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“Tschernobyl nicht vergessen”

Eine Frau wartet in einem ukrainischen Spital auf die Krebs-Untersuchung. Keystone

Die Schweiz unterstützt weiterhin Hilfsprojekte für die Opfer der Reaktorkatastrophe. Einer Tragödie, die "nicht vergessen gehen" dürfe.

Nach der dreitätigen Konferenz in Minsk zum 20. Jahrestag des Reaktorunglücks sagte der Chef des Schweizer Korps für humanitäre Hilfe, Toni Frisch, im Gespräch mit swissinfo, die Opfer seien noch für Jahrzehnte auf Hilfe angewiesen.

Die Schweiz setzt ihre humanitäre Hilfe für die Tschernobyl-Opfer in Weissrussland, Russland und der Ukraine fort. Dies kündigte die DEZA an einer internationalen Konferenz in Minsk zum 20. Jahrestag der Atomkatastrophe an.

Auch Toni Frisch, Delegierter für Humanitäre Hilfe und Chef SKH (Schweizerisches Korps für humanitäre Hilfe), gab an der dreitägigen Konferenz in der weissrussischen Hauptstadt die Fortsetzung des Schweizer Engagements bekannt.

Die DEZA hat seit 2000 in den von der Atomreaktor-Katastrophe betroffenen Gemeinden in der Ukraine, Weissrussland und Russland humanitäre Projekte für rund 16,5 Mio. Franken unterstützt.

Unter anderem wurden radiometrische Messstationen, Gesundheitszentren und Jugendhäuser mit Internet-Anschluss eingerichtet. Die Projekte sollen die Lebensbedingungen verbessern und Impulse geben für den sozialen und wirtschaftlichen Aufbruch.

swissinfo: Wird die Schweiz nach dieser Konferenz zusätzliche Hilfe bereitstellen?

Toni Frisch: Unser Hilfsprogramm und unsere Strategie für die Jahre 2006-08 sind bereits gemacht. So gesehen gibt es keine zusätzliche Hilfe. Wir haben ein genau festgelegtes Programm für die kommenden Jahre, das rund 4,5 Mio. Franken Hilfe pro Jahr umfasst. Das ist unabhängig von der Konferenz hier in Minsk.

Unser Hilfsprogramm berücksichtigt allgemeine Bedürfnisse, ist aber doch hauptsächlich auf die Unterstützung der Opfer von Tschernobyl ausgerichtet.

swissinfo: Wie wirksam war die Hilfe der Schweiz bislang?

T.F.: Ich bin überzeugt, dass die bisherigen konkreten Hilfeleistungen, die wir zusammen mit unseren Partnern realisiert haben, sehr wirksam waren.

Das Ausbildungszentrum, in dem ich gerade war, konzentriert sich auf das Rettungswesen – Feuerwehr – für die Folgen eines Erdbebens, das hier rund um den zerstörten Reaktor schlimme Folgen haben könnte.

Daneben unterstützen wir Programme im Süden des Landes. Dort geht es vor allem um Mütter- und Gesundheitsfürsorge sowie Überwachung der Strahlenkonzentration.

swissinfo: Eines der Hauptziele der Konferenz war das Aufstellen eines Aktionsplans für die kommenden zehn Jahre. Wie sieht es damit aus?

T.F.: Der Sinn der Konferenz war weniger das Erstellen eines Aktionsplans, sondern mehr eine Auslegeordnung der geleisteten Arbeiten in den vergangenen 20 Jahren. Einer Arbeit, welche im Allgemeinen erfolgreich war.

Ich bin beeindruckt von der Arbeit, welche die Regierung und die Leute in Weissrussland geleistet haben, angesichts dieses ungeheuren Problems. Ich habe die Landwirtschafts-Gebiete rund um den Unglücksreaktor besucht und war von der Haltung und der Würde der Menschen dort beeindruckt.

swissinfo: Kann noch mehr getan werden?

T.F.: Sicher könnte noch mehr getan werden. Aber das ist auch eine Frage des Geldes. Klar sollte die internationale Gemeinschaft noch mehr tun, aber es gibt Grenzen, denn es gibt viele Katastrophen auf der Welt.

Doch das Wichtigste ist, dass wir Tschernobyl heute, aber auch morgen nicht vergessen. Dass wir die Unterstützung auch in den kommenden 20 bis 30 Jahren weiter führen, denn die Folgen des Reaktorunglücks werden bleiben.

Doch ich kehre optimistisch von diesem Treffen zurück. Es weht ein neuer Wind, es sind viele Ideen vorhanden und die Leute haben gelernt, mit den Folgen der Katastrophe umzugehen.

swissinfo-Interview: Thomas Stephens
(Übertragung aus dem Englischen: Urs Maurer)

Die Ukraine und Weissrussland sind von der Katastrophe des Kernkraftwerkes Tschernobyl vom 26. April 1986 am stärksten betroffen.

Laut Experten wird es erst 2016 möglich sein, die Anzahl der Opfer ungefähr zu beziffern.

Die radioaktive Wolke ging über den Westen der damaligen Sowjetunion, Osteuropa, Skandinavien, Grossbritannien und den Osten der USA nieder.

Das Tessin verzeichnete 1986 mit 50’000 Becquerel Caesium 137 die höchste Konzentration an Radioaktivität in der Schweiz.

Die Behörden hatten 1986 den Fischfang im Luganersee verboten und Empfehlungen betreffend Fisch, Milchprodukte, Gemüse und Pilze für gefährdete Bevölkerungsgruppen abgegeben.

Seit dem Jahr 2000 hat die DEZA 16,5 Mio. Franken Hilfsgelder für humanitäre Hilfe in Weissrussland, Ukraine und Russland aufgewendet.

Die Internationale Atomenergiebehörde sagt, dass 56 Menschen direkt an den Folgen des Unglücks gestorben seien.

Laut anderen Organisationen beträgt die Opferzahl aber mehrere Tausend.

800’000 Menschen (so genannte Liquidatoren) wurden zwangsverpflichtet, Tschernobyl nach der Katastrophe zu säubern.

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