Häuserpreise: Bringt der demographische Wandel die grosse Korrektur am Immobilienmarkt?

Wenn die Baby-Boomer ihre Häuser verkaufen, wird der Schweizer Immobilienmarkt kippen, sagt ein Basler Demograf. Auch in den USA wird über die Folgen eines «Silver Tsunami» spekuliert. Können junge Generationen auf einbrechende Preise hoffen?
Deutschland, Frankreich, Österreich – während die Immobilienpreise in den Nachbarländern der Schweiz zuletzt gesunken sind, dreht sich die Preisspirale hierzulande unbeeindruckt weiter.
Der Grund dafür ist das anhaltende Bevölkerungswachstum der Schweiz. Gerade hat das Bundesamt für Statistik seine neue Prognose veröffentlicht, demnach wird die Bevölkerung in den nächsten dreissig Jahren von 9 auf 10,5 Millionen weiterwachsen.
Wer sein Geld in der Schweiz in ein Eigenheim investiert, kann – so scheint es – nichts falsch machen.

Einer, der dieses Betongold-Narrativ infrage stellt, ist Hendrik Budliger, Gründer des Kompetenzzentrums Demografik.
Er hat sich mit seinem Beratungsunternehmen auf die Frage spezialisiert, wie sich die zunehmende Überalterung und die Arbeitsmigration auf den Immobilienmarkt in der Schweiz auswirken.
Budliger sagt: «Die Preise, die wir heute sehen, sind falsch. Sie implizieren, dass die Preise immer weiter steigen.» Budliger rechnet mit einer Korrektur.
Viele Pensionäre, keine Kinder
Seine Vorhersage fusst auf zwei Annahmen. Erstens: Die Bevölkerungsprognose des Bundes, das sogenannte Referenzszenario, ist übertrieben. Wahrscheinlicher sei das tiefe Szenario, bei dem die Bevölkerung in der Schweiz ab 2043 abnimmt.
Der Grund dafür ist die Entwicklung in der EU. Länder wie Deutschland oder Italien spüren bereits den Fachkräftemangel und dass die Zahl der arbeitstätigen Bevölkerung rückläufig ist.
«Italien und Portugal versuchen schon heute, ihre Bevölkerung mit Steueranreizen und anderen Mitteln zu halten oder zurückzuholen», so Budliger. Eine Tendenz, die sich noch verstärken dürfte.
In der Bevölkerungsprognose der UNO ist dieser Wettbewerb der Länder berücksichtigt. «Die UNO macht ein Gleichgewichtsmodell. Und der Median für die Schweiz liegt sehr nah am tiefen Szenario des Bundesamtes für Statistik», sagt Budliger.
Zweitens erwartet er, dass durch die Verschiebung der Altersstruktur plötzlich viele Verkäufer wenigen Käufern gegenüberstehen werden. Selbst im Referenzszenario steigt die Zahl der über 65-Jährigen bis 2055 von 20% auf 25%.

«Leute ab 60 verkaufen Immobilien», sagt Budliger. «Das ist der Grund, warum wir nun immer mehr Verkäufer haben werden. Und es ist auch die Generation mit dem höchsten Wohneigentumsanteil.»
Demgegenüber stehe eine junge Generation mit vielen Kleinhaushalten. 2024 sank die Geburtenrate in der Schweiz auf ein neues Rekordtief von 1,28. Budliger folgert: «Wir haben über kurz oder lang zu viele Einfamilienhäuser und zu wenig Familien, welche diese Objekte nachfragen werden.»
Erste Anzeichen, dass sich der Markt verändert, seien heute schon spürbar. Budliger prognostiziert, dass die Entwicklung ab 2030 Fahrt aufnimmt.
Viele Eigentümer seien so hoch verschuldet, dass ihre Renten nicht ausreichen, um eine Hypothek zu erneuern.
«Wenn der Markt kippt – und er wird kippen – dann kann es schnell gehen, dann kommen wir in eine Situation, wo man lieber heute als morgen verkauft», sagt Budliger.
Der Tsunami trifft nicht alle
Die Auswirkungen würden allerdings regional sehr unterschiedlich ausfallen. Die grossen Zentren würden zuletzt korrigieren, räumt Budliger ein.
Die Idee krisenfester Zentren ist unter Fachleuten weit verbreitet. Gerade wurde sie von einer Studie der Immobilienwebseite ZillowExterner Link für die USA mit Zahlen unterlegt.
In den USA wird der demografisch bedingte Einbruch des Immobilienmarktes unter dem Begriff «Silver Tsunami» diskutiert.
Die Studie kommt nun zum Fazit, dieser Silver Tsunami werde das Problem der hohen Eigenheimpreise nicht lösen. Dies, weil viele der Häuser, die auf den Markt kämen, in wenig gefragten Regionen lägen.
Sarah Dickerson von der Universität von North Carolina, die zu sozialen Aspekten des Immobilienmarktes forscht, bestätigt diesen Befund: «Viele Babyboomer wohnen in Vorstädten und ländlichen Gebieten, was bedeutet, dass die freiwerdenden Wohnungen möglicherweise nicht den Anforderungen von Personen im erwerbsfähigen Alter entsprechen, welche die Nähe zur Stadt bevorzugen.»
In der Schweiz droht laut der UBSExterner Link jenen Regionen, die neben der Alterung auch mit einer Abwanderung zu kämpfen haben, «ein Szenario mit steigenden Leerständen und einem Abwärtstrend bei Eigenheimpreisen». Dies treffe insbesondere auf die Bündner und Berner Bergregionen sowie das Tessin zu.
Für Claudio Saputelli, Leiter Immobilienanalyse bei der Schweizer Grossbank UBS, ist das aber eine regional begrenzte Entwicklung. Einen «Silver Tsunami», der auch das Mittelland erfassen könnte, sieht er nicht auf die Schweiz zukommen.
«Pensionierte sterben nicht von heute auf morgen», sagt er. Und sie müssten am Arbeitsmarkt ersetzt werden. «Das überkompensiert den Baby-Boomer-Effekt.»
Das Einfamilienhaus sei vielleicht nicht mehr die Bauform, die am stärksten gepusht werde, räumt Saputelli ein. «Anderseits: Je knapper die sind, desto teurer werden sie.»
Für Saputelli sind es eher konjunkturelle Faktoren, die die Preisentwicklung bestimmen und eine Korrektur auslösen könnten. Als solche sieht er eine anhaltende Rezession, insbesondere in Verbindung mit hohen Zinsen.

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Eine Entspannung – maximal
Ursina Kubli, Leiterin Immobilien-Research der Zürcher Kantonalbank ZKB, sieht ebenfalls keine Anzeichen für einen «Silver Tsunami»: «Wenn mehr Leute in die Pension verschwinden, braucht es einen Nachzug an Arbeitskräften.»
Das Problem heute sei eher, dass zu wenig gebaut werde, um mit der Zuwanderung Schritt zu halten, insbesondere an zentralen Lagen. «Von einer Flut von Altobjekten sind wir weit entfernt.»
Ein Überangebot an Einfamilienhäusern zeichnet sich laut Kubli nicht ab. «Wir haben ja einen hohen Verdichtungsbedarf, und Einfamilienhäuser werden gerne durch Mehrfamilienhäuser ersetzt.» Möglicherweise gebe es bei der Preisentwicklung eine leichte Entspannung.
Robert Weinert, Chefanalyst des Beratungsunternehmens Wüest Partner, sagt, die Verkäufe der Babyboomer könnten in ein paar Jahren zwar auf das Preiswachstum drücken.
«Ich rechne aber nicht mit sinkenden Preisen, da Wohnraum in der Schweiz über Jahre hinweg eine begrenzte Ressource bleiben dürfte.»
Was in 20 Jahren ist…
Laut dem Bundesamt für Statistik wächst die Schweizer Bevölkerung selbst im tiefen Szenario noch bis 2043 weiter an, bevor sie langsam zurückgeht. Bis dahin – also fast zwei Jahrzehnte lang – wächst der Wohnraumbedarf in der Schweiz weiter.
Budliger sagt, genau diesen Zeitraum müssten heutige Immobilienkäufer jedoch in den Blick nehmen. Denn ein Haus benötige man als Bewohner rund 20 Jahre lang.
Brechen die Preise dann gröber ein, droht der heutigen Generation, für die eine Hypothek von einer Million Franken und mehr zur Normalität geworden ist, eine finanzielle Bruchlandung. Aber nicht nur ihr.
Mit rund 1,3 Billionen Franken ist das Hypothekarvolumen in der Schweiz heute nur rund ein Drittel tiefer als im neunmal grösseren Deutschland. Für Budliger ein – aus demographischer Sicht – gewaltiges Risiko.
Noch aber ist Budligers Warnung ein einsamer Ruf im Betongold-Land Schweiz.
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Editiert von Balz Rigendinger

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