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Ein Schweizer gerät in Thailand in den perfekten Sturm

Screenshot
Standbild aus einer thailändischen Nachrichtensendung: Links die Treppe zur Villa, rechts der Schweizer Auswanderer David mit seiner einheimischen Gattin. Screenshot

Ein Schweizer in Thailand verliert für einen Augenblick die Nerven. Daraus wird eine beispiellose Hetzjagd, die Thailand zum Handeln zwingt. Wie auch immer das Verfahren ausgeht: Der Beschuldigte scheint bestraft.

Der Fall wirkt plötzlich unscheinbar klein, jetzt, wo er nur noch Sache der Staatsanwaltschaft von Phuket ist. Im Raum steht noch ein Bagatelldelikt, das voraussichtlich im Ordnungsverfahren erledigt wird. Auch die öffentliche Aufregung in Thailand hat sich gelegt. “Die mediale Aufmerksamkeit wendet sich wieder anderen aktuellen Themen zu”, berichtet der Schweizer Botschafter Pedro Zwahlen.

Bis vor kurzem tobte aber ein Sturm der Entrüstung, wie er noch selten über einen Auslandschweizer hereingebrochen war. Die Wut galt einem Auswanderer aus dem Kanton Aargau, der in Phuket, Thailand, nur als David* bekannt ist. Der Schweizer ist 45 Jahre alt und betreibt dort einen Elefantenpark.

David ist ein Berg von einem Mann, gross gewachsen, 110 Kilo schwer. Bevor er nach Thailand zog, hatte er in der Sicherheitsbranche gearbeitet. Auf den jüngsten Fotos sind seine Augen gerötet und blutunterlaufen – eine Folge von schlaflosen Nächten und Dauerstress.

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Ein vermögender Geschäftsmann

Über die Jahre hat David in Thailand mit Besuchereintritten sein Geschäft aufgebaut. Es läuft. Er mietet sich eine Villa am Strand. Für die Monatsmiete bezahlt er zehn durchschnittliche thailändische Jahreslöhne, so steht es in thailändischen Medien. Er erarbeitet sich ein ansehnliches Vermögen.

“Wenn viele Ausländer und Touristen vermögender sind als die lokale Bevölkerung, dann entstehen automatisch Spannungen.” Das sagt Marc Faber, ein Auslandschweizer, der seit 25 Jahren in Thailand lebt. Davor verbrachte Faber Jahrzehnte in Hongkong; er kennt sich aus in Asien.

Faber ist ein schillernder Investor, weit über die Schweiz hinaus bekannt als Dr. Doom, weil er Börsencrashs kommen sah. Und wie alle, die in Thailand leben, kennt auch er jedes Detail um den Fall David. Denn David war über Wochen das Top-Thema jeder Nachrichtensendung. Die Anschuldigungen gegen ihn beherrschten die Schlagzeilen, der Hass auf ihn das Internet. Marc Fabers Analyse ist nüchtern: “In Thailand war der Fall auch deshalb so gross, weil es nach Korruption bei der Polizei aussah.”

“Get the fuck off”

Was ist passiert? Es beginnt an einem Samstagabend, am 24. Februar 2024. Das ist ein Feiertag; Thailand ehrt an diesem Datum Buddhas Lehren der Bescheidenheit. Der Vollmond scheint über Cape Ya Mu, ein wenig besuchter Strand bei Phuket, aber bekannt für die Luxusvillen, die dort stehen. Eine 26-jährige Ärztin setzt sich an diesem Strand mit einer Freundin auf eine Treppe. Es ist die Treppe, die von Davids Mietvilla zum Strand hinführt.

Luftaufnahme Cape Ya Mu
Mit Villen überbautes Tropenparadies: Cape Ya Mu auf Phuket. booking.com

Jeder Strand in Thailand ist öffentlich. Die fragliche Treppe liegt auf der Grenze zwischen privatem Grund und öffentlichem Strand.

Was nun geschieht, zeigt ein Video, das David später zu seiner Verteidigung veröffentlicht. Er hat es selbst aufgenommen. Man sieht darauf seinen Schatten. Dieser bewegt sich in der Dunkelheit auf die beiden Frauen zu. Als er die beiden erreicht, beginnt die Kamera zu wackeln. Im entscheidenden Moment verliert das Bild an Aussagekraft.

Auf der Tonspur passieren innerhalb von einer einzigen Sekunde folgende drei Sachen: David schreit “Get the fuck off”. Man hört einen dumpfen Schlag. Eine weibliche Stimme stöhnt auf.

Dann ist das Bild wieder ruhig: Beide Frauen stehen auf und verschwinden in die Nacht, während David ihnen noch zweimal dieselben erwähnten Kraftausdrücke hinterherbrüllt.

Livestream geht viral

Kurz darauf startet die Ärztin einen Facebook-Livestream. Sie berichtet, sie sei von einem Ausländer in den Rücken getreten worden. Das geht viral.

Später sagt die Ärztin vor den Medien über David: “Er sieht aus wie ein reicher Mann, ich bin nur eine kleine Ärztin. Er ist ein Fremder, der in Thailand lebt. Er verdient sein Geld mit Thais, arbeitet hier, lebt auf unserem Boden.”

David selbst sagt eine Woche später an einer Pressekonferenz, er sei gestolpert. Dabei habe er die Frau allenfalls versehentlich berührt, aber keinesfalls mit Absicht getreten.

Glaubt man der Version der jungen Ärztin, dann gibt es fast kein Tabu, dass David in den Augen der thailändischen Öffentlichkeit nicht verletzt hat.

Ein Mann attackiert eine Frau. Er tritt sie mit dem Fuss, das ist im buddhistischen Glauben das niedrigste Körperteil überhaupt. Sie ist Ärztin; ihr Beruf geniesst in Thailand höchstes Ansehen. Der Mann, der sich so benimmt, führt einen Park mit Elefanten. Elefanten sind Thailands heiliges Tier.

“Bis es eskaliert, braucht es viel”

“Alle Fakten kommen zusammen”, sagt ein lokaler Jurist, der den Fall verfolgt hat, zu SWI swissinfo.ch. Er kennt eine weitere Zutat, die zum Sturm beitrug: Die Social Media-Besessenheit der Thais, die über fünf Stunden pro Tag durch die sozialen Netzwerke scrollen. “Thai sind friedliche Leute, aber wenn etwas aufkommt, können sie extrem agieren, auch unvernünftig”, sagt der Jurist, “und dieser Fall hatte alles, um viral zu gehen.”

Komplexes Verhältnis zu Fremden

“Bis in Thailand etwas eskaliert, braucht es sehr viel”, sagt auch Lukas Messmer, er ist Südostasien-Korrespondent des Schweizer Radio und Fernsehen SRF in Thailand. Auch Messmer beschreibt die Leute in seinem Gastland als zurückhaltend, die Gesellschaft als stark geschichtet. “Doch auf den sozialen Medien fallen die Hemmungen schneller.”

Der SRF-Journalist verweist auch auf das komplexe Verhältnis zwischen Einheimischen und Fremden. “Einerseits bringt der Tourismus fast einen Viertel des Bruttosozialprodukts, andererseits aber auch Probleme”, sagt er.

Russische Unternehmen brechen das Tabu

In Phuket, einem Brennpunkt des Tourismus, haben sich diese akzentuiert, seit die Insel von Russ:innen überrannt wird. Eine Million Russ:innen kamen allein im letzten Jahr. Und Zehntausend haben gleich Wohnsitz genommen, um ein eigenes Touristen-Geschäft für ihre Landsleute aufzuziehen.

Das ist ein Tabubruch, denn bisher hatte es Thailand geschafft, den Tourismus in einheimischen Händen zu halten, dank strengen Regeln. Doch an diese halten sich die Russ:innen offenbar nur bedingt.

Sie eröffnen Hotels oder Restaurants ohne die vorgeschriebene einheimische Beteiligung. “In Teilen von Phuket haben sie die lokale Wirtschaft übernommen”, sagt Messmer. Das verstärke den Neid und schüre Ressentiments gegenüber Fremden, die teils schon vorher bestanden hätten.

Zu lange lief vieles zu lax

Wie war der russische Boom möglich? SWI swissinfo.ch hat auch mit Auslandschweizer:innen in Phuket gesprochen. Das Bild, das sie zeichnen, ist einheitlich: Bei all diesen kleinen und grossen Verstössen brauchte es Behörden, die mitspielten.

Niemand redet gern von Korruption, aber Marc Faber in Chiang Mai nimmt das Wort in den Mund. Er sagt, die Polizei in Phuket habe diesbezüglich einen besonders schlechten Ruf.

Der lokale Jurist, der den Fall kennt und für SWI swissinfo.ch anonym einschätzt, stützt diese These. Er sagt: “Die Behörden wollten die Kontrolle zurück.”

Offensichtlich lief zu lange zu vieles zu lax, darunter auch: Die Luxus-Villen am Strand, die sich in den öffentlichen Grund ausdehnten: Geld verdrängt Gesetz.

Der Unmut über Ausländer:innen, die sich alles erlauben, entlädt sich nun auf einer Person: David. Er ist dafür das perfekte Opfer.

Miss Phuket Lin Malin hält ein Schild in die Höhe-
Auch Miss Phuket Lin Malin demonstriert gegen David. Twitter

Das Drama nimmt bereits seinen Lauf, da liefert David auch noch Futter. Ausgerechnet am Abend, bevor er vor die Medien tritt, um sich öffentlich zu entschuldigen, stellt er sein Video online. Er will sich damit erklären. Doch für den bereits grassierenden Hass gegen ihn wird der 17-Sekunden-Film zum Fressen. Auf Youtube, in den Medien, bei den TV-Stationen und in den sozialen Medien brechen jetzt sämtliche Dämme.

Drohung mit der Polizei?

Der Ruch von Korruption ist vielleicht die entscheidende Zutat, die den Sturm letztlich perfekt macht. Die junge Ärztin berichtete nach dem Vorfall Ungeheuerliches: Es geht um eine Aussage von Davids thailändischer Frau. Diese habe gleich nach dem Vorfall gegenüber der Ärztin behauptet, sie könne “sie und ihre Freundin erschiessen”, ohne Probleme zu bekommen, weil ihr Sohn ein “mächtiger Polizeibeamter” sei.

Und tatsächlich: Der Sohn von Davids Partnerin ist Polizeibeamter. Später sagt sie aus, sie habe beim Streit nach dem Vorfall lediglich vorgeschlagen, zur Deeskalation die Polizei beizuziehen.

Ob die Aussage der Ärztin wahr oder behauptet ist – der Effekt bleibt gleich: Die Behörden müssen tätig werden. Denn die Frage steht jetzt laut im Raum: Verdrängt Geld tatsächlich alle Gesetze?

Polizei muss sich verteidigen

Es stellt sich heraus: Die Treppe, wo alles begann, ragt in den öffentlichen Grund. David konnte davon zwar nichts wissen. Er mietete die Villa nur. Aber das interessiert nicht mehr.

Vor der Treppe zur Villa des Schweizers versammeln sich Einheimische zum Protest.
Vor der Treppe zur Villa des Schweizers versammeln sich Einheimische zum Protest. Bangkok Post

Ein Protest-Picknick lockt Hunderte Thais zur Strandtreppe. Sie singen die Nationalhymne. Dann kommt ein Bagger und zerstört die Treppe.

Anfang März schlug ein Schweizer Thailand eine einheimische Frau in der Öffentlichkeit spitalreif. Thai- und Schweizer Medien verknüpften die beiden Fälle in ihrer Berichterstattung. Pedro Zwahlen, der Schweizer Botschafter in Thailand, stellte dabei “viele negative Äusserungen an die Adresse der direkt involvierten Schweizer und teilweise auch grobe und haltlose Verallgemeinerungen gegenüber der gesamten Schweizer Gemeinschaft in Thailand” fest.

Die absolute Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer, die Thailand besuchen oder die sich hier niedergelassen haben, verhalte sich jedoch vorbildlich. “Sie prägen täglich das überaus positive Bild der Schweiz in Thailand und sind ein zentraler Bestandteil der freundschaftlichen Beziehungen beider Länder.”

Die Polizei muss sich gegen “Mafia”-Vorwürfe verteidigen. Und plötzlich nehmen es alle sehr genau. Der Premierminister gibt den Auftrag, den Fall zu untersuchen. Auf Befehl des Innenministers muss der Gouverneur von Phuket eine Deutschland-Reise abbrechen. Auch das Parlament verhandelt den Fall.

Weitere Sofortmassnahmen der thailändischen Behörden: David verliert seine Aufenthaltsbewilligung, seine Arbeitsbewilligung und seine Waffenlizenz, die er für den Tierpark erhalten hat.

Dann nehmen die Behörden auch Davids Elefantenpark und dessen Trägerstiftung unter die Lupe. Er gilt als touristisches Vorzeigeprojekt. Die thailändischen Behörden finden, beobachtet von zahlreichen Medien, trotz minutiöser Prüfung keinen Hinweis auf Korruption oder sonstiges Unrecht. Die Buchhaltung entspricht den Gesetzen. Es gibt keinen Grund, dem Park die Lizenz zu entziehen, im Gegenteil: Diese wird drei Wochen nach dem Vorfall gar erneuert.

Parallel dazu läuft die strafrechtliche Untersuchung. Sie gilt dem leichtest möglichen Vergehen gegen die körperliche Integrität, im Schweizer Strafrecht als “Tätlichkeit” bezeichnet.

Der lokale Jurist, der den Fall kennt und für SWI swissinfo.ch anonym einschätzt, bezweifelt, ob das fragliche Delikt den Entzug der Aufenthaltsbewilligung rechtfertigt. Auch Josef Schnyder, Delegierter der Auslandschweizer-Organisation für Thailand, fragt sich: “Kann Thailand jemanden ohne Urteil vertreiben? Es stellt sich die Frage der Rechtsstaatlichkeit. In diesem Fall würde die Person ihren Besitz verlieren”, sagt Schnyder.

Schweizer Botschaft interveniert nicht

Die Schweizer Botschaft in Bangkok verzichtet derweil auf eine diplomatische Intervention bei den lokalen Behörden. Das schweizerische Aussendepartement EDA schreibt auf Anfrage, es könne nicht in Gerichtsverfahren im Ausland intervenieren, weil es die Rechtsordnung des Empfangsstaats respektiere.

Pedro Zwahlen, der Schweizer Botschafter in Thailand, sagt: “Der Vorfall belastet die über viele Jahrzehnte gewachsenen, traditionell sehr freundschaftlichen und guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Thailand nicht.”

Wie die thailändische Justiz den Fall bewerten wird, ist offen. Ein Hinweis darauf liefert die angesetzte Kaution. Sie ist auffällig tief: 1000 Baht, oder 25 Schweizer Franken. So hoch ist auch der Eintrittspreis für Davids Elefantenpark.

*David ist ein Pseudonym. Der volle Name ist der Redaktion bekannt. Er und seine Anwälte kommentieren den Fall nicht, mit Verweis auf das laufende Verfahren.

Editiert durch Reto Gysi von Wartburg

Für Reisende und Leute, die nach Thailand auswandern, hat Pedro Zwahlen, der Schweizer Botschafter in Thailand, folgende Tipps:

ReisehinweiseExterner Link konsultieren und sich bezüglich der geltenden Visabestimmungen direkt bei der thailändischen Botschaft in der Schweiz erkundigen. Eine Kranken- und Reiseversicherung mit ausreichender Deckung ist unerlässlich, um finanzielle Sorgen im Falle einer Krankenhausbehandlung oder einer notwendigen Rückführung zu vermeiden. Bei Vorerkrankungen unbedingt abklären, welche Kosten übernommen werden.

Schweizerinnen und Schweizer, die nach Thailand reisen, müssen sich bewusst sein, dass sie sich an die lokalen Gesetze halten müssen. Es ist wichtig zu verstehen, dass in Thailand gesetzliche Bestimmungen, zum Beispiel im Bereich des Besitzes und des Konsums von Drogen, streng durchgesetzt werden und ernste Konsequenzen drohen. 

Respektvolles und höfliches Verhalten gegenüber den Einheimischen und ihrer Kultur sollten selbstverständlich sein. Dies beinhaltet besonders in Thailand auch angemessene Kleidung an religiösen Stätten und den respektvollen Umgang mit Symbolen des Königshauses. 

Beim Fahren von Motorrädern und Rollern sollten Schweizerinnen und Schweizer in Thailand unbedingt die Helmpflicht einhalten. Dies gilt auch für Beifahrer. Thailand verzeichnet eine notorisch hohe Zahl von schweren Verkehrsunfällen, wobei ein Grossteil davon Motorradfahrer betrifft. Touristinnen und Touristen sind oft betroffen.

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