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Stammzellen: Zuerst forschen, dann debattieren

Die Stammzellen-Forschung ist vielversprechend. Doch die Gewinnung embryonaler Stammzellen ist ethisch umstritten. Keystone

Entgegen der Empfehlung der Nationalen Ethikkommission und des zuständigen Ministeriums gibt der Nationalfonds Geld für ein Forschungsprojekt mit importierten embryonalen Stammzellen. Begründung: Das enorme Potenzial der Stammzellen-Forschung für viele Therapien.

Die Forschung an embryonalen Stammzellen ist hochbrisant: Embryonale Stammzellen werden häufig aus überzähligen Embryonen gewonnen (beispielsweise nach einer Abtreibung), oder es können sogar Embryonen hergestellt werden mit dem alleinigen Ziel, Stammzellen zu gewinnen („therapeutisches Klonen“).

Klar ist: Diese Embryonen-Forschung ist in der Schweiz verboten, so das Embryonenschutz-Gesetz. Allerdings sagen die Gesetze nichts aus über die Forschung mit importierten Stammzellen.

Ein grundsätzliches Ja

In dieses Spannungsfeld geriet ein im letzten Jahr ein Gesuch einer Genfer Forschungs-Gruppe beim Nationalfonds (NFS). Ziel der Forschung ist die Zucht von Herzmuskelzellen aus Stammzellen, die für die Heilung von Herzinfarkt-Folgen eingesetzt werden könnten. Beim Gesuch ging es nicht um die Bewilligung des Projektes, sondern um staatliche Mitfinanzierung.

Ein Entscheid darüber werde kompliziert sein, das waren sich die Verantwortlichen des Nationalfonds von Anfang an bewusst. Denn auf der einen Seite setzen viele kranke Menschen grosse Hoffnungen in neue Therapien mit diesen “Alleskönner-Zellen”. Andererseits hatten damals auch in den Medien die Debatten um die ethischen Fragen der embryonalen Stammzellen gerade erst begonnen.

Angesichts dieses Dilemmas beschloss der Nationalfonds damals, das Gesuch vorerst zurückzustellen. Als Begründung hiess es, man wolle der gesellschaftlichen Debatte nicht vorgreifen. Zudem sollte das oberste Gremium, der Stiftungsrat, für den Entscheid zuständig sein.

“Ja zur Forschung mit embryonalen Stammzellen”, so nun der Grundsatz-Entscheid des Nationalfonds. Für die Beurteilung von Anträgen wurden zudem genaue Kriterien definiert – so dürfen die Stammzellen beispielsweise nicht durch therapeutisches Klonen gewonnen worden sein.

Das Genfer Projekt entspreche allen gestellten Bedingungen, so die zweite Entscheidung des NFS. Damit werden die Gelder nun bewilligt.

Entscheid gegen Empfehlung der Ethikkommission…

Der Entscheid überrascht. Denn vor wenigen Tagen hat sich die neu gegründete Nationale Ethikkommission gegen ein solches Vorgehen ausgesprochen. “Stammzellen: Durch Import keine Fakten schaffen”, so der klare Titel ihrer Stellungnahme.

Dabei haben die Ethikerinnen und Ethiker nicht die Stammzellen-Forschung an sich kritisiert. Doch “es braucht zuerst Zeit für Debatten”, so die Begründung von Kommissions-Präsident Christoph Rehmann-Sutter gegenüber swissinfo. Die Schweiz werde forschungsmässig nicht abgehängt, wenn sie sich diese Zeit nehme, so Rehmann-Sutter weiter.

… und gegen das Innenministerium, den Haupt-Geldgeber

Unterstützung in dieser Haltung hat die Ethikkommission (die nur beratende Funktion hat) auch von Seiten der politischen Behörden erhalten. Gemäss Nationalfonds hat auch das zuständige eidgenössische Departement beantragt, “der politischen und öffentlichen Diskussion zusätzliche Zeit einzuräumen und den Förderungsentscheid um weitere 3-6 Monate hinauszuschieben”.

Allerdings: Der Stiftungsrat des Nationalfonds hat jetzt aber anders entschieden. Dies gegen den Antrag des Ministeriums – notabene der Haupt-Geldgeber. “Wir sehen uns als Selbstverwaltungs-Organ der Wissenschaft”, sagte SNF-Generalsekretär Hans Peter Hertig gegenüber swissinfo. Deshalb habe man so entschieden.

Klare Regelungen gewünscht

Der Nationalfonds betont, sein Entscheid habe vorläufigen Charakter. Es brauche gesetzliche Regelungen in diesem Bereich. Ein entsprechendes Gesetz wird in der Verwaltung zurzeit ausgearbeitet, das “Gesetz über die Forschung am Menschen” soll unter anderem auch bezüglich der Stammzellen Klarheit bringen.

Vom Tisch sind die politischen und ethischen Debatten mit diesem Entscheid des Nationalfonds bei weitem nicht: Das neue Forschungs-Gesetz wird kommenden Sommer in die Anhörung gehen, nächste intensive Diskussionen sind damit programmiert.

Eva Herrmann

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