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Die Schweiz ist vielstimmig, die Medien werden es auch

Bildschirm mit Smiley-Kleber
© Keystone / Christian Beutler

Wie können Medien eine multiethnische Demokratie angemessen abbilden? Die Entwicklung von Ethnomedien in der Schweiz könnte eine Antwort darauf geben.

Die Schweiz hat eine hohe Dichte an Menschen mit MigrationshintergrundExterner Link: Von den 8,6 Millionen Einwohnern hat etwa ein Viertel keine schweizerische Staatsbürgerschaft, darüber hinaus gibt es zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer mit Wurzeln im Ausland. Gemäss dem Bundesamt für Statistik beträgt ihr Gesamtanteil an der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren insgesamt 37,7%.

Mit einem so hohen Anteil könnte diese Bevölkerungsschicht als Zielgruppe interessant sein, etwa für Medienhäuser. Aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung ist sie jedoch schwer zu adressieren. Auch sprachlich bestehen Probleme: Etwa ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung gibt an, eine andere Hauptsprache als die Landessprachen zu sprechen. Sie werden also von den herkömmlichen Medienangeboten gar nicht oder nur begrenzt erreicht.

Externer Inhalt

Diese Aufgabe übernehmen Nischenmedien, die sich an die einzelnen Communities richten. Oft entstehen sie aus ihnen heraus – etwa als Informationsbulletins von Migrantenorganisationen. In der Regel werden in Freiwilligenarbeit Informationen aufbereitet, die spezifisch Fragen rund um die Integration in der neuen Heimat behandeln. Häufig verschwinden sie nach einiger Zeit wieder, wenn es keinen Bedarf mehr gibt. Oder sie richten sich neu aus – etwa indem sie Heimatthemen behandeln und als Verbindungsglied zum Herkunftsort fungieren.

Diese sogenannten Ethnomedien haben einzeln eine bescheidene Reichweite. Zusammengenommen erreichen diese Medienprodukte, die in Dutzende Sprachen existieren, jedoch einen bedeutenden Teil der Schweizer Wohnbevölkerung. Ihre Wichtigkeit ist auch institutionell anerkannt: Teilweise erhalten sie Beiträge aus der Abgabe für Radio und Fernsehen, häufig gibt es Unterstützung von kantonalen Integrationsprogrammen oder anderen Behörden.

Ein in der Schweiz inzwischen recht bekanntes – wenn auch eher untypisches – Beispiel ist Diaspora TVExterner Link, ein neunsprachiger Sender aus Bern. Die Corona-Krise hat für einen massiven Wachstumsschub gesorgt: Hatte das Team vor dem Lockdown im Frühling noch 40 Mitglieder, sind es heute schon 93 Freiwillige, die Beiträge produzieren. Innerhalb von 48 Stunden produzierte das Medium Mitte März Videoclips in elf Sprachen, in denen die Verhaltensempfehlungen des Bundes erläutert wurden – und erreichte via Webseite und sozialen Medien eine beachtliche Anzahl Menschen, die die Ankündigungen des BAG in den offiziellen Landessprachen sonst kaum verstanden hätten.

Mangelnde mediale Diversität

Faktisch lebt in der Schweiz also eine multiethnische Gesellschaft. Wie soll diese aber medial abgebildet werden? Ethnomedien, die sich oft an eine definierte Migrantengruppe richten, können sich bei der Erstgeneration noch klar positionieren. Nicht aber bei jenen, die zwischen oder mit verschiedenen Kulturen aufgewachsen sind – und sie bilden mittlerweile einen nicht unwesentlichen Teil der jüngeren Menschen in der Schweiz.

Während Medienhäuser sich noch damit schwertun, diese multiethnische Community anzusprechen, ist mit baba newsExterner Link bereits eine Online-Plattform entstanden, die genau diese anzielt.

Zu Beginn bestand gar nicht die Absicht, ein neues Medium aufzubauen, sagt Albina Muhtari (33). Die Initiantin arbeitete lange als Journalistin bei grossen Medienhäusern in der Schweiz und stellte fest, wie wenig Diversität dort herrschte. “Erstens mal beim Personal: Nicht nur Frauen waren unterrepräsentiert, sondern auch Leute mit Migrationshintergrund. Aber auch thematisch war es unbefriedigend: Viele migrationsspezifische Themen werden meiner Meinung nach zu einseitig behandelt”, sagt Muhtari. Ihr Fazit: Die Schweizer Bevölkerung werde in den Schweizer Medien schlicht nicht adäquat abgebildet.

Durch die Produktion von Video- und Bild-basierten Inhalten habe man ein junges Publikum erreicht und durch den Austausch mit ihnen relevante Themenbereiche besser definiert. Themen, die “Schweizerinnen und Schweizer mit Wurzeln von überall” interessieren, wie auf der Webseite steht. Und die zwar aus dem Inneren dieser multiethnischen Community kommen, aber für alle Menschen in der Schweiz relevant sein können.

Wie sieht es eigentlich bei der SRG aus? Gemäss KonzessionExterner Link muss der öffentlich-rechtliche Sender die Integration von Ausländerinnen und Ausländer fördern, aber auch den Zusammenhalt der gesellschaftlichen Gruppen. Eine komplexe Aufgabe – mit der auch andere öffentlich-rechtliche Anstalten in westeuropäischen Ländern mit ebenfalls stark durchmischter Bevölkerung konfrontiert sind. Dazu werden unterschiedliche Strategien angewendet – das Ziel ist die Diversifizierung: Von der Produktion mehrsprachiger Programme, bis hin zur bewussten Rekrutierung von Personal mit Migrationshintergrund und der ausgeglichenen Auswahl von Gästen, Experten etc.

Die zahlreichen Feedbacks hätten Albina Muhtari und ihre Mitstreiterinnen 2018 darin bestärkt, das Projekt voranzutreiben. Die dafür nötige finanzielle Unterstützung kam von der Eidgenössischen Fachstelle für Rassismusbekämpfung und diversen Stiftungen.

Freiwilligenarbeit, Finanzierung durch die öffentliche Hand, migrationsrelevante Themen im Fokus: Das Portal ähnelt von seiner Entstehung und Struktur her den Ethnomedien – kann aber als deren Fortsetzung gelten. Denn im Zentrum steht nicht mehr die Integration, sondern die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer postmigrantischen Gesellschaft. Anders gesagt: Es wird nicht mehr eine Migrantencommunity adressiert, sondern eine Plattform betrieben, die den Dialog in und über die Schweiz anfacht.

Damit will das Portal die Kernfunktionen wahrnehmen, die innerhalb einer demokratischen Gesellschaft von Medien erwartet werden: Information, Meinungsbildung und Kontrolle. Und das für Menschen, die zwar ihre Wurzeln anderswo haben, aber ebenfalls an der Schweizer Demokratie partizipieren. Albina Muhtari sagt: “Baba news ist zwar ein Nischenmedium – unsere Themen sollten aber eigentlich schon lange nicht mehr Nischen sein.”

Die Schweiz ist punkto Ethnomedien keine Ausnahme. Länder mit einer hohen Diversifikation ihrer Bevölkerung haben in der Regel ein breites Medienangebot. In den USA etwa, dem Einwanderungsland schlechthin, benützten bereits ums Jahr 2000 über 50 Millionen Eingewanderte regelmässig oder gelegentlich Ethnomedien. Das entsprach damals einem Viertel der erwachsenen Bevölkerung des Landes.

In Schweden, das insbesondere seit dem Krieg in Ex-Jugoslawien eine heterogene Bevölkerungsstruktur aufweist, können die zahlreichen Migrantenmedien seit 2019 sogar auf öffentliche Finanzierung setzen.

Oft sind es aber nicht neue Migranten, die solche Nischenprodukte konsumieren, sondern alteigesessene Minderheiten. So versorgt Japan – ein ethnisch äusserst homogenes Land – die im Land ansässigen Chinesen und Koreanerinnen mit spezifischen Informationen in deren Sprachen. In Macau, einer Sonderverwaltungszone Chinas, gibt es mehrere Zeitungen in Portugiesisch.

Ein weiteres Beispiel ist Brasilien, wo es Publikationen für die afro-brasilianische Bevölkerung gibt sowie für die Community der Italiener und der Menschen aus Japan, die bereits lange in das Land migriert sind und ihre kulturelle Identität gewahrt haben. (rk)

(Mitarbeit: Renat Kuenzi)

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