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Ein Schweizer Pionier der Aidshilfe

Die Stop Aids Kampagane von 1988. bag.ch

Die Stiftung Aids-Hilfe Schweiz (AHS) wird 20 Jahre alt. Im Vorfeld dieses Jubiläums sprach swissinfo mit Gründungsmitglied Roger Staub.

Staub, heute Leiter der Abteilung HIV und Aids im Bundesamt für Gesundheit, verbreitet weiterhin die Botschaft der Aidsprävention in der Schweiz und weltweit.

swissinfo: Welches waren in den letzten 20 Jahren die grössten Veränderungen bei Ihrer Arbeit?

Roger Staub: Der grösste Unterschied ist die Offenheit der Schweizer Gesellschaft bezüglich der Sexualität allgemein – und der Homosexualität im Besonderen – und hinsichtlich dem Drogenkonsum. Vor 20 Jahren wären die Leute über die Slogans, mit denen wir uns heute an sie richten, schockiert gewesen.

Diese Veränderungen waren nicht beabsichtigt. Als wir die Stiftung Aids-Hilfe Schweiz vor 20 Jahren gründeten, richtete sich unsere Präventionsbotschaft zwar vor allem an Schwule, aber auch an die Gesellschaft als Ganzes. Die Botschaft sollte klar machen, dass man Menschen mit HIV/Aids nicht diskriminieren soll. Das war der Zweck der Organisation.

swissinfo: Kann man den Erfolg einer Kampagne messen, und falls ja, wann hat eine Kampagne Erfolg?

R.S.: Etwa zwei Drittel der Leute geben an, bei sexuellem Kontakt Kondome zu benutzen. Der Name “Stop Aids” ist bei über 90% der Leute bekannt. Das ist ein grosser Erfolg in bezug auf Bewusstsein, Wissen, Einstellung und Verhalten.

Ich denke, das Geheimnis von “Stop Aids” ist, dass es ein Markenname ist, der den Leuten sagt, worum es bei der Botschaft geht. Wir konzentrieren uns sehr stark auf das Machbare. Seit 18 Jahren ist unsere Botschaft “Stop Aids – benutze Kondome” – eine einfache Botschaft, die gut zu befolgen ist.

swissinfo: Und die Menschen in der Schweiz haben zugehört?

R.S.: Auf jeden Fall. Der Gebrauch von Kondomen in Risiko-Situationen ist von 8% im Jahr 1987 auf über 60% gestiegen.

swissinfo: Die jüngste Stop-Aids-Kampagne zeigt die Filmschauspielerin Renée Zellweger und den Regisseur Marc Forster – grosse Namen, aber beide sind Mitte dreissig. Sollte man für das junge Zielpublikum nicht Jüngere einsetzen?

R.S.: Nein. Ich denke, es ist ein Mythos, dass man sich auf die Jungen konzentrieren soll. Studien zeigen, dass sich gerade die Jungen des Problems bewusst sind: Sie haben in der Schule schon ziemlich viel über Aids gehört. Wegen des föderalistischen Systems der Schweiz ist es zwar nicht in jeder Schule gleich, aber im Allgemeinen wissen die Jungen recht viel. Sie benutzen auch viel mehr Kondome als Ältere. Bei den Älteren geht der Gebrauch von Kondomen bei neuen Sexualpartnern ab 25 zurück. Deshalb denke ich, es ist vernünftig, wenn wir uns auf die Leute zwischen 20 und 60 konzentrieren.

swissinfo: Welches waren die extremsten Reaktionen auf die Plakate?

R.S.: Noch immer werden Plakate abgerissen oder mit Graffiti bedeckt. Aber ich finde diese Reaktionen trotzdem gut, denn sie schaffen Bewusstsein und führen zu Diskussionen.

swissinfo: Was denken Sie über die Art, wie die Medien über Aids berichten?

R.S.: Ich denke, in der Schweiz spielten die Medien spielten eine entscheidende Rolle, weil sie Gesellschaft und Politik aufscheuchten. Zuerst waren es vor allem schreckliche Artikel, die von Tod und Gefahren für alle berichteten. Aber in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre wurden sie vernünftiger und ernsthafter.

In den letzten zehn Jahren gab es in den Medien eigentlich nur noch zwei Geschichten. Die HIV/Aids-Katastrophe in den Entwicklungsländern, was für unsere Gesellschaft bedeutet: “Nur ruhig, das ist kein Problem – das ist weit weg”, und jene unserer Pharmaindustrie, die sagt: “Wir haben neue Medikamente, neue Tabletten”.

Dann denken die Leute, dass HIV und Aids heilbar sind. Diese beiden Botschaften sind gefährlich, weil die Leute nachlässig werden, doch das Problem mit HIV und Aids besteht in der Schweiz nach wie vor.

Wir erhalten also von den Medien in Bezug auf Prävention nicht viel Unterstützung. Aber ich will mich nicht auf die Medien einschiessen – ich verstehe, wie sie funktionieren: Die Präventionsbotschaft ist 20 Jahre alt und es gibt nichts Neues zu berichten.

swissinfo: In Afrika südlich der Sahara leben schätzungsweise 25 Millionen mit HIV. Im Jahr 2003 starben 2,2 Millionen Menschen an Aids. Was sollte der Rest der Welt tun?

R.S.: Es ist nach wie vor entscheidend, auch in Afrika Präventionsarbeit zu leisten, aber das HI-Virus nistete sich vor 20 Jahren in der Bevölkerung ein und in dieser Hinsicht ist es zu spät.

Heute stehen die Länder in Fernost, Zentralasien und Osteuropa dort, wo Afrika in den frühen 80ern stand. Ich fürchte, wir haben den Punkt überschritten, da wir in diesen Ländern noch gute Arbeit leisten konnten. Wenn mehr als zwei Prozent der Bevölkerung infiziert sind, wird es sehr schwierig, die Ausbreitung der Epidemie zu stoppen.

Was die Behandlung angeht, so bin ich voll und ganz einverstanden mit der “3 by 5-Initiative” der Weltgesundheits-Organisation. (Diese sieht vor, dass bis Ende 2005 drei Millionen Menschen mit HIV oder Aids in Entwicklungsländern und Ländern mit mittleren Einkommen lebensverlängernde antiretrovirale Behandlung erhalten sollen).

Das ist ein Versuch, den Armen in Afrika, die es wirklich brauchen, eine einfache und erschwingliche Behandlung zu ermöglichen. Die Summe, welche die reichen Regierungen für HIV und Aids in den Entwicklungsländern ausgeben, ist beschämend.

swissinfo-interview: Thomas Stephens
(Übertragen aus dem Englischen: Charlotte Egger)

Roger Staub wurde 1957 geboren und wuchs im Zürcher Oberland auf.

1985 gründete er zusammen mit Herbert Riedener und Marcel Ulmann die Stiftung Aids-Hilfe Schweiz.

Heute ist er Leiter der Abteilung HIV und Aids im Bundesamt für Gesundheit und Programmleiter des nationalen HIV-Aids-Programms 2004-2008.

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