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“Neugierig auf mich selbst”

Der Schweizer Schauspieler Bruno Ganz: "Ich bin neugierig darauf, wie ich diese Überdosis an Filmen verkrafte." swissinfo.ch

Grosser Auftritt von Bruno Ganz in Locarno: Der Schauspieler sitzt nicht nur in der Jury, auch das Ganz-Porträt "Behind me" hat am Festival Premiere.

Bruno Ganz betritt die Eingangshalle des Hotels “Reber au Lac”, wo er und die anderen Mitglieder der Jury des Internationalen Wettbewerbs logieren. Drei Filme hat er an diesem Tag gesehen. Und nun noch dieses Interview, da hat er wenig Lust darauf. Er sei müde, sagt er. Doch zehn Minuten, das liege drin. Wir setzen uns auf die Terrasse, “wo nicht so viele Leute zuhören”.

Bereits am Vortag, angefragt für den Termin, hatte Bruno Ganz nur widerstrebend eingewilligt. Er gibt ungern und möglichst wenig Interviews. “Ich denke, ich kann das nicht gut und dann macht’s auch keine Freude. Und manchmal ist’s auch wirklich widerwärtig, das kann sehr dreist und aufdringlich werden. Man fühlt sich dann als Opfer und eigentlich hat man das nicht verdient.”

Grosses Vertrauen in die Jury

Bruno Ganz erzählt von der Jury, der er “unglaublich vertraue”. Der serbische Produzent Cedomir Kolar hat den Vorsitz des Gremiums. Dann sind da neben Bruno Ganz dessen indischer Kollege Aamir Khan, der US-Journalist Emanuel Levy, der iranische Regisseur Jafar Panahi, die afghanische Schauspielerin Nelofer Pazira und der ungarische Regisseur Bela Tarr. “Die sechs Leute, die ich bisher kennen gelernt habe, sind jeder für sich deutliche, eigenständige, sehr gute Leute”, so Ganz.

Zu seiner Arbeit als Jury-Mitglied sagt er nur wenig: “Ich würde mich freuen, etwas Überraschendes zu sehen”, meint er. Auch wenn er keine Kriterien nennen will, so verrät er doch, welcher Film ihn in letzter Zeit “sozusagen ohne Einschränkung begeistert” hat: “Mulholland Drive” von David Lynch. “Es war grossartig. Das war von einer solchen Suggestion, Magie und Intelligenz. Solch ein Kunstverstand ist sehr selten zu sehen. Und das ist phantastisch.”

Hier die Jury, da “Behind me”

Nach 22 Jahren wieder in der Jury des Filmfestivals von Locarno zu sein, ist für Ganz eine sentimentale Reise zurück: “Ich wollte sehen, wie es mir nach so vielen Jahren geht, wenn ich dieselbe Arbeit wieder mache. Das ist Neugier auf mich selber. Und ich bin auch neugierig darauf, wie ich diese Überdosis an Filmen verkrafte.”

Darüber hinaus ist es das Ganz-Porträt “Behind me” vom Berner Norbert Wiedmer, welches das Festival für den Schauspieler bedeutsam macht. “Ich will in der Nähe dieses Filmes bleiben.”

Einem Film, in dem Ganz nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera stand. Zuerst habe er etwas gezögert, doch dann habe er gemerkt, dass die Kamera ein “Apparätchen” sei, das “alles von selber macht”. Und jetzt sei er stolz auf seine Arbeit als dritter Kameramann.

Eine Annäherung

Regisseur Norbert Wiedmer hat drei Jahre an diesem Film gearbeitet. An der Erstaufführung – der Kursaal war gestossen voll, einige mussten draussen bleiben – sprach Wiedmer von einem “Weg” von drei Jahren. Der Film sei auch die Geschichte einer Annäherung.

Der Film ist kein Porträt im herkömmlichen Sinn, keine Bilanz eines Künstlerlebens, keine Biographie. Auf Gespräche und Interviews wurde verzichtet. Gezeigt wird Bruno Ganz bei seiner Arbeit: Bei den Proben zu “Faust” in der Inszenierung von Peter Stein, bei Lesungen im Aufnahme-Studio. Zum Ausdruck kommt die Liebe des Schauspielers zu Wort und Sprache. Möglich wird auch ein Blick auf die Beziehungen zu den zu Menschen, die ihn umgeben.

In Schwarz-Weiss-Sequenzen zeigt der Film Bruno Ganz zudem in der Rolle eines Schauspielers, der einem Mädchen das Märchen von Nils Holgersson erzählt. Auf dem Rücken der Gänse erreicht Nils Venedig. Dann folgen die Bilder, die Bruno Ganz von Venedig, einem “Hort seiner Sehnsucht”, gedreht hat.

Poetisch und “reich”

Die Struktur des Films habe sich im Verlauf der Dreharbeiten entwickelt. Analog zum Vertrauen zwischen Ganz und Wiedmer, wie Bruno Ganz nach dem langen Applaus im Kursaal dem Publikum erzählte. Am schwierigsten sei für ihn gewesen, zu merken, “was verstecke ich von mir, was zeige ich wirklich”. Der Film gefalle ihm nun: “Die Art, wie er erzählt, ist für mich reich.”

In der Tat ermöglicht “Behind me” einen schönen Zugang zur Persönlichkeit von Bruno Ganz: Eine poetische Begegnung, mit einem besonderen Respekt sowohl gegenüber Bruno Ganz wie dem Publikum. Dieses muss nur bereit sein, sich von der ungewöhnlichen Erzählweise mittragen zu lassen.

Kathrin Boss Brawand, Locarno

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