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Wie Joe Biden mit seiner Demokratieförderung an Grenzen stösst

Präsident Joe Biden (links) zusammen mit Aussenminister Antony Blinken bei der Plenarsitzung des Gipfels für Demokratie. Seine Ausführungen mit dem Titel "Democracy Delivering on Global Challenges" konzentrierten sich auf den Kampf gegen Autokratie in der ganzen Welt.
Präsident Joe Biden (links) zusammen mit Aussenminister Antony Blinken bei der Plenarsitzung des Gipfels für Demokratie. Seine Ausführungen mit dem Titel "Democracy Delivering on Global Challenges" konzentrierten sich auf den Kampf gegen Autokratie in der ganzen Welt. Keystone

Der Weltdemokratiegipfel war für US-Präsident Joe Biden mit viel aussenpolitischem Prestige verbunden. Nun droht dem ambitionierten Projekt der Schiffbruch. Für die neue Demokratieaussenpolitik der Schweiz ist das eine Chance. Eine Analyse. 

Alle Zeichen standen auf Aufbruch im Dezember des Jahres 2021. In den Korridoren und Sälen des Weissen Hauses hatte die First Lady bereits die Lämpchen der üppig geschmückten Weihnachtsbäume eingeschaltet.

In einem Sitzungszimmer des Westflügels hatte es sich ihr Gatte, US-Präsident Joe Biden, vor einem riesigen Bildschirm bequem gemacht: “Willkommen zum ersten Weltdemokratiegipfel”, begrüsste Biden feierlich über 100 Amtskolleg:innen aus der ganzen Welt, die wegen der Covid-Pandemie nicht persönlich nach Washington reisen konnten.  

Ein Jahr nach seiner Wahl und dem durch seinen Vorgänger angestachelten, aber schliesslich gescheiterten Sturm auf den US-Kongress, verströmte der US-Präsident viel Zuversicht: “Angesichts der anhaltenden und alarmierenden Herausforderungen für die Demokratie und die allgemeinen Menschenrechte auf der ganzen Welt braucht die Demokratie Champions”, sagte Biden und erklärte den GipfelExterner Link zum Startpunkt für diesen Kampf für eine freiere Welt. 

Der SWI-Artikel zur Schweizer Teilnahme am ersten Demokratiegipfel 2021:

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Heute, nur zweieinhalb Jahre nach dem ersten Gipfel, ist von dieser anfänglichen Zuversicht nicht mehr viel zu spüren. Und dies nicht nur wegen der weiter zunehmenden autokratischen Tendenzen in vielen Weltgegenden.

Auch ist das anfängliche Engagement der USA deutlich erlahmt. Das zeigt sich nur schon daran, dass der nun anstehende dritte Gipfel in Südkoreas Hauptstadt Seoul durchgeführt wird – und die Amerikaner kaum mehr präsent sind.  

Doch wie konnte es so weit kommen?

“Demokratie zuerst”-Ansatz als Spaltpilz

Von Beginn weg gab es dunkle Wolken über Bidens Initiative: So lud das Weisse Haus nicht nur etablierte und solide Demokratien wie die Schweiz, Uruguay, Kanada oder Südkorea zu dieser globalen Zusammenarbeit ein, sondern auch den USA genehme Autokratien wie etwa Bangladesch, Pakistan oder Kongo.  

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Laut Stephen Wertheim, Senior Fellow am Carnegie Institute in Washington, machte Joe Biden zudem den gleichen Fehler wie sein Vor-Vor-Vorgänger George W. Bush: “Er verknüpfte die eigenen Wertvorstellungen mit militärischen Instrumenten und dachte, dass er das polarisierte Land eint, indem er weit entfernte Demokratien verteidigt.” Die Folge ist laut Wertheim das Gegenteil: “Der Ansatz ‘Demokratie zuerst’ spaltet die USA noch tiefer.”

Denn nur wenige Amerikaner:innen finden es wichtig und richtig, die “Demokratie im Ausland” zu fördern, wie eine Untersuchung des angesehenen Meinungsforschungsinstitutes “Pew Research Center” zeigt: So bezeichnen über 75% der befragten US-Bürger:innen den “Schutz amerikanischer Arbeitsplätze” als wichtige Priorität in der Aussenpolitik, aber nur gerade 20% die “Demokratieförderung im Ausland”.   

Die erste Ausgabe des Summit for Democracy fand vom 8. bis 10. Dezember 2021 auf Initiative und Einladung von US-Präsident Joe Biden in Washington statt. Hundert Staats- und Regierungschef erklärten an diesem Treffen, wie ihre Länder die Demokratie im eigenen Land und auf internationaler Ebene fördern wollen.

Nach einem zweiten Gipfel, der 2023 dezentral in den USA, Costa Rica, den Niederlanden, Sambia und Südkorea stattfand, geht nun vom 18. bis 20. März 2024 in Seoul der dritte Gipfel über die Bühne. Dabei stehen ein Ministertreffen zum Thema “Künstliche Intelligenz und Demokratie” auf dem Programm, ein Forum der Zivilgesellschaft sowie Gipfel der Staats- und Regierungschefs.

Die Fortsetzung des Prozesses und die Durchführung eines 4. Weltdemokratiegipfels ist derzeit ungeklärt.    

Wie der amerikanische Historiker Wertheim in einem Essay in der Zeitschrift “Atlantic” ausführte, sei der “Democracy First”-Ansatz in vielen Konfliktsituationen direkt kontraproduktiv und könne Konflikte in Übersee gar verschlimmern.

Zum Beispiel in der Ukraine: “Bidens Rhetorik der ‘Verteidigung der Demokratie’ hat ihn in die Enge getrieben: Wenn die Demokratie der zentrale Wert ist, der auf dem Spiel steht, klingt der Gedanke, die gewählte ukrainische Führung unter Druck zu setzen, illegitim, selbst wenn Kiew erreichbare Ziele annehmen oder Verhandlungen mit Russland aufnehmen sollte.”

Wertheim sagt weiter, Putin sei vor allem deshalb in der Ukraine eingedrungen, weil sich diese als Reaktion auf die Handlungen Russlands den Institutionen des Westens angenähert habe. Eine solche Aggression sei illegal und inakzeptabel, unabhängig davon, ob eine Partei eine Autokratie sei und die andere eine Demokratie.

Der Historiker sieht ähnliche Herausforderungen in Washingtons Haltung bezüglich Israels Krieg gegen die Hamas in Gaza oder Taiwans Stellung gegenüber China.

Junge Frau blickt vor US-Flagge in die Kamera.
Kelly Razzouk, Beraterin von US-Präsident Joe Biden für den Weltdemokratiegipfel. WHITE HOUSE

Kelly Razzouk ist die Beraterin von US-Präsident Joe Biden für den Weltdemokratiegipfel. Im Nationalen Sicherheitsrat der USA ist sie für Fragen der Demokratie und Menschenrechte zuständig.

Gegenüber SWI swissinfo.ch sagt sie, der Weltdemokratiegipfel sei zu einem “Katalysator und zur Plattform für Regierungsvertreter, die Zivilgesellschaft und den privaten Sektor geworden, um sich gemeinsam mit den Herausforderungen und Chancen zu befassen, denen Demokratien heute gegenüberstehen.”

Doch angesichts der kommenden Wahlen am 10. April tue sich die koreanische Regierung als Gastgeberin des bevorstehenden TreffensExterner Link äusserst schwer, sagt Sook Jong Lee, Senior Fellow am East Asia Institute, einem unabhängigen Forschungszentrum in der koreanischen Hauptstadt. 

Die Soziologin ist Ko-Koordinatorin des Gipfels und zusammen mit mehreren internationalen Organisationen, die Teilnahme nicht-staatlicher Organisationen und von Jugendverbänden am Demokratiegipfel zu koordinieren.

Auf die Bereitstellung der dafür notwendigen Ressourcen und Infrastruktur hat Seoul verzichtet: Nicht nur werden keine Übersetzungsdienste zur Verfügung gestellt, auch gibt es kaum Sitzungszimmer mit einer Technik, die hybride Treffen ermöglichen.

Am schwersten aber wiegt die Weigerung der Regierung Südkoreas, Teilnehmer:innen des zivilgesellschaftlichen Gipfels zu Treffen mit den Regierungsvertreter:innen einzuladen.     

Droht dem Demokratie-Gipfelprozess das Aus? 

Frau aus Asien spricht in Mikrofone
Sook Jong Lee, Mit-Koordinatorin des 3. Weltdemokratiegipfels in Seoul. Flickr

“Die anfängliche Energie und Dynamik des Gipfels für Demokratie ist verflogen. Wir wissen nicht, wie es nach dieser dritten Auflage weitergehen wird, da viele Länder eher lauwarm geworden sind”, sagt Sook Jong Lee.

Ihr Wunsch: “Es wäre schön, wenn ein Land wie die Schweiz mit ihrer langen und interessanten demokratischen Erfahrung in diesem Prozess eine grössere Führungsrolle übernehmen könnte.” 

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Benjamin von Wyl

Woher schöpfen Sie Optimismus für die Demokratie?

2024 sind so viele Menschen zur Wahl aufgerufen, wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. In dieser Situation fragen wir, aus welchen Gründen Sie doch noch Hoffnung schöpfen für die Demokratie in Ihrem Wohnland und in der Welt?

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In Bern reagiert Simon Geissbühler vorsichtig positiv auf dieses Signal aus Korea. Im Eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist er der zuständige Botschafter für Demokratieaussenpolitik.

“Wir wollen zukünftig den Politikdialog über die Demokratie stärken und multilateral mehr tun. Da könnte ein Gipfel eine interessante Plattform sein, die unseren aussenpolitischen Zielen zum Vorteil gereicht.” Solche Mega-Events würden aber nur dann Sinn machen, wenn sie ergebnis- und zielorientiert seien, also konkrete Resultate bringen würden.

Laut Simon Geissbühler hat die Schweiz die bislang im Rahmen des Demokratiegipfels eingegangenen Verpflichtungen weitgehend erfüllt: “Im Bereich Menschenrechte haben wir mit der Errichtung einer schweizerischen nationalen Menschenrechtsinstitution ein wichtiges Ziel erreicht.

Im Bereich der digitalen Demokratie haben wir den Einsatz digitaler Plattformen unterstützt, beispielsweise durch die Einführung der Wahlhilfe-Applikation ‘Smartvote’ in einer Reihe von Pilotländern.”

Zudem habe die Schweiz “einen erheblichen Beitrag zum Internationalen Fonds für öffentliche Medien geleistet und damit aufstrebende Demokratien durch die Förderung unabhängiger Medien unterstützt”, sagt der Botschafter. 

Gute Voraussetzungen für eine aktivere Demokratieaussenpolitik der Schweiz 

Die Voraussetzungen für eine noch aktivere Rolle der Schweiz in der globalen Demokratieförderung sind vergleichsweise günstig: Mit der neuen Bundesverfassung aus dem Jahre 2000 besteht ein entsprechender Volksauftrag zur “internationalen Demokratieförderung” (Artikel 54.4).

Vor wenigen Wochen verabschiedete der Bundesrat zudem die neue Aussenpolitische Strategie der Schweiz für die Jahre 2024-2027, in der als “neuer Akzent” eine pro-aktive “Demokratieaussenpolitik” beschrieben wird.  

Auszug: “Demokratien sind seit bald 20 Jahren von innen und aussen unter Druck. Die globale demokratische ‘Rezession’, die Expansion autoritärer Tendenzen und Regimes sowie die zunehmende Repression und Einschränkung demokratischer Freiräume in vielen Staaten sind eine Herausforderung für die Schweizer Aussenpolitik, die systematisch und kohärent angegangen werden muss. 

Die direkte Demokratie ist ein zentraler Bestandteil der schweizerischen politischen Identität. Die Demokratieförderung ist ein Verfassungs- und Gesetzesauftrag. Eine Stärkung der demokratischen Werte und Freiheiten dient den Schweizer Interessen global. Trotz oder gerade wegen der Einschränkungen demokratischer Freiräume besteht in vielen Gesellschaften ein grosses Bedürfnis nach mehr Partizipation und der Stärkung demokratischer Institutionen. Diese Opportunitäten sowie das Schweizer Potenzial und Know-how gilt es verstärkt zu nutzen.  

Die Schweiz unterhält das bestehende Netzwerk zur Demokratieförderung mit anderen Staaten und stärkt den Politikdialog sowie demokratische Institutionen und Prozesse in ausgewählten Ländern. Ebenfalls bringt sie sich multilateral ein und ist im Austausch auch mit aussereuropäischen Demokratien.

Aufgrund der schwierigen Lage der Demokratie in der Welt will die Schweiz ihr Profil in der Demokratieaussenpolitik schärfen. Dabei geht es um die weltweite Stärkung demokratischer Resilienz. Eine entsprechende konzeptuelle Grundlage wird zu Beginn der neuen Legislatur erarbeitet.” 

Quelle: Aussenpolitische Strategie 2024-2027 

Dabei kann die Schweizer Regierung – im Unterschied zur US-Regierung – auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zählen: 2021 gaben in einer repräsentativen Umfrage 80% der Befragten an, dass die Schweiz aufgrund ihrer demokratischen Tradition prädestiniert sei, die Demokratie weltweit zu fördern.  

Am bevorstehenden Weltdemokratiegipfel in Seoul wird die Schweiz laut Botschafter Simon Geissbühler “mit einer kleinen, aber breit abgestützten Delegation unter meiner Leitung vertreten sein. Zudem wird Bundespräsidentin Viola Amherd ein Videostatement an den Gipfel beisteuern”.

Es bleibt abzuwarten, ob sie damit ihrem Amtskollegen im Weissen Haus aus der Patsche helfen kann. 

*UPDATE: Die koreanische Regierung hat mitgeteilt, dass mehr als 100 Teilnehmende des NGO-Gipfels zu den Ministertreffen am ersten Tag eingeladen werden und dass führende Regierungsvertreter:innen bei der Veranstaltung zur Zivilgesellschaft am zweiten Tag des Gipfels anwesend sein werden. Die US-Regierung hat mitgeteilt, dass sie auf dem Gipfel mit einer Delegation unter der Leitung des Aussenministers Antony Blinken vertreten sein wird.

Editiert von Mark Livingston 

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