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Tell: Früher Tourismusmotor für die Urschweiz

Tells Heimat: Nährboden für die Romantik. Alexandre Calames Vierwaldstättersee (1851). B. Piatti/Tells Theater/Schwabe Basel

Schon vor dem Siegeszug von Schillers "Tell", welcher der Urschweiz eine immense Aufmerksamkeit bescherte, war die Urschweiz ein beliebtes Reiseziel für reiche Touristen.

Für die Besucher verbanden sich hier Landschaft und Geschichte zu einer romantischen Symphonie von Schönheit und Freiheit.

Der Vierwaldstättersee und seine Umgebung müssen vor 200 Jahren wohl noch eine wilde, scheinbar unbezähmbare Ursprünglichkeit besessen haben, welche Reisende zutiefst beeindruckt haben musste.

Reiseberichte waren für Tells Heimatland ein wichtiger Werbeträger. Betont wurde die Einmaligkeit der Urschweiz, der kleine Flecken Erde, der von der Natur so verschwenderisch mit Schönheit ausgestattet worden war.

So begannen auch Maler, die pittoreske Schönheit des Vierwaldstättersees und die ihn umringenden Berge auf Leinwand zu bannen. Dichtung und Malerei machten die Gegend weit herum bekannt und begehrenswert.

Die Bewohner der Waldstätte witterten ihre Chance, der Armut zu entfliehen. Sie amteten als Fremdenführer, liessen ihre Alphörner ertönen, veranstalteten Schwing-Wettkämpfe.

Stolzes, einfaches Volk

Die Gäste, aus ganz Europa und sogar aus Übersee, am Anfang nur aus den privilegierten Schichten stammend, genossen ihren Aufenthalt im Freilichtmuseum Urschweiz mit ihrer der Folklore verbundenen Bevölkerung.

Die Reisenden sahen die Schweiz als freies Land und seine Bewohner als ein stolzes, einfaches, freies Volk – Nachfahren des Tell eben. Und so wie in jener Zeit auch die Begeisterung für die Südsee-Insel Tahiti hoch brandete, wurden die Tellensöhne und –töchter als so etwas wie edle Wilde betrachtet.

Demokratisches Freilichtmuseum

Die Fremden schauten sich auch die gelebte direkte Demokratie an, besuchten die Landsgemeinden.

So ein Besuch machte dem Engländer William Coxe offensichtlich grossen Eindruck: “Man stelle sich, wenn man’s kann, etwas rührenderes vor, als dieses Schauspiel – oder etwas ehrwürdigeres als eine Versammlung freyer Männer, die sich vereinigt haben, ihr gemeinsamliches Interesse zu berathen – auf dem Flecken Land, auf dem sie gebohren wurden, der sie nähret, den sie gegen das Joch der Herrschsucht, das die Welt so hart drückt, vertheidigt haben.”

Landschaft und Demokratie wurden bald zu einem Mythos, der es nicht zuliess, die Schweiz in einem objektiveren und nüchternen Licht zu betrachten. So demokratisch wie die Fremden meinten, ging es nämlich damals in der Schweiz nicht zu.

In der “Geschichte der Schweiz und der Schweizer” von Kurt Im Hof ist zu lesen: “Nach Schätzungen hatten weniger als 200’000 in der ganzen Eidgenossenschaft theoretisch oder praktisch Zugang zu den Souveränitäts-Rechten; der Rest, mehr als eine Million Einwohner im 18. Jahrhundert, nahm an der Ausübung der Macht nicht teil.”

Nach Schiller ging die Post ab

Bereits in der Zeit vor Schillers “Wilhelm Tell” war die Urschweiz als das Land Tells, des Rütlischwurs bekannt. Die Reisen ins Land des Tells im 18. Jahrhundert waren jedoch nur ein bescheidener Beginn. Der grosse Aufschwung setzte erst nach der Veröffentlichung von Schillers “Wilhelm Tell” ein.

Die Urschweiz wurde von einer regelrechten “Tell-Romantisierung” heimgesucht. Reisende liessen sich über den See rudern, im Handgepäck Schillers “Tell”, und zitierten daraus vor der echten Kulisse des Schauspiels.

Schillers Werk war ein regelrechter Glücksfall für die Urschweiz. Er wurde zum Werbeträger für die ganze Region.

Berühmte Namen

Die englische Königin Victoria, die 1868 ein paar Wochen am Vierwaldstättersee verbrachte, bedachte die Aussicht mit dem Satz: “The most beautyful point in the world.”

Auch Märchenkönig Ludwig II. von Bayern weilte 1881 am Vierwaldstättersee. Der Erbauer des Schlosses Neu-Schwanstein und Kunstmäzen brachte einen Schauspieler mit, der ihm an den entsprechenden Stellen die richtigen Szenen aus dem Wilhelm Tell rezitieren sollte. Dazu mietete er den Dampfer “Waldstätter” für die Dauer seines Aufenthaltes.

Die Liste prominenter Besucher von Tells Landen lässt sich fast beliebig erweitern. Hier eine kleine Auswahl: Richard Wagner, Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Liszt, Mark Twain, Friedrich Hölderlin, Lord Byron, Charles Dickens, Johannes Brahms, Hans Christian Andersen, Leo Tolstoi, Franz Kafka und Sir Winston Churchill, der seine Flitterwochen am Vierwaldstättersee verbrachte.

Der russische Komponist Sergej Rachmaninow baute sich 1932 sogar eine zauberhafte Villa bei Hertenstein. Dort verbrachte er bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges 1939 jeden Sommer, brauste mit seinem Rennboot auf dem See umher und komponierte Symphonien.

Die magische Anziehungskraft von Wilhelm Tells Stammlanden besteht auch heute noch. Nur wird neben der Befriedigung der kulturellen Interessen der Besuchenden auch ein breites sportliches Angebot zur Verfügung gestellt, das alle Arten von Wasser- und Bergsport umfasst.

swissinfo, Etienne Strebel

Der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell wusste nicht nur seine Armbrust treffsicher zu benutzen. Seit dem 18. Jahrhundert beschert er auch seiner Heimat, der Urschweiz, einen anhaltenden Tourismus-Boom.

In der Zentralschweiz werden gegenwärtig über 3 Millionen Hotellogiernächte pro Jahr gezählt.

In der Vergangenheit waren die Logiernächte nicht so zahlreich, die Gästeschar jedoch umso illustrer.

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