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Vermarktet sich die Schweiz zu rückständig?

Vierwaldstättersee und Schillerstein: Wer liebt sie nicht, die Touristenklischees? Peter Rüegger

Ausländische Medien-Reaktionen auf Abstimmungen in der Schweiz sagen viel aus über das Bild, das man sich im Ausland von der Schweiz macht.

Die Schweiz kann sich nur schlecht vom rückwärtsgewandten Image befreien. Ist die Tourismuswerbung daran schuld, oder der fehlende Wille zur zentralen Stelle?

Jüngst hat man sich in der Schweiz gefragt, weshalb sich das Ausland derart wundert, wenn die Schweiz Ja sagt zu offenen Grenzen (Dublin/Schengen) und Gesetze wie jenes zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gut heisst.

Offensichtlich erwartet in Europa kaum jemand, dass in der Schweiz moderne Anliegen beim Stimmvolk überhaupt Chancen haben. Diese Haltung beruht auf einem Bild, das Schweizern und Schweizerinnen kaum zur Ehre gereicht: Das Land wird nicht als offen wahrgenommen.

Berge statt Offenheit, Eigenheit statt Toleranz

Das Schweizbild vieler Europäer wird von Bergen, Kühen und Käse dominiert und von Landsgemeinde-Eigensinn und Nein-Sagen folkloristisch verbrämt. Ein Weltbild, das eher der “nationalkonservativen Rückwärtsgewandtheit und dem anachronistischen Verständnis von Neutralität” entspricht” als der Tradition der Exportorientheit und des Finanzplatzes, wie Konrad Hummler, Teilhaber der Privatbank Wegelin, jüngst schrieb.

Qualitäten wie Toleranz, Offenheit, Respekt und zum Beispiel ein im Vergleich zu vielen anderen Ländern Europas stärker integriertes Leben von Einheimischen mit Ausländern kommen in diesem Schweizbild kaum vor.

Zuviele Klischees in der Landeswerbung?

Ist die besonders einprägsame touristische Landeswerbung an dieser Eintönigkeit schuld? Kriegt die Schweiz ihr hinderwäldlerisches Image nur deshalb nicht los, weil es sich über die für Touristen besonders einfach aufgezogene Werbung immer wieder von neuem festigt?

“Weder noch”, meint Guglielmo Brentel, Experte für Schweizer Tourismus und Beherbergung. Der Präsident der Zürcher Hoteliers war jüngst als Kampfkandidat zum Präsidenten des nationalen Branchenverbandes “hotelleriesuisse” gewählt worden.

“Wir haben zuwenig Landeswerbung, um damit überhaupt im Ausland bereits bestehende Klischees nur schon beeinflussen zu können”, sagt Brentel gegenüber swissinfo. “Betrachtet man jedoch das Zielpublikum, ist unsere touristische Werbung keinesfalls schlecht.”

Alte Klischees vermitteln weder Wachstum noch Potenzial

“Dennoch wäre mit einer Revision des gesamten Schweizbildes auch einem grossem Teil der Tourismusbranche besser gedient”, sagt er. Mit einem Schweizbild, in dem Klischees wie Berge und Jodel zeitlos dominieren statt bloss als farbige Zugabe dienen, lasse sich kein dynamisches Wachstumsbild überbringen.

Weltweit soll sich die Tourismusbranche laut Experten bis 2020 verdoppeln – doch in der Schweiz stagniert sie seit etlichen Jahren.

Allein in der Region Zürich beträgt die touristische Wertschöpfung rund 4,5 Mrd. Franken, bei 38’000 Arbeitsplätzen – und das sicher nicht auf der Basis jener Werte, die das Agrarklischee-Schweizbild ausmachen, sondern mit Messen, Kongressen, Geschäftsreisen, Kultur und Shopping.

Schweizbild zwischen Europa und Globalität

“Je weiter entfernt die Länder von der Schweiz sind, desto eher sind sie für Klischeebilder empfänglich”, relativiert Peter Kuhn das Bild der fokloristischen Schweiz. Klischees seien deshalb in erster Linie für Gäste aus Übersee gedacht.

“In Europa, wo man die Schweiz besser kennt, wurde sie früher bewundert”, sagt der Touristik-Fachpublizist mit viel Erfahrung in Sachen Landeswerbung. “Heute jedoch bewundert man eher unsere Bauernschläue, nimmt uns aber als Rosinenpicker wahr.”

Gegenüber der Idee aus Bankenkreisen, das Schweizbild eher in Richtung eines global orientierten Stadtstaates denn als unabhängiges Herz Europas neu zu positionieren, bleibt Kuhn skeptisch: “Klassische Stadtstaaten wie Singapur, Hongkong oder Monaco haben kein Hinterland. Es bleibt deshalb nur die urbane Dienstleistung.”

Die Schweiz hingegen verfüge mit den Alpen über ein zwar kleines, aber äusserst bekanntes Hinterland mit hohem Marken-Wert. Dafür verfüge sie wegen der verkehrspolitischen Defizite und der Aufgabe des Flughafens Zürich als Drehkreuz über keinen Hub mehr – unabdingliche Voraussetzung für jeden Stadtstaat.

Weltbild im globalen Wettbewerb: Shoppyland

In helvetischen Bankenkreisen gibt es Bestrebungen, die Schweiz vermehrt als global orientierten Stadtstaat zu promovieren, da eine Annäherung an die EU politisch nicht gelang und bald auch nicht mehr wünschenswert sei.

Europa zeige sich momentan kaum als Wachstumsmaschine, und Brüssel präsentiere sich als bürgerfern-technokratisches Gebilde. Konrad Hummler spricht von der Vision der Schweiz als dynamischem “Melting Pot”, ohne Staatskrücken und zu hohen Steuern – als Gegensatz zur EU.

Gegen aussen würde sich dieses Bild zum Beispiel als Shopping Paradies umsetzen lassen. “Da die Euro-Einführung die Preise in der EU anstiegen liess und gleichzeitig in der Schweiz die Importmonopole und Monopolrenten langsam einbrechen, wäre dies eine denkbare Möglichkeit”, sagt Kuhn.

Das wäre dann auch der Anfang vom lang erhofften Ende des Mythos der Schweiz als teuerstem Pflaster der Welt.

Politische Hindernisse: Föderalismus forever

Nicht die bestehende Landeswerbung sei Schuld am rückständigen Schweizbild, sondern der Umstand, dass die Schweiz zuwenig Geld aufbringe für eine wie auch immer geartete Landeswerbung, sagt Brentel.

“Als föderalistisches Land sind wir von unten nach oben organisiert, im Gegensatz zu zentralistischen Ländern wie Österreich, wo Wien schon zum Rechten schaut respektive die Mittel eben bündelt – auch für die Landeswerbung.”

“Deshalb hört in der Schweiz die Wirkung vieler Gesetze schon an den Gemeinde- oder Kantonsgrenzen auf”, so Brentel, anstatt sich nach den wirtschaftlichen Dimensionen und Märkten auszurichten. “Die Gefahr ist darum real, dass man in Europa uns Schweizer aufgrund unserer sonderbaren Strukturen gar nicht mehr versteht,” befürchtet er.

Damit würden die Schweizer zu Sonderlingen gestempelt.

swissinfo, Alexander Künzle

2001 brachten ausländische Gäste 9,7 Mrd. Franken in die Schweiz.

Zusammen mit den Ausgaben der Inländer von 11,2 Mrd. ergibt sich für den Tourismus eine gesamte Einnahme von rund 20,3 Mrd. Franken.

Dies macht 5,6% von Bruttoinlandprodukt der Schweiz aus.

“Unsichtbare Exporte”: Beanspruchen ausländische Gäste in der Schweiz touristische Dienstleistungen, kommt dies zahlungsbilanzmässig einen Export gleich.

Der Tourismus führte 2001 auf diese Weise rund 12,7 Mrd. Franken aus (die Uhrenindustrie 7,7 Mrd. Franken).

Im Oktober 2004 sprach das Parlament der Marketing-Organisation “Schweiz Tourismus” jährlich 46 Mio. Franken als Finanzhilfe für die Landeswerbung – aber nur für 3 Jahre.
Der Ständerat hatte ursprünglich für 230 Mio. Franken für 5 Jahre plädiert. Der Nationalrat wollte darauf für 2005 bis 2009 insgesamt 200 Mio. zusprechen.
Daneben investieren Kantone und Gemeinden in unterschiedlichem Umfang in die regionale oder lokale Tourismuswerbung.

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