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Seilziehen um neue Zürcher Verfassung

Erste Seite der Zürcher Verfassung von 1869. (Staatsarchiv des Kantons Zürich) Staatsarchiv des Kantons Zürich

Am 27. Februar entscheidet das Stimmvolk des Kantons Zürich über eine neue Verfassung. Die Schweizerische Volkspartei kämpft allein dagegen.

Gleichentags wird Zürich die Nachfolge des zurückgetretenen SVP-Regierungsrats Christian Huber regeln. Eine Weichenstellung mit nationalem Charakter.

Als der Kanton Zürich 1869 seine heute noch gültige Kantonsverfassung in Kraft setzte, galt sie als die modernste Europas. Doch durch die vielen Teilrevisionen und Ergänzungen ist sie heute zu einem Flickwerk geworden.

Nun hat der Zürcher Verfassungsrat eine neue Kantonsverfassung vorgelegt, nachdem die Stimmberechtigten 1999 ein entsprechendes Verfassungsgesetz gutgeheissen hatten. Am 27. Februar steht sie zur Abstimmung.

26 Verfassungen

In der Schweiz ist jeder der 26 Kantone organisatorisch selbständig. Als Grundlage dient ihm die Kantonsverfassung. Die Kantone sind soweit souverän (Föderalismus), als ihre Handlungsfreiheit nicht durch die Bundesverfassung eingeschränkt wird.

Daher haben die Kantonsverfassungen in der Schweiz eine grosse Bedeutung. Zu den wichtigsten Aufgaben der Kantone gehören die direkten Steuern, das Bildungs- und Gesundheitswesen und die Polizeihoheit.

Verfassung fürs 21. Jahrhundert

Die neue Zürcher Verfassung will nun die Grundsätze für den Kanton im 21. Jahrhundert neu regeln. Allem voran setzt sie auf die Eigen- und Mitverantwortung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Auch die Gemeinden sollen mehr Autonomie erhalten.

Im neuen Grundgesetz sollen verlässliche Rechtsgrundlagen geschaffen werden. Kanton und Gemeinden werden gemahnt, sparsamer und sorgfältig mit Steuergeldern umzugehen. Ausserdem wird die Ausgaben- und Schuldenbremse in der Verfassung festgeschrieben.

Befürworter: Überzeugendes Gesamtwerk

Für die Befürworter ist klar: Die neue Verfassung begrenze die Staatsaufgaben, verbessere Rechtssicherheit und Transparenz der Verwaltung und wahre die Interessen von Wirtschaft, Handel und Gewerbe. Sie stehe für einen freiheitlichen, sicheren, gesunden und sparsamen Staat.

Sie schliesse im Grundlagenbereich eine offensichtliche Lücke der geltenden Regelung. Kurz und gut: Die neue Verfassung führe zu mehr Demokratie. Ausserdem sei sie auch über die Kantonsgrenzen hinaus wichtig.

Der Zürcher Kantonsrat (Parlament) und der Regierungsrat (Regierung) empfehlen ein Ja, wie auch die Christlichdemokratische Partei (CVP), die Evangelische Volkspartei (EVP), die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), die Grünliberalen, die Grünen und die Sozialdemokratische Partei (SP).

Gegner: Linke Verfassung

Ihnen gegenüber stehen die Schweizerische Volkspartei (SVP) und einige FDP-Vertreter. Ihre Hauptargumente gegen die neue Verfassung: Sie bringe mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Steuern und weniger Freiheit.

Mit der geltenden Verfassung sei es Zürich gelungen, sich zum wirtschaftsstärksten Kanton der Schweiz zu entwickeln. Daher bestehe kein Grund, sie gegen eine Verfassung einzutauschen, die von einer linken Ideologie geprägt sei.

So bringe das neue Regelwerk zahlreiche neue Staatsaufgaben, höhere Steuern, neue Gesetze und schade damit dem Gewerbe und der Wirtschaft. Ausserdem würden die Volksrechte unübersichtlich und kompliziert.

Die Gegner sprechen dabei neue Volksrechte wie das “Referendum mit Gegenvorschlag von Stimmberechtigten” an oder die Senkung der nötigen Unterschriften für eine Volksinitiative (6000 statt 10’000) und für ein Referendum (3000 statt 5000).

Faktor Regierungsratswahl

Ein weiterer Faktor, der nichts mit der Verfassung zu tun hat, könnte in der Abstimmung jedoch eine wichtige Rolle spielen. Der Urnengang findet am selben Tag statt, an dem die Nachfolge des frustriert zurückgetretenen SVP-Regierungsrats Christian Huber geregelt werden soll.

Für die SVP steigt Nationalrat Toni Bortoluzzi ins Rennen. Hoffnungen machen sich auch der Winterthurer Stadtrat Hans Hollenstein (CVP) und die Parteipräsidentin der Grünen, Nationalrätin Ruth Genner.

Dieser Kampf könnte durchaus einen Einfluss auf den Ausgang der Abstimmung haben. Laut Experten vermag nämlich eine Personenwahl mehr zu mobilisieren als eine reine Abstimmung. Befürworter befürchten daher, dass die Regierungsratswahl der Verfassung schaden könnte.

Dem steht die Meinung gegenüber, dass es für die SVP schwierig werden könnte, gleichzeitig einen Wahl- und einen Abstimmungskampf zu führen. Die SVP ist daher auch die einzige Partei, die sich gegen den gemeinsamen Abstimmungstermin aufgelehnt hatte.

swissinfo, Christian Raaflaub

Parolen der Parteien zur neuen Verfassung:
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP): Ja
Freisinnig-Demokratische Partei (FDP): Ja
Schweizerische Volkspartei (SVP): Nein
Sozialdemokratische Partei (SP): Ja

Am 27. Februar stimmt der Kanton Zürich über seine neue Verfassung ab.

Ausserdem befindet das Zürcher Stimmvolk über einen Neubau für psychisch schwer kranke Straftäter im Psychiatriezentrum Rheinau.

Spannend dürfte die Wahl eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin für den zurücktretenden SVP-Regierungsrat Christian Huber werden: Im Rennen sind eine Frau und zwei Männer.

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