Malerei als Lebens-Ersatz
In der Berner Galerie Artdirekt stellen sechs Künstler ihre Art-Brut-Werke aus. Die Künstler sind alle psychisch krank.
Ans Licht der Öffentlichkeit gerückt hat sie der Schweizer Dokumentarfilm «Halleluja! Der Herr ist verrückt», der ab April in den Schweizer Kinos zu sehen ist.
Die Kunstgeschichte und die Gegenwartskunst sind voll von eigenwilligen Menschen. Es scheint, als würden wir «Normale» gerne hinschauen, was die «Nichtnormalen» uns zu sagen haben.
Das Leben in der psychiatrischen Klinik Waldau bei Bern prägt die Leben der Portraitierten. Die Werke lassen ahnen, was ihre Seelen verdunkeln. «Wo liegt die Grenze zwischen normal und nicht normal?», fragt der Regisseur des Filmes «Halleluja! Der Herr ist verrückt», Alfredo Knuchel.
Er habe sechs Patienten der psychiatrischen Klinik ausgewählt, «die trotz Maltherapie in der Psychiatrischen noch malen», sagt Knuchel. Er habe sich nur auf die Werke konzentriert.
Wenig Biographisches
Diagnosen und Prognosen, aber auch die Lebensgeschichte der Portraitierten habe er bewusst ausgeklammert. Doch genau die bestimmen das Werk von Gabor Dios, Margrit Roth, Gordian Hannemann, Konrad Jonas, Philippe Saxer und Daniel Curty. Psychiater und Sozialarbeiter kommen keine zu Wort. Dafür Galeristen, welche ihre Werke kaufen und verkaufen.
Die Portraitierten selber sagen wenig über sich aus. Von einem weiss man, dass er zu Hause aus dem Fenster sprang. Ein anderer findet, seine Malerei sei so etwas wie Lebens-Ersatz.
Ihr aller Stammvater ist der geisteskranke Adolf Wölfli, 1895 bis 1930 skurriler Bewohner der Waldau. Der «berühmte Künstler», wie er auf der Homepage von «Bern-Info» bezeichnet wird, war wegen Notzucht an einem minderjährigen Mädchen verurteilt. 1895 wird Wölfli rückfällig und wegen versuchter Notzucht an einem dreieinhalbjährigen Mädchen in Gewahrsam genommen.
Die Preise werden steigen
So kommen nun die sechs Waldau-Künstler zu Filmehren und damit möglicherweise zu Künstlerruhm. Menschen, über die wenig bekannt ist. Ihre Lebensgeschichte ist kaum Thema im Film. Ob sie durch die Bekanntheit, die sie erlangen, beeinflusst werden, wird sich zeigen.
«Ich habe da keine Bedenken», sagt Knuchel. «Ich halte alle sechs für so eigenständig, dass sie nur malen, wenn sie selber wollen.»
Überzeugt ist der Filmemacher allerdings, dass der Film die Preise der Werke in die Höhe treiben wird. «Das ist so. Wohl unvermeidlich.»
Die Waldau-Künstler werden am finanziellen Erlös beteiligt. Knuchel: «Das ist nicht mehr wie früher. Wer etwas verkauft, erhält das Geld. Es ist sein Werk.»
Knuchel tönt im Film das Geld, das im Spiel ist, an, kritisiert aber den Kunstbetrieb mit Psychiatrie-Künstlern nicht. Wie er selber sagt, «ist die Welt so».
Alle haben Beistände
Wie sieht es der Galerist, der die Bilder der sechs im Film portraitierten Psychiatrie-Patienten ausstellt und damit dem Kunstbetrieb, der Spekulation und dem Kommerz übergibt?
Giovanni «Fashion» Schumacher, Galerist und Mitbesitzer der Galerie Artdirekt und selber «Bewegter und Outsider» in Bern, betont gegenüber swissinfo, er stelle vor allem solche Künstler aus, die etwas «neben dem Kunstbetrieb» seien.
«Und die Künstler haben Beistände. Sie sind also nicht alleine dem Rummel ausgesetzt.»
Man müsse wissen, dass schon vor dem Film Leute auf die Art Brut-Maler aufmerksam geworden seien und ihnen für einige Franken Bilder abgekauft hätten, so quasi als Schnäppchen, und nun hofften, der Wert der Bilder werde steigen. «Das war auch bei Wölfli so», sagt Schumacher.
Er habe in den 70er-Jahren selber in der Waldau gearbeitet, und da seien viele «Wölflis» verschwunden, die heute 20’000 Franken oder mehr wert seien.
Die Galerie, so Schumacher, wolle das nicht wiederholen. «Die Waldau-Künstler bestimmen mit, sie erhalten ihren Anteil, 50% übrigens, und das finde ich eine faire Ebene.»
Kann auch Kunst sein
Doch auch für Schumacher ist klar, dass Art Brut ein grosses Geschäft ist. In den USA und in Europa. Es gibt diverse Kliniken, die Bilder ihrer Patienten vermarkten: Wien, Heidelberg und viele mehr.
Ausstellungen mit Werken dieser «rohen Kunst» sind häufig. Die Berliner Galerie «Loft36» brachte es in der Ankündigung ihrer Ausstellung «Kunst ver-rückt» im Jahr 2001 auf den Punkt: «Nicht alles, was von studierten Künstlern stammt, muss unbedingt Kunst sein. Aber so manches, was kreative Menschen mit einer psychischen Erkrankung in ihren eigenen vier Wänden, in Kliniken oder an anderen Orten schaffen, kann auch Kunst sein.»
swissinfo, Urs Maurer
Der Film «Halleluja! der Herr ist verrückt» läuft ab dem 1. April in den Schweizer Kinos.
Werke der Künstler sind bis 10. April in der Galerie Artdirekt, Herrengasse 4 in Bern, zu sehen.
Rund 25’000 Blätter hat Adolf Wölfli, Patient im damaligen «Irrenhaus» Waldau bei Bern, beschrieben und bemalt.
Ihm sind viele Waldau-Patientinnen und Patienten gefolgt und haben angefangen, zu zeichnen und zu malen.
Gabor Dios, Margrit Roth, Gordian Hannemann, Konrad Jonas, Philippe Saxer und Daniel Curty werden in Alfredo Knuchels Film nun porträtiert.
Walter Morgenthaler (1882-1965) war von 1913 bis 1920 Psychiater in der «Bernischen kantonalen Irrenanstalt Waldau».
Die von ihm gesammelten Kunstgegenstände bilden das Herzstück der «Stiftung Psychiatrie-Museum Bern».
Sie hängen mit Morgenthalers 1918 erschienenen Habilitationsschrift «Übergänge zwischen Zeichnen und Schreiben bei Geisteskranken» zusammen. Heute umfasst die Sammlung rund 5000 bildnerische Werke von ehemaligen und aktuellen Patienten der Waldau.
Die Ausstellung ist jeweils am Mittwoch zwischen 14-16 Uhr geöffnet. Zur Besichtigung melden Sie sich beim Empfang des Psychiatrie-Museums.
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