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Burschenherrlichkeit zwischen einst und heute

Zwischen gestern und heute: Studentenverbindungen in der Schweiz. Keystone

Am letzten Augustwochenende trifft sich der Schweizerische Studentenverein (StV) zur jährlichen Generalversammlung.

Doch die einst sehr einflussreiche “alte Burschenherrlichkeit” scheint heute mehr dem “Networking” Platz zu machen. Und die Verbindungen klagen über fehlenden Nachwuchs.

“Die akademischen Verbindungen befinden sich in einem guten Zustand”, so das Fazit einer Umfrage bei den im Schweizerischen Studentenverein (StV) angeschlossenen Verbindungen. Die Verbindungen verbinden nicht nur Deutschschweizer, sondern auch viele Romands und Tessiner lange über die gemeinsam verbrachte Studienzeit hinaus.

Das Zentralfest in der Universitätsstadt Freiburg soll den guten Zustand auch gegen aussen demonstrieren. Der Studentenverein als Familie “und darüber hinaus auch die Familie jedes einzelnen Mitgliedes”, wie es in “civitas”, der Zeitung der Verbindung, heisst.

Der viertägige Grossanlass gilt auch als ein gesellig-kulturell-politischer Treff, an dem viele in der Schweiz einflussreiche Persönlichkeiten jeder Couleur teilnehmen.

Der Kern ist das Drum und Dran

Für Christian Ineichen, den Zentralpräsidenten des StV und v/o “Chübel” (Übername der Verbindung), ist das Zentralfest ein “wesentliches Fest”. Zwischen zwei- und dreitausend Aktive und Ehemalige werden erwartet.

“Der eigentlichen Generalversammlung, wie sie jeder Verein in der Schweiz einmal im Jahr durchführen muss, werden etwa 400 bis 500 Aktive beiwohnen”, sagte Ineichen gegenüber swissinfo.

Das Drum und Dran jedoch ist der Kern der Veranstaltung. Immerhin handelt es sich bei den Altherren und Hohen Damen um einen Teil der Elite der Schweizer Gesellschaft.

Altherren Bundesräte Deiss und Schmid, Novartis-Chef Vasella

Laut StV machen heute 1500 Aktive und 6500 Altherren den Verein aus: “Der StV brachte im Laufe seiner über 160-jährigen Geschichte eine Vielzahl bedeutender Persönlichkeiten hervor: Bundesräte, National- und Ständeräte, Bischöfe, Professoren, Wirtschaftskapitäne, Offiziere usw.”, schreibt der StV auf seiner Homepage.

Dem ist auch heute noch so. So werden zum Beispiel der Schweizer Wirtschaftsminister Joseph Deiss, aber auch Novartis-Chef Daniel Vasella an Podiumsgesprächen in Freiburg teilnehmen.

Nebst Bundesrat Deiss ist auch Verteidigungsminister Samuel Schmid Altherr einer Verbindung.

“Lautes Singen”, viel Bier, Stammtisch aus Holz

Studenten des rechten Politspektrums, die mit Mütze und Band “lautsingend” in den Beizen (Kneipen) am ehrwürdigen Stammtisch Unmengen von Bier konsumieren und durch die Gassen einer Stadt ziehen, prägen bis heute das Image der Studentenverbindungen in der breiten Öffentlichkeit.

Zentralpräsident Ineichen stellt nicht in Abrede, dass die Geselligkeit immer noch einen hohen Stellenwert bei den Studentenverbindungen einnimmt.

Verbindungen wie die politisch und konfessionell neutralen Rodensteiner, stellen gar nicht in Abrede, dem Getränk aus Hopfen und Malz wohlgesinnt zu sein.

Wertkonservativ, aber nicht rechtslastig

Vehement stellt sich Christian Ineichen jedoch gegen den Vorwurf der Ewiggestrigen und Rechtslastigen. “Ich weiss, dass es in Deutschland und Österreich solche Verbindungen gibt”, sagt Ineichen. “In der Schweiz sind mir keine bekannt.”

Der Vorwurf allerdings ist ihm wohlbekannt: “Er macht uns auch das Leben schwer, wir kämpfen dagegen”. Die Studentenverbindungen im StV würden zwar einen gewissen Wertkonservatismus pflegen. Mit “rechtslastig” habe das überhaupt nichts zu tun.

Weiter sei es Absicht der Verbindungen, sich gesellschaftspolitisch zu etablieren. “Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen”, sagt Ineichen, “das wäre für Ewiggestrige kaum möglich”. Man sei ein “Sammelsurium der Kulturen”.

Schlagende Verbindungen dürfen nicht StV-Mitglieder werden

Angesprochen auf eine Besonderheit unter den Studentenverbindungen, die “schlagenden” Verbindungen, stellt Ineichen klar: “Die können im StV nicht Mitglied werden.”

Denn der Studentenverein habe seine Wurzeln in den katholischen Sozialwerken des 19. Jahrhunderts und sei 1841 gegründet worden. Damals und heute noch gelte das Prinzip der “Unverletzlichkeit des Menschen”. Da hätten schlagende Verbindungen keinen Platz.

Eine dieser “Schlagenden” ist die Rhenania in Bern. Sie schreibt: “Wir sind eine schlagende Studentenverbindung, die sich nebst geselligem Beisammensein durch einen starken Zusammenhalt unter den Mitgliedern und gelebte Prinzipien auszeichnet.”

“Ein Rhenane braucht einen bestimmten Charakter, er benötigt Ehrgeiz und Durchhaltewillen”, sagte Philippe Ledermann gegenüber der Zeitung “Der Bund”.

“Schmiss”: Narbe als Zugehörigkeits-Tatoo

Das Fechten und die daraus entstehenden Verletzungen seien interne Angelegenheiten. In der direkten Begegnung gebe es weder Sieg noch Niederlage, denn nach der Partie werde auch die Moral bewertet. Doch es bleibt oft der “Schmiss” als Zeichen im Gesicht – die Narbe sozusagen als Tatoo einer Zugehörigkeit und Attitude.

Dazu gehöre auch das Verhalten während dem Nähen: Die blutigen Schnitt- und Platzwunden würden sofort nach der Partie ohne Betäubung genäht. Die Narbe sollte ja auch etwas sichtbar bleiben. “Nähen tut weh”, gibt Philippe Ledermann unumwunden zu.

Frauen: Von Zaungast bis gleichberechtigt

Verbindungen waren lange Zeit eine reine Männersache. Frauen waren höchstens als Begleitung und Bedienung geduldet. Seit August 1968 sind in den Schweizer Studentenverbindungen auch Frauen zugelassen.

Die Autonomie der Vereine lasse es den Verbindungen frei, ob sie Frauen aufnehmen wollen oder nicht. “Ich bin in einer Verbindung, die keine Frauen aufnimmt”, sagt Christian Ineichen klar.

Zur Position der Frauen in den Verbindungen urteilt Silvan Lerch von der “täglichen Web-Zeitung der ETH Zürich”: “Frauen sind bei modern ausgerichteten Verbindungen wie den Welfen voll gleichberechtigt, bei traditionell orientierten nur Zaungäste.”

Sorgen: Nachwuchs zwischen gestern und morgen

Lerch geht in seiner Recherche auch auf die Spurensuche nach den Schweizer Studentenverbindungen. Er ortet sie im “Spagat zwischen gestern und heute”.

Allgemein stellt er eher einen Abwanderungstrend fest, “zumindest in Zürich”. Diejenigen, die aber in Verbindungen seien, befänden sich in einem “lebendigen Phänomen zwischen gesellschaftlichem Anachronismus und neuzeitlichem Networking”.

swissinfo, Urs Maurer

Studierende an Schweizer Hochschulen (2001): 99’569
Davon Frauen: 46,5%
Ausländische Studierende: 20,4%
Studierende in Verbindungen (“Aktive”): 1500

Ursprünglich dienten Verbindungen als Interessen-Gemeinschaft für Studierende gleicher Herkunft, die für den Besuch der ersten Universitäten ins Ausland reisen mussten.

Nach dem 1. Weltkrieg endete die Blütezeit der Studentenverbindungen.

Der Zofingerverein ist die älteste Verbindung der Schweiz. Er wurde 1819 in Zofingen ins Leben gerufen und war massgeblich an der Gründung des Schweizerischen Bundesstaates mitbeteiligt.

Heute ist die Zofingia die grösste farbeneinheitliche Verbindung. Alle ihre 400 Aktivmitglieder sowie die rund 3000 Altherren tragen die rot-weiss-roten Bänder und die weissen Mützen.

Offizielles Verbindungs-Vokabular:
“Bursche”: vollberechtigtes Mitglied
“Fux”: Mitgliedstatus nach dem Verbindungseintritt
“Kneipe”: offizielle Veranstaltung
“Senior”: Präsident
“Vulgo”: verbindungs-interner (Über-)Name
“(Voll-)Wichs”: traditionelles Festgewand

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