Als Frauen gegen ihre politischen Rechte politisierten
"Männer - Brüder - Söhne - rettet uns vor der Politik." Das Plakat ist vom "Kantonalen Aktionskomitee gegen das Frauenstimmrecht" unterzeichnet. Zürich, 1947.
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Die Schweiz, das ist bekannt, gab ihren Frauen als eines der letzten Länder der Welt das Stimm- und Wahlrecht. Nicht nur gegen männlichen Widerstand, auch gegen weiblichen. Was trieb Frauen dazu, gegen ihre Rechte zu kämpfen?
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Als Mitglied unseres Multimedia-Teams konzentriere ich mich auf alles, was mit Bildern zu tun hat - Fotobearbeitung, Fotoauswahl, redaktionelle Illustrationen und soziale Medien.
Ich studierte Grafikdesign in Zürich und London, 1997-2002. Seitdem habe ich als Grafikdesignerin, Art Director, Bildbearbeiterin und Illustratorin gearbeitet.
Eine der letzten, die davon noch berichten kann, ist Rosmarie Köppel-Küng, die Ende der 1950er-Jahre als 30-jährige Kindergärtnerin zum Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht kam.
Protestformen
Stimmrechtsgegnerinnen begaben sich in die paradoxe Situation, sich politisch zu engagieren, um sich nicht politisch engagieren zu können. Dabei waren ihnen Grenzen gesteckt. Während die Befürworterinnen mit ihrem kreativen und aufsehenserregenden Aktivismus Medienaufmerksamkeit erlangen konnten, blieb es bei den Gegnerinnen bei Stammtischen, Teilnahme an Podien und Inseratenschaltung.
Kurz liessen sie sich vom Geist der Zeit mitreissen und versuchten sich in grober Rhetorik, krebsten dann aber bald zurück, da man diese Art des Engagement als wenig weiblich einstufte.
Den Männern der Staat, den Frauen das Haus
Die Gegnerinnen argumentierten primär mit der natürlichen Rollenverteilung. So meinte die Anti-Suffragette Gertrud Haldimann-WeissExterner Link in einem Brief an eine Mitstreiterin: «Unsere wahre Aufgabe ist dienen, schenken, danken, nicht herrschen, fordern oder kalte Berechnung.» Während der Mann für den Staat zuständig war, kümmerte sich die Frau um die kleinste Zelle – natürlich stets unter der Aufsicht der «väterlichen Autorität» ihres Mannes. So hiess es in einem Brief an die Zürcher Formation der Stimmrechtsgegnerinnen:
«Die Ablehnung der politischen Gleichstellung unter den Frauen beruht aber auf der Gewissheit, dass das, was sie als Gattinnen und Mütter, als Schwestern und Töchter, als berufstätige Mitarbeiterinnen leisten, mindestens so hohen Rang besitzt wie die Lenkung der Staatsgeschäfte.»
Männer, die sich für Gleichstellung einsetzten, wurden von Frauenrechtlerinnen oft als schwach dargestellt, so schreibt Haldimann: «Ich platze manchmal fast. Aber ich knirsche oft mit den Zähnen, wenn ich sehe, wie sich die Männer so alles bieten lassen.»
Serie zur Befragung von Frauen betreffend dem Frauenstimmrecht um 1946 – Frau Feller, Tabakverkaeuferin in Sihlau-Adliswil nach der Originallegende: «Ich bin dagegen. Persoenlich verstehe ich nichts von Politik und interessiere mich nicht dafuer! Die Frau soll mit dem Mann sprechen und so die Politik beeinflussen. Sie soll sich besinnen, wo sie hingehoert – in die Familie und dort ist nicht Politik noetig, sondern tiefes Verstehen und Liebe im stillen Heim. Es ist bei vielen Frauen mehr ein Nachschwatzen als ein grosse Beduerfnis. Wenige Befuerworterinnen wissen im Grunde genau um was es geht!»
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Abstimmungsplakat mit der Nein-Parole zur Einfuehrung des Frauenstimmrechts gestaltet von Donald Brun. Das Plakat wurde in der Deutschschweiz im Abstimmungskampf von 1946 eingesetzt. Das Frauenstimmrecht wurde damals mit grosser Mehrheit abgelehnt.
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Frau Haab, Zürich, nach der Originallegende: «Für was denn ein Frauenstimmrecht? Die Frau soll ihrem Manne ein freundliches Heim bereiten. Weniger Vergnuegen und Attraktionen nachgehen, etwas weniger Putzsucht und gespielte Schoentuerei, dafuer mehr Herzenswaerme und Guete. Aber die Maenner sind selbst schuld. Sie lassen sich so schnell von eine affektierten und ueberschminkten Taeubchen den Kopf verdrehen und vergessen darob ihre eigene Familie und Frau. Darum sage ich, statt Frauenstimmrecht, statt mit Zeitungen herumlaufen, politisieren und darob die Erziehung der Kinder vergessen – die Frau soll wieder Mutter werden, stramme Soehne und werdende Muetter erziehen. Ich habe drei Toechter so erzogen und alle drei sind gluecklich verheiratet und teile diese Auffassung mit mir.»
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Das Plakat wurde in der Deutschschweiz im Abstimmungskampf von 1920 in den Kantonen Basel-Stadt und Zürich eingesetzt. Das Frauenstimmrecht wurde mit einer sehr grossen Mehrheit abgelehnt.
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Frau Surbeck aus Zürich, Mutter zweier Kinder und Gemüseverkäuferin nach der Originallegende: «Ich bin prinzipiell dafür und auch bereit die Pflichten, die zum Stimmrecht gehören zu übernehmen. Jedoch habe ich habe keine Zeit für Politik, die Arbeit und die mütterliche Pflicht geht vor. Wenn Abstimmungen falsch herauskommen, könnten die Männer sagen, es sei so, weil die Frauen gestimmt hätten und so alles auf die Frauen ‹abschüttele›.»
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Der Teppichklopfer verweist auf den Haushalt, auf den sich die Frauen nach Meinung des gegnerischen Komitees beschränken sollten. Bei der kantonalen Volksabstimmungen 1947 wird das Frauenstimmrecht im Kanton Zürich schliesslich abgelehnt.
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Frau Emmi Gründel, seit 20 Jahren verheiratet und Geschäftsinhaberin im Cafe «Katja» in Zürich nach der Originallegende: «Ich bin grundsätzlich dagegen! Frauen haben ihre Urbestimmung im Haushalt und der Familie und erziehen die Kinder. So beeinflussen sie auch das öffentliche Leben. Bei Stimmvorlagen, die die Frauen betreffen, sollen die Frauen ihre Männer beeinflussen.»
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Dieses Plakat wurde fuer die Abstimmung im Kanton Basel-Stadt vom 15. Mai 1927 geschaffen.
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Serie zur Befragung von Frauen betreffend dem Frauenstimmrecht um 1946 – Fräulein Elisabeth Hudreoli, 23 Jahre alt, ledig und Filialleiterin in einem Lebensmittelgeschäft in Zürich nach der Originallegende: «Die Männer sollen das machen! Die Frauen sollen den Haushalt machen, die «Knöpfe» erziehen und ein schönes Heim schaffen. Meine Ablehnung ist das Produkt eigener Überlegungen. Ich würde – selbst wenn das Frauenstimmrecht eingeführt würde – aus Prinzip nicht mitmachen.»
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Internationaler Antifeminismus
Damit waren sie nicht allein: international gab es in den 1960er-Jahren die Tendenz, die Verweichlichung der Männer und ihre integration in Hausarbeit zu beklagen. Im Film «Rebel without a cause» findet sich eine Szene, in der der Vater in einer Schürze herumläuft und die Familie bedient – kein Wunder kommt es am Schluss nicht gut mit James Dean!
Diese Ansichten vertrat vor allem die in Havard ausgebildete Anwältin und Autorin Phyllis Shafly, die gegen das Equal Rights Amendment (ERA) kämpfte und die Meinung vertrat, dass Frauen zu Hause bleiben sollten. Paradoxerweise war Shafly hochpolitisiert und kandidierte 1952 für den republikanischen Kongress. Später behauptete sie auch, dass die ERA zu Unisex-Toiletten und zur Förderung der Homosexuellenehe führen würde. Ein Narrativ, das sich in ähnlicher Weise bis heute durchzieht.
SchlaflyExterner Link argumentierte weiter, dass die Rechte der Frauen bereits durch die Verfassung geschützt seien und dass das ERA die Familie gefährden würde – wie sie sagteExterner Link«die Grundeinheit der Gesellschaft, die in den Gesetzen und Bräuchen unserer jüdisch-christlichen Zivilisation verankert ist». Die moderne amerikanische Frau würde den Schutz von Vater und Ehemann und die «christliche Tradition des Rittertums» verlieren.
Vor der Ausstrahlung der NBC-Sendung «Meet the Press» bereiten sich fünf führende Vertreterinnen prominenter Frauenorganisationen auf die Live-Sendung aus Houston, Texas, am 20. November 1977 vor. Untere Reihe, von links sind: Eleanor Smeal, National Organization for Women; Margaret Mealey, National Council for Catholic Women; obere Reihe, von links; Audrey Rowe-Colom, National Women’s Political Caucus; Phyllis Schafly, Stop ERA; und Liz Carpenter, ERAmerica.
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Bürgerliche Statuswahrung
Trotz der Betonung der Häuslichkeit wäre es falsch davon auszugehen, es habe sich bei den Gegnerinnen vor allem um stolze Hausfrauen gehandelt: Auffällig viele Gegnerinnen konnten sich Hausangestellte leisten und stammten aus begüterten und bürgerlichen Verhältnissen. Sie hatten schlicht ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Status Quo.
So wurde der Wunsch nach Gleichstellung der Geschlechter damals im Kalten Krieg auch gerne mit der «Gleichmacherei» im Kommunismus gleichgestellt – auch im Wissen, dass der Status der Frauen im Ostblock etwas anders war, wurde die Ablehnung der Rechte von Frauen mit dem Kampf gegen den Kommunismus begründet. Man fürchtete, das Frauenstimmrecht könnte die Nation erschüttern und anfällig für linke Subversion machen. So war ein Szenario, dass das Frauenstimmrecht die militärische Wehrkraft gezielt angreifen könnte, um die Schweiz zu schwächen. Daraus spricht auch ein grundlegendes Misstrauen, dass die anderen Frauen manipulierbar und irrational handeln werden.
Antifeminismus heute
Sich als Antifeministin zu bezeichnen, ist auch heute noch ein weitverbreitetes Statement – es bezieht sich letztlich meist auf Fragen der alltäglichen Kultur der Geschlechter: Wer kümmert sich um die Kinder? Wer arbeitet Teilzeit?
Doch die Vorstellung, dass Frauen das Stimmrecht abgeben sollten, ist undenkbar geworden. Selbst Rosmarie Köppel-Küng meinte im Interview 2017: «Heute wäre ich dafür.»
Dieser Text basiert auf der Lizenzarbeit des Historikers und Museumsleiters von Schloss Burgdorf, Daniel Furter: «Die umgekehrten Suffragetten», Die Gegnerinnen des Frauenstimmrechts in der Schweiz von 1958 bis 1971.
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