Autonomes Fahren auf Schweizer Strassen: Was es noch braucht

Vor zehn Jahren begannen in der Schweiz die ersten kontrollierten Versuche mit fahrerlosen Fahrzeugen. Eine kürzlich erfolgte Gesetzesänderung beschleunigt die Pilotversuche, sodass automatisierte Autos und Busse in etwa drei Jahren unter realen Bedingungen eingesetzt werden könnten.
Seit 2015 haben öffentliche Verkehrsbetriebe und private Unternehmen landesweit rund 30 grössere Projekte für automatisierte Fahrzeuge initiiert. Dazu gehören Busse, Taxis, automatisiertes Valet Parking, Steinbruch-Kipper und Lieferwagen.
Eine am 1. März in Kraft getretene Aktualisierung der Bundesgesetzgebung erlaubt Testfahrten fahrerloser Fahrzeuge auf offener Strasse, ohne dass eine für die Sicherheit verantwortliche Person an Bord sein muss.
Das Gesetz überträgt die Verantwortung für die Erteilung von Bewilligungen und die Überwachung der Sicherheit von den Bundesbehörden auf die Kantone.
Hersteller wie Loxo, die automatisierte Nutzfahrzeuge wie Lieferwagen entwickeln, warten nun darauf, dass die Kantone die Bedingungen für die Integration fahrerloser Fahrzeuge auf Schweizer Strassen festlegen.
Solche Fahrzeuge sollen mit Systemen der künstlichen Intelligenz (KI) ausgestattet werden, die ihnen dabei helfen können, sich ohne direkte menschliche Eingriffe sicher im Strassenverkehr zu bewegen.
KI kann Hindernisse wie Autos, Fussgängerinnen und Fussgänger wie auch Ampeln erkennen, dem Fahrzeug dabei helfen, zu entscheiden, wann es bremsen oder die Spur wechseln muss, mit den Fahrgästen kommunizieren, den Wartungsbedarf vorhersagen und Simulationsumgebungen für Testzwecke schaffen.
Integration auf der Strasse
«Der nächste Schritt besteht darin, die Vorteile, die potenziellen Risiken, die wirtschaftliche Tragfähigkeit und die öffentliche Akzeptanz der Anwendung dieser Technologie auf der Strasse zu ermitteln», sagt Matthias Rödter, Präsident von Swiss Transit Lab.
Die 2019 gegründete gemeinnützige Organisation bündelt die Interessen von Fahrzeugherstellern, Technologieanbietern und kantonalen Behörden bei der Entwicklung einer Strategie für den automatisierten Verkehr in der Schweiz.
«Welche Arten von Diensten sind sinnvoll? Wer sollte sie betreiben? Welche Strassen sind geeignet? Wie hoch ist die optimale Geschwindigkeit der Fahrzeuge? Zu welcher Tageszeit und bei welchen Wetterbedingungen können sie eingesetzt werden? Es gibt noch viele Fragen zu beantworten, bevor sich der Markt entwickeln kann», sagt Rödter.
In der Umgebung von Genf testen die öffentlichen Verkehrsbetriebe beispielsweise automatisierte Busse, die auf Anfrage bestellt werden können.
Auch das öffentliche Verkehrsunternehmen Postauto muss sich viele Gedanken machen: Es plant eine fahrerlose Flotte, die Menschen aus ländlichen Gebieten mit Städten und Bahnhöfen verbinden soll.
«Es ist ein grosser Unterschied, ob man fünf oder fünfzig Fahrzeuge betreibt”, sagt Martin Neubauer, der bei Postauto das Projekt «Automatisiertes Fahren” leitet.
«Man muss bedenken, wie viele Mitarbeitende für den Betrieb und die Wartung der Fahrzeuge erforderlich sind, wie die Schichten des Personals geplant werden müssen, wie hoch die Kosten für den Betrieb grosser Flotten sind und wie sich Kosteneffizienz erreichen lässt», so Neubauer.
«Darüber hinaus gibt es wichtige Herausforderungen wie Daten- und Cybersicherheit – Schlüsselbereiche, die zum Aufbau des notwendigen Knowhows beitragen. Die Erprobung der Technologie auf der Strasse ist nur ein Schritt in diesem Prozess.»
Kurzer Zeitrahmen
Es liegt in der Verantwortung jedes Landes, seine eigenen Vorschriften für automatisierte Fahrzeuge festzulegen. Dennoch gibt es eine gewisse Zusammenarbeit bei der Festlegung von Standards zwischen der Schweiz und anderen Ländern.
Im Rahmen des von der Schweiz und der Europäischen Union mitfinanzierten Projekts «ULTIMO» wurden Versuche mit fahrerlosen Fahrzeugen im Schweizer Kanton Genf, in der norwegischen Hauptstadt Oslo und in der deutschen Stadt Herford durchgeführt.
«ULTIMO» ist die Fortsetzung des EU-Projekts «AVENUE», das im Jahr 2022 ausgelaufen ist. An «AVENUE» waren auch Postauto und die Genfer Verkehrsbetriebe (TPG) beteiligt.
Angesichts des grenzüberschreitenden Verkehrsaufkommens aus den Nachbarländern machen einige gemeinsame Erkenntnisse und Ziele für die Schweiz Sinn.
Im Rahmen des «ULTIMO»-Projekts testen die TPG nun ihre fahrerlosen Shuttlebusse in Genf, dieses Mal ohne eine Person an Bord, die für die Sicherheit verantwortlich ist.
«Der Betrieb von fernüberwachten Fahrzeugen [Level 4 – siehe Infobox] ist ein wichtiger Schritt in Richtung Grössenwachstum und Kosteneffizienz», sagt Rödter. Er glaubt, dass fahrerlose Fahrzeuge schneller Realität sein werden, als viele denken.
«Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass automatisierte Fahrzeuge nicht in zehn Jahren kommen werden, sondern wahrscheinlich in den nächsten zwei bis drei Jahren im Rahmen weiterer Projekte.»
Was ist Ihre Meinung? Debattieren Sie mit:
SAE International, eine US-Organisation, die technische Normen erarbeitet, hat eine Taxonomie zur Beschreibung von Automatisierungssystemen in Fahrzeugen entwickelt. Die jüngste Gesetzesänderung in der Schweiz erlaubt automatisiertes Fahren bis zur Stufe 3 sowie kontrollierte Tests der Stufe 4.
Stufe 0: Systeme, welche die fahrende Person durch Warnsysteme oder automatische Notbremsungen unterstützen, sie aber nicht ersetzen.
Stufe 1: Systeme, welche die am Steuer sitzende Person bei der Lenkung oder bei Geschwindigkeit und Bremsen unterstützen.
Stufe 2: Systeme, die der fahrenden Person gleichzeitig Lenk-, Geschwindigkeits- und Bremsunterstützung bieten (Teilautomatisierung).
Stufe 3: Automatisiertes Fahren unter eingeschränkten Bedingungen. Die fahrende Person muss bereit sein, die Kontrolle zu übernehmen, wenn sie dazu aufgefordert wird.
Stufe 4: Vollständig autonomes Fahren ohne aktiv fahrende Person, jedoch nur in zugelassenen Bereichen und mit menschlicher Fernüberwachung.
Stufe 5: Völlig autonomes Fahrzeug, das eigenständig ohne menschliche Hilfe fährt.
Editiert von Gabe Bullard/gw, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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