Der sanfte Bescheidene mit der bösen Maske

Er hielt an fünf WM- und zwei Olympia-Turnieren das Schweizer Tor fast rein: Alfio Molina hat Schweizer Eishockey-Geschichte geschrieben. 20 Jahre nach seinem Rücktritt kramt er gegenüber swissinfo in seinen Erinnerungen.
Treffpunkt Resega, das Eishockey-Stadion von Lugano: Hier begann die Karriere von Alfio Molina. Bis heute ist der Hockey Club Lugano (HCL) der Klub seines Herzens geblieben. Fotografien und ein Trikot erinnern an seine Laufbahn.
Alfio Molina ist mittlerweile 61 Jahre alt. Er ist ein Gentleman geblieben und auch sein Körper ist immer noch athletisch.
Wie kam er damals dazu, Torhüter zu werden? «Es war ein Instinkt. Schon als Kind wollte ich immer ins Tor, egal ob wir Fussball oder Eishockey spielten», erzählt er. Diese Rolle entspreche seinem scheuen und eher ruhigen Charakter.
Das Supertalent
Bereits mit 15 Jahren debütierte Molina als Goalie in der Jugend-Nationalmannschaft. Gleichzeitig gelangt er in der A-Mannschaft des HCL, der damals in der ersten Division spielte. «Der Verdienst gebührt meinem damaligen Trainer Elwyn Friedrich, der Mut bewies, mich ins Gewühl zu schicken», sagt Molina bescheiden.
Molina gab das in ihn gesetzte Vertrauen zurück. Denn am Aufstieg des HCL in die Nationalliga B hatte er durch seine Paraden im Tor entscheidenden Anteil.
Ab diesem Zeitpunkt ist er 21 Jahre lang ohne Unterbrechung Goalie des HCL. In der 22.Saison kommt es zum Rücktritt. Für Notfälle bleibt er seiner Mannschaft als Ersatz-Goalie doch noch erhalten.
«Die letzten Spielzeiten waren für mich als Nicht-Profi sehr anstrengend», erinnert er sich. Denn im Vergleich zu den Anfängen in den Jahren 1963/64 hatte sich das Eishockey schon grundlegend verändert.
«Als ich begann, war Eishockey eine Art Zeitvertreib nach dem Feierabend», sagt Molina. Drei Mal pro Woche wurde nur trainiert. Die Spiele fanden samstags, manchmal sonntags statt. Eine Meisterschaft bestand aus einer Hin- und Rückrunde mit insgesamt 24 Spielen.
Abschied einer Legende
Doch dieser eher beschauliche Rhythmus wurde bald schneller: Mehr Trainings, mehr Spiele, mehr Einsatz. Der HCL stieg auf und wieder ab, um 1982 definitiv in der obersten Spielklasse anzukommen. Und 1986 gewinnt der HCL gar den ersten Titel als Schweizer Meister. Der Profi-Sport ist nicht aufzuhalten.
Doch Alfio Molino will da nicht mehr mitmachen. Für ihn war und bleibt Eishockey mit Spass verbunden. Und die Priorität in seinem Leben gehört der Familie und dem Beruf. 1976 war er Vater geworden. Er erklärt seinen Rücktritt, erst von der Nationalmannschaft, dann auch beim geliebten HCL.
Dabei war es immer ein Wunsch von ihm gewesen, im Nationalteam zu spielen. «Ich wollte das Schweizer Trikot jedes Jahr tragen, seit ich in der Junioren-Mannschaft war. Aber diesen Wunsch hütete ich wie ein Geheimnis in mir», verrät er.
Er konnte seinen Traum wahr machen. Nach vier Jahren bei den Junioren stieg er in die A-Nationalmannschaft auf. «Ich war der einzige Spieler italienischer Sprache», erinnert er sich. Doch er habe mit allen gesprochen und sei akzeptiert gewesen.
Bester Torhüter
Die beste Erinnerung hat er an die Weltmeisterschaft 1972 in Prag: «Es war vielleicht meine beste Saison.» Damals lagen Welten zwischen dem Schweizer Eishockey und den grossen Mannschaften der Welt.
Trotz des schwachen Abschneidens der Schweiz schaffte es Molina, zum zweibesten Torhüter des Turniers erkoren zu werden. Dabei hatte man die letzte Partie nicht abgewartet.
Denn im letzten Match spielt er sogar besser als sein finnisches Pendant. Immerhin schafft es Molina zwei Jahre später, als bester Goalie bei der WM in Frankreich ausgezeichnet zu werden.
In der Mensa mit Tretjak
Einen starken Eindruck haben auch die Olympischen Spiele hinterlassen: «Es ist fantastisch, weil man wirklich Athleten aus aller Welt und der unterschiedlichsten Sportarten trifft.» 1972 in Sapporo stand er zusammen mit Valdislav Tretjak in der Schlange der Mensa.
Er konnte sich aber aus sprachlichen Gründen mit der russischen Torhüter-Legende nicht unterhalten. Doch kam es zu einer non-verbalen Kommunikation. «Unser Augenkontakt war eine wirkliche Freude»,
Zwei Monate später treffen sich die beiden bei der WM in Prag wieder. Und schliesslich gelingt es dem Tessiner, bei einem Spiel von Lugano gegen die Moskauer Lokalmannschaft CSKA mit seinem russischen Kollegen Tretjak zu sprechen – dank eines Dolmetschers. Tretjak gilt bis heute als der beste Torhüter aller Zeiten. «Das Treffen war eine grosse Freude für mich», sagt Alfio Molina, ohne den Inhalt des Gesprächs Preis zu geben.
Finne als bester Schweizer
Was denkt Molina über die heutigen Schweizer Eishockey-Goalies? «Das Niveau ist gestiegen, weil sie heute auch ein spezifisches Training erhalten.»
Doch man kann immer noch besser werden. «Mir erscheinen die Schweizer Torhüter generell ein wenig statisch. Sie nutzen die Hände weniger als früher.» Molina glaubt auch, eine Angleichung der Torwart-Stile zu erkennen.
In der laufenden Saison hält er Ari Sulander in der Eishockey-Saison für den besten Goalie in der Schweiz. Der letzte Mann bei den Zürcher Lions «hat einen guten Mix aus altem und neuem Stil.» Nur: Sulander ist ein Finne. Wir werden ihn nicht im Schweizer Nationaltrikot bei den Weltmeisterschaften 2009 sehen.
swissinfo, Sonia Fenazzi
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Geboren am 20. April 1948 in Lugano.
Schon als kleiner Knirps läuft er Schlittschuh. Der Vater ist Goalie beim Hockey Club Lugano (HCL) und nimmt im Winter seinen Sohn mit auf den zugefrorenen See von Muzzano.
Im Alter von acht Jahren steht Alfio erstmals im Tor.
Mit 15 Jahren erhält sein erstes Aufgebot für die Junioren-Nati. Er wird zugleich Stammgoalie der ersten Mannschaft des HCL.
In der Saison 1963/64 gelingt den Luganesi der Aufstieg in die Nationalliga B. Am Erfolg hat Molina entscheidenden Anteil.
Bald wird er in die Schweizer A-Nationalmannschaft berufen, deren Tor er bis 1976 hütet. Stamm-Keeper bleibt er beim HCL bis 1982, als die Luganesi in die oberste Spielklasse aufsteigen.
1982 hängt er die Schlittschuhe an den Nagel, steht aber als Ersatztorhüter bei Notfällen weiterhin im Lugano-Tor. Im Trikot des HCL bestreitet er insgesamt mehr als 500 Partien, im Dress der Nationalmannschaft 64 Spiele.
Molina nimmt an den Olympischen Spielen von Sapporo (1972) und Innsbruck (1976) sowie an fünf Weltmeisterschaften teil.
Bei den Olympischen Winterspielen von Turin 2006 ist er erster Fackelläufer der Schweiz.
Von Beruf war Molina Bauzeichner. Er arbeitete bis zu seiner Pensionierung 2008 bei der Gemeinde Lugano.
Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.
Nach Beendigung der aktiven Karriere hat der HCL seinem langjährigen Torhüter Alfio Molino ein Denkmal gesetzt: In der Mannschaft wird seine Nummer 1 nie wieder vergeben.
Denn diese Nummer soll ewig mit Molina verbunden sein, der nie für einen anderen Verein als den Eishockey-Club seiner Heimatstadt gespielt hatte.
Dabei hatte Molina aufgrund seiner Weltklasseleistungen zahlreiche Offerten erhalten. So war er der erste Schweizer Eishockeyspieler, der ein Angebot eines Klubs aus Nordamerika erhalten hatte.

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