Hafen Bahnhof – die Kunst der Fuge

Regional-Bahnhöfe haben oft ein Renditeproblem. Am Bodensee haben SBB, Denkmalschutz, Architektur und Handel eine pragmatische Lösung gefunden.
Der Bahnhof Kreuzlingen-Hafen verbindet respektvollen Umgang mit der Bausubstanz mit puristischer Ästhetik und betrieblichen Ansprüchen.
An einem Bistrotisch sitzen und die überschaubare Welt beobachten. Ab und zu eine Zugskombination, sonst freier Blick auf Geleise und den Spazierweg zu den Kurs-Schiffen auf dem Bodensee. Kreuzlingen-Hafen ist ein ländlicher Bahnhof. Übernächster Halt: Deutschland.
Die farbenfrohen Züge rollen für das «Bahnunternehmen in der Euroregio Bodensee», THURBO. Die SBB-Tochter musste vor vier Jahren Kosten sparen und wollte den Bahnhof in eine nicht bediente Station umwandeln.
Shop mit Geleiseanschluss
«Das ist ein gesamtschweizerisches Problem», erklärt der zuständige Projektleiter Christian Kümin gegenüber swissinfo. «In diesem Fall haben wir uns für eine Zusatznutzung entschieden.» Das heisst: Die SBB haben das alte Bahnhofgebäude saniert und mit einem zeitgenössischen Anbau erweitert.
Aus dem Kiosk wurde ein Laden mit längeren als ortsüblichen Öffnungszeiten, mit Migros-Sortiment und einem Bistro. Das Personal kümmert sich auch um den Billettverkauf.
Die Ausgangslage für die Sanierung war klar: Der Güterschuppen, das Aufnahmegebäude und das WC-Häuschen mussten erhalten bleiben. «Die vorgesehene Nutzung verlangte klar nach einem Anbau», erläutert der Leiter der SBB-Fachstelle für Denkmalpflege, Toni Häfliger. «Unser Ziel war ein Dialog zwischen den Baustilen. Es gibt keinen Sinn, auf alt zu machen, wenn es gute zeitgenössische Architektur gibt.»
Sandstein trifft Sichtbeton
Der Gewinner des Architekturwettbewerbs, Christoph Göldi, baute einen puristischen Kubus an den 130 Jahre alten Bahnhof. «Die Idee war, ganz klar zwischen alt und neu zu unterscheiden. Der Bahnhof hat Schnörkel, der angebaute Kubus ist puristisch und zurückhaltend. Wir haben für die Aussenhaut bewusst weder Holz noch Metall verwendet.»
Die verwendeten Materialien unterstreichen die Differenzierung. Sandstein steht für die Geschichte, das grosse Glasfenster und Sichtbeton sprechen die Sprache zeitgenössischer Architektur. «Sichtbeton unterscheidet sich farblich nur minim von Sandstein, deshalb ist er dunkelgrau gestrichen», so Architekt Göldi.
Die Quadratur des Raumes
Beim Umbau mussten verschiedene Ansprüche unter einem Hut vereint werden. Die betrieblichen Ansprüche der Bahn verlangten einen freien Zugang zu den Geleisen, der Shop möglichst viel Platz und Stauraum für seine lang gezogenen Norm-Waren-Gestelle und die Denkmalpflege eine räumliche Abtrennung des Anbaus vom bestehenden Bahnhofgebäude.
Architekt Christoph Göldi hat sich durchgesetzt: «Wir haben das Gebäude streng quadratisch dimensioniert, der Shop musste kürzere Gestelle einbauen.» So ist zwischen Neubau und WC-Häuschen ein stimmiger Platz entstanden. Der Zugang zu den Geleisen ist transparent und lesbar.
Güterschuppen, Bahnhof und WC-Häuschen bilden eine Einheit. «Nun stehen alle Gebäude exakt auf einer Linie. Die Betreiberin des Shops wollte den Neubau näher an die Strasse ziehen, das hätte die Einheit zerstört», argumentiert Göldi.
Fuge als Nabelschnur
Der von der Denkmalpflege des Kantons Thurgau verlangten Lücke zwischen Alt- und Neubau stand das Bedürfnis nach einer Verbindung entgegen. Die Verkaufsfläche im Neubau musste mit dem Warenlager im Altbau verbunden werden.
«Mit der nach langen Diskussionen gefundenen Lösung waren alle Beteiligten zufrieden», freut sich Toni Häfliger. Die Frage war: grosse Fuge oder kleine Fuge? «Schlussendlich haben wir eine schmale Fuge ausgewählt. Sie verbindet und trennt die beiden Bauten. Viele gotische Kirchen gehen ja auf romanische Bauten zurück und das sieht man ihnen auch an.»
swissinfo, Andreas Keiser, Kreuzlingen
Die sanierte und erweiterte Bahnhofanlage in Kreuzlingen-Hafen wurde im Dezember 2004 eingeweiht.
Der alte Bahnhof stammt aus dem Jahr 1871.
Die avec-Shops sind aus einem Joint-Venture zwischen der Kiosk AG, der Migros und den SBB entstanden.
Am 20. August 2005 verleiht der Schweizer Heimatschutz anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums den SBB den Wakker-Preis für ihr besonderes Engagement im Bereich Baukultur.

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