruktur existiert praktisch nicht mehr. Der Süden Libanons muss wieder ganz von vorne aufgebaut werden.

swissinfo: Sie haben die vier getöteten Blaumützen persönlich gekannt. Welche Gedanken gingen Ihnen durch Kopf?

M.I.: Wir haben gegenwärtig nicht die Zeit für eine angemessene Trauer. Natürlich ist es traumatisch, Freunde zu verlieren. Doch es sind viele Menschen da draussen und wir müssen weitermachen, nicht nur für uns selber, sondern für den ganzen Süden Libanons.

Wir müssen professionell bleiben und uns auf die Arbeit konzentrieren. Der Rest wird sicherlich später auf uns zu kommen. Wir sollten das nicht einfach wegschieben.

swissinfo: Wie gefährlich ist Ihr Einsatz?

M.I.: Es ist immer eine gewisse Gefahr bei friedenserhaltenden Missionen dabei. Alle Schweizer Freiwilligen sind sich dessen bewusst. Was mich echt beschäftigt ist, dass ich in früheren Missionen Freunde begraben musste, die zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren.

Hier ist die Situation jedoch ganz anders: Wir hatten Israel gewarnt, dass sie unsere Positionen im Visier hatten. Die Tatsache, dass sie nicht aufhörten, zeigt eine gewisse Einstellung, die ich gar nicht gerne sehe.

swissinfo: Was denkt Ihre Familie darüber?

M.I.: Ich bin in einer eher privilegierten Situation: Meine Frau, eine Griechin, hat ähnliche Arbeiten für das griechische Aussenministerium gemacht, bevor unser Sohn zur Welt gekommen ist. Sie kann damit umgehen, aber natürlich macht sie sich Sorgen.

Unser Sohn ist sechs Jahre alt und damit noch zu jung, um das zu verstehen. Und ich denke, er muss es auch nicht verstehen. Wir sollten ihm nicht seine Unschuld wegnehmen.

swissinfo: Wie wichtig ist Ihr Job?

M.I.: Für die UNO ist es enorm wichtig, dass wir die Präsenz beibehalten können.

Wir müssen beide Seiten (Israel und Hisbollah) – ich werte weder die eine noch die andere – daran erinnern, dass Augen vor Ort sind, die sehen, was sie tun (Im Auftrag der internationalen Gemeinschaft, namentlich für den UNO-Sicherheitsrat in New York).

swissinfo: Denken Sie wirklich, dass nur mit einem Fernglas bewaffnet den Friedensbemühungen helfen können?

M.I.: Ich glaube, der in New York gefallene Entscheid zur Verlagerung der UNO-Stützpunkte zeigt klar, das es im Moment enorm schwierig ist, einen Einfluss auf den Verlauf des Konflikts zu nehmen. Es ist praktisch unmöglich.

Trotzdem können wir die Zivilbevölkerung nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, was immer auch geschieht. Es ist unerlässlich, dass wir vor Ort bleiben. Aber wir können sicher nicht die Kämpfe zu einem Ende bringen.

swissinfo-Interview: Robert Brookes
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

Der Konflikt – der Schlimmste seit der israelischen Invasion des südlichen Libanons 1982 – begann, nachdem die Hisbollah-Milizen vor zwei Wochen zwei israelische Soldaten entführt hatten.

Die radikalislamische Bewegung ist im libanesischen Parlament vertreten und wird unterstützt von Syrien und Iran.

Die Kämpfe haben bis jetzt über 400 Todesopfer in Libanon und über 50 in Israel gefordert.

Hilfsorganisationen vermuten, dass rund 800’000 Menschen in Libanon auf der Flucht sind und Unterkunft, Wasser sowie medizinische Versorgung brauchen.

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