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Bildstarke Geschichten von der indischen Strasse

Traumhafte Überlappungen von Video und Malerei von Ranbir Kaleka. Kunstmuseum Bern

Das Kunstmuseum Bern betritt nach der China-Ausstellung von 2005 jetzt wieder Neuland und präsentiert zeitgenössische Kunst aus Indien: "Horn Please" heisst die Ausstellung.

Über 30 Künstlerinnen und Künstler erzählen lustvolle, kritische, alltägliche und aussergewöhnliche Bildergeschichten.

“In dieser Ausstellung geht es ziemlich laut zu”, warnt Matthias Frehner, Direktor des Kunstmuseums Bern. Mit der Aufschrift “Horn Please” fordern indische Lastwagenfahrer dazu auf, durch Hupen auf sich aufmerksam zu machen.

Auch die indische Kunst erregt Aufmerksamkeit – mit bunten, schrillen, lauten, aber auch mit stillen und subtil erzählten Bildergeschichten. So krachen in einem Videoclip, das für ein Radio wirbt, zwei Autos zusammen. Die Fahrer steigen aus und beginnen übermütig zu tanzen.

Im grossformatigen Gemälde “Richshawpolis” von Jitish Kallat, einem jungen Künstler aus Bombay, drängen sich Autos, Fahrräder, Fussgänger, Busse und Kuhgespanne durch überfüllte Strassen. Das Bild scheint zu explodieren. Beinahe glaubt man das gemalte Gedränge auf der Leinwand zu hören und zu riechen.

Die magische Kuh

Die Künstlerin Mithu Sen aus Delhi ist nur mit Handgepäck nach Bern gereist und hat, unterstützt durch ein Stipendium der Stiftung GegenwArt, drei Wochen im Kunstmuseum direkt auf die Wände eines Raums gemalt. Entstanden sind Variationen über eine magische Kuh, die ihrem Besitzer jeden Wunsch zu erfüllen verspricht.

Das Erzählerische ist das verbindende Element in der zeitgenössischen indischen Kunst. Auffallend auch das soziale und politische Engagement, die Auseinandersetzung mit Auswüchsen der Globalisierung und mit der Alltagsrealität.

“Das fing in den achtziger Jahren an”, sagt die indische Kuratorin Suman Gopinath gegenüber swissinfo. Sie zeichnet zusammen mit Kunstmuseums-Kurator Bernhard Fibicher verantwortlich für die Ausstellung in Bern.

“Damals herrschte besonders in der Kunstszene Bombay ein internationaler Malstil vor. Davon wollte die neue Generation wegkommen, ihren eigenen Stil entwickeln”, ergänzt sie. Zudem hätten die Kunstschaffenden nun mehr Gewicht auf gemalte oder erzählte Inhalte als auf Form oder Stil gelegt.

Kunst erzählt Geschichten

Historisch erklärt Suman Gopinath das Phänomen mit dem zunehmenden Selbstvertrauen der Inderinnen und Inder in einem ehemals kolonisierten und nun eigenständigen Land.

In einer denkwürdigen Ausstellung mit dem Titel “Place for People” 1981 in Delhi und Bombay fand die engagierte Kunst in Indien zum ersten Mal öffentlichen Ausdruck. “Horn Please” lässt diese Zeit, als sich die Künstler den öffentlichen Raum, die Strasse und brennende Themen der Gegenwart eroberten, wiederaufleben.

“Kunst wurde zu einem wichtigen Mittel, unsere eigenen Geschichten zu erzählen und die herrschenden Spannungen zu thematisieren”, sagt Gopinath.

Subtil zeigt sich dies in der anspielungsreichen Bilderserie “Scenes from Marriage” von Atul Dodiya, der sich ironisch auf einen traditionellen Heiratsratgeber bezieht. Suggestiv wirkt das Werk “Crossings” von Ranbir Kaleka, in dem sich Video und Malerei in langsamen Bewegungen überlagern.

Anonym und intim

Wie ein ruhender Pol in der die Sinne kräftig herausfordernden Ausstellung ist der Raum mit den schwarzweissen Fotografien von Dayanita Singh. Die dargestellten, meist menschenleeren Räume wirken zugleich anonym und intim. Diese Fotos lassen Geschichten in den Köpfen der Betrachtenden entstehen.

Der Querschnitt durch die neue indische Kunst in der Ausstellung “Horn Please” ist von überbordender Fülle und Vielfalt. Er zeichnet ein lebendiges, heutiges Indien voll pulsierender Kunst.

swissinfo, Susanne Schanda

Die Ausstellung dauert bis 6. Januar 2008.
Verantwortlich zeichnen Bernhard Fibicher, Kurator Abteilung Gegenwart Kunstmuseum Bern und Suman Gopinath, freischaffende Kuratorin und Direktorin von Colab Art & Architecture, Bangalore.

Die Ausstellung “Horn Please. Erzählen in der indischen Kunst” wird durch ein reichhaltiges Rahmenprogramm ergänzt.

Filmreihe “Bollywood & Beyond” im Kino im Kunstmuseum von 22. September bis 30. Oktober.

Workshops für Kinder: “Bern-Indien retour”, 21. Oktober bis 23. Dezember.

Varun Narain, zur Zeit Artist-in-Residence in Bern, zeigt am 20. Oktober im Schlachthaus Theater Bern zeitgenössisches Puppentheater aus Indien.

Konzert mit dem Schweizer Musiker Don Li und White Space of Mumbai in der Turnhalle Progr Bern, am 21. Oktober.

Vortrag von Jürg Grunder, Architekt und Professor für Architektur in der Schweiz und Indien, 6. November.

Vortrag von Bernard Imhasly, NZZ-Südasien-Korrespondent in New Delhi, 15. November.

Kutiyattam – einzigartiges Erzähltheater aus Kerala, 8. Dezember.

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