Ozon setzt Schweizer Wald zu

Nicht nur Menschen, auch Pflanzen leiden unter hoher Ozon-Konzentration. Dies belegen wissenschaftliche Versuche im Südtessin.
Während über die möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen viel diskutiert wird, werden die Folgen für die Pflanzenwelt vernachlässigt.
Inzwischen ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Ozon Sträuchern und Bäumen zusetzt. «Die Physiologie und Biochemie bestimmter Pflanzen ist durch die herrschenden Ozon-Konzentrationen ganz klar negativ beeinflusst», resümiert Marcus Schaub, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Waldökosysteme und ökologische Risiken an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmersdorf bei Zürich.
Je grösser die Fläche eines durch Ozon geschädigten Blattes sei, desto weniger Photosynthese könne erfolgen. Dabei reagiere jede Pflanzenart unterschiedlich empfindlich. Laubholz- und Krautpflanzen entwickeln mehr sichtbare Ozonschäden als Nadelbäume.
Versuche in Lattecaldo
Schaub ist Projektleiter für die landesweit einmaligen Ozonversuche in Lattecaldo im Muggiotal, oberhalb von Chiasso. Hier wird unter natürlichen Bedingungen in einem Freiluft-Experiment konkret getestet, wie sich Ozon auf Wachstum und Physiologie von Pflanzenteilen auswirkt.
In vier so genannten Open-Top-Kammern werden die Pflanzen der ungefilterten, ozonreichen Umgebungsluft ausgesetzt. In weitere vier Kammern mit denselben Pflanzenarten gelangt gefilterte Umgebungsluft, die nur die Hälfte der Ozon-Konzentrationen aufweist.
Die Experimente haben bisher aufgezeigt, dass bei den meisten Pflanzen in gefilterter Luft durch Ozon verursachte Schadsymptome wesentlich später auftreten als bei den gleichen Pflanzen in ungefilterter Luft.
Optimale Versuchs-Bedingungen im Mendrisiotto
Der Standort im Mendrisiotto für diese Experimente ist kein Zufall. Denn das
südliche Tessin ist für die landesweit höchsten Ozon-Konzentrationen zu
trauriger Berühmtheit gelangt. Die hauptsächlich aus der Po-Ebene stammenden industriellen Schadstoffe werden hier unter intensiver Sonneneinstrahlung in das Reizgas Ozon umgewandelt.
Die Folgen zeigen sich in diesem trocken heissen Sommer einmal mehr. Inzwischen werden Spitzen von bis zu 350 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft verzeichnet. Der zulässige Grenzwert von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter, der laut Luftreinhalte-Verordnung nur einmal pro Jahr überschritten werden dürfte, wird inzwischen auch nachts konstant übertroffen. Auf die wissenschaftlich positive Kehrseite der Situation verweist Schaub: «Es sind optimale natürliche Versuchsbedingungen.»
Seit 1995 Forschung
Die Experimente von Lattecaldo wurden 1995 gemeinsam mit dem US-amerikanischen Forscher John Skelly lanciert, welche die bis heute enge Zusammenarbeit mit der Pennsylvania State University (USA) begründeten. Zwei Jahre zuvor hatten WSL-Forscher im Südtessin an Blättern der Herbst-Kirsche (Prunus serotina) erstmals Verfärbungen entdeckt, die man als Ozon-Schädigungen diagnostizierte.
Inzwischen hat man an über 60 einheimischen Pflanzenarten solche Schäden nachweisen können, darunter Buche, Esche, Grün-Erle und Berg-Ahorn. Ozon, das durch die Spaltöffnungen eindringt, schädigt die Zellen. Dies wiederum erklärt Phänomene wie eine frühe Laubverfärbung.
Neue Kriterien für Grenzwerte
Die Forschung hat ergeben, dass nicht allein die Ozon-Konzentrationen in der Luft ausschlaggebend für die Folgeschäden sind. Indikatoren wie Bodenfeuchtigkeit oder Sonneneinstrahlung – ganz allgemein der Standort – spielen eine entscheidende Rolle. Bei feuchten Böden wird beispielsweise wesentlich mehr Ozon von den Pflanzen durch die Spaltöffnungen aufgenommen als bei trockenen Böden.
«Deshalb arbeiten wir an Ozon-Grenzwerten, die nicht mehr von der Konzentration in der Luft ausgehen, sondern auf dem Konzept der jeweiligen Schadstoffaufnahme basieren», sagt Schaub. Für Pflanzen gibt es in Europa bis anhin einen Ozon-Grenzwert (AOT 40), der wie im Falle der Luftreinhalteverordnung einzig die Konzentration in der Luft berücksichtigt.
swissinfo, Gerhard Lob
Grenzwerte der Luftreinhalteverordnung für Ozon: 120 Mikrogramm pro Kubikmeter (darf einmal jährlich überschritten werden).
In diesen Tagen gemessener Maximalwerte in Mendrisiotto: 350 Mikrogramm pro Kubikmeter.
1995: Start der Ozonversuche als Freiluft-Experimente in Mendrisiotto.
Das sommerlich-heisse Wetter hat die Ozonwerte anschwellen lassen.
Traditionell sind die Ozonkonzentrationen im Tessin, vor allem in Grenznähe, besonders hoch.
Wegen dieser «guten natürlichen Bedingungen» läuft seit einigen Jahren in Lattecaldo TI ein landesweit einmaliges Versuchsprojekt, das die Auswirkungen von Ozon auf die Pflanzen untersucht.
Bisher ist klar: Wachstum und Physiologie von Pflanzen werden durch Ozon direkt beeinflusst.
Doch für die Schädigungen sind nicht allein die Höhe der Ozonkonzentrationen, sondern auch andere Faktoren ausschlaggebend.
Deshalb wollen Forscher Grenzwerte neu definieren.

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