Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Im Wallis verheilen die Wunden nur langsam

In Gondo haben rund 500 Personen am Gedenkgottesdienst teilgenommen. Keystone

Ein Jahr nach den Unwettern, die im Wallis am 14. und 15. Oktober 2000 dreizehn Menschen in den Tod rissen, kehren die Betroffenen langsam zur Normalität zurück. Das am schwersten getroffene Gondo ist nach wie vor eine Gross-Baustelle. Am Sonntag haben die Dorfbevölkerung sowie zahlreiche Gäste an einem Gedenkgottesdienst der Opfer der Unwetterkatastrophe gedacht.

Im besten Fall dauere es noch zwei Jahre, bis das Dorf wiederaufgebaut sei, sagt Gemeinde-Präsident Roland Squaratti. Längst geräumt ist die Schlamm-Lawine, die an jenem Samstag sechs Häuser mitriss und dreizehn Menschen im Dorf den Tod brachte.

Geblieben ist jedoch der Graben, der Gondo in zwei Hälften teilt. Bislang konzentrierten sich die Arbeiten auf die Instandstellung der Strassen, den Wiederaufbau des Dammes zum Fluss Doveria sowie die Sicherung der Bergflanke, von welcher der Erdrutsch abging.

Bevor im Frühjahr 2002 mit dem Wiederaufbau der zerstörten Häuser begonnen werden kann, sind noch verschiedene Fragen mit den Eigentümern zu klären. Den Architekturwettbewerb gewonnen hatte ein Zürcher Architekturbüro mit seinem Projekt «Adagio».

Warten in Brig

Rund 90 der 130 Einwohnerinnen und Einwohner von Gondo sind inzwischen in ihr Dorf zurückgekehrt. Die übrigen haben sich mehrheitlich in Brig niedergelassen und werden später entscheiden, ob sie nach Gondo zurükkehren.

“Der soziale Zusammenhalt ist wichtig”, betont Gemeinde-Präsident Squaratti. “Denn auch wenn Gondo wieder aufgebaut wird, dürfte es für einige von uns schwierig sein, wieder hier zu leben.”

Mit elf Toten und zwei Verschwundenen, deren sterbliche Überreste nicht gefunden werden konnten, war das Walliser Grenzdorf an der Südseite des Simplom-Passes am schwersten von den Unwettern betroffen. Zwei Todesopfer waren in Neubrück zu beklagen. Am Grossen St. Bernhard wurde eine Automobilistin von einem Erdrutsch getötet.

Wirtschaftliche Folgen

Die Unwetter haben verschiedene Unternehmen in Schwierigkeiten gebracht, die Grenzgänger beschäftigen, welche sich längere Zeit nicht zur Arbeit begeben konnten. Es kam jedoch deswegen zu keinen Konkursen oder Betriebsaufgaben.

Insgesamt mussten aufgrund der Unwetter rund 3’000 Personen im Kanton Wallis evakuiert werden. Die Schäden an öffentlichen und privaten Gütern belaufen sich auf rund eine halbe Milliarde Franken. Die definitive Rechnung steht noch aus.

Pfarrer hält Dorf zusammen

Joseph Sarbach, Pfarrer von Gondo, hat die Seinen nach der Katastrophe getröstet und ermutigt. Er ist auch ein Jahr danach derjenige, der die kleine Gemeinde, die dreizehn Menschen verloren hat, als Gemeinschaft zusammenbringt und -hält.

Nach der tödlichen Schlammlawine war Joseph Sarbach die Vertrauensperson für Leid und Verzweiflung. «Eine schwere Bürde angesichts der menschlichen Dramen», sagt der Priester. Auch ein Jahr später könne niemand vergessen. Wer das amputierte Dorfzentrum passiert, werde ständig mit der Erinnerung konfrontiert.

Joseph Sarbach hat auch den Gedenkgottesdienst vom Sonntag gehalten. Rund 500 Personen nahmen an der Feier teil. Sie besammelten sich an der Stelle, wo einst das Gemeindehaus stand und begaben sich anschliessend zur Kirche.

«Das Leben geht weiter, aber nichts ist wie vorher. Die Katastrophe hat Leben zerstört und Häuser weggetragen. Sie hat vor allem ein soziales Gefüge vernichtet», stellt der Pfarrer fest. Von den 130 evakuierten Bewohnern sind nur 90 zurück gekehrt.

Einige hätten auf eine Rückkehr verzichtet, weil sie Angst hätten, andere weil sie einen Strich unter das Vergangene ziehen möchten. Dafür hat Joseph Sarbach Verständnis. «Jeder bewältigt die Trauer auf seine Weise und in seinem Rhythmus.» Viele würden durch den Anblick des Dorfes an tiefe Schmerzen erinnert.

Marienstatuette zur Erinnerung

Für die Zeremonie vom 14. Oktober hat der Pfarrer eine Marien-Statuette anfertigen lassen, die unter ihrem Mantel drei Kinder beschützt. Der Sockel trägt die Namen der elf Toten und der zwei Verschwundenen.

Die Statue soll im künftigen, neu zu bauenden Gemeindehaus Platz finden und jedes Jahr am 14. Oktober für eine kleine Zeremonie hinausgetragen werden. Zur Erinnerung, aber auch “um wie die drei Kinder auf der Statue voraus zu blicken”, sagt der Pfarrer.

swissinfo und Agenturen

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft