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Maurice Chappaz war ein leidenschaftlicher Utopist

Der Walliser Schriftsteller Maurice Chappaz kurz vor seinem 90. Geburtstag in seinem Büro in Le Châble. Keystone Archive

Mit Maurice Chappaz ist einer der wichtigsten und streitbaren Autoren der Westschweiz gestorben. Für seine scharfe Kritik an Umweltzerstörung und Massentourismus wurde er in den 1970er-Jahren als Nestbeschmutzer diffamiert.

“Wer sein Werk gelesen und das Wallis entdeckt hat, nimmt unser Land reicher und tiefer wahr”, sagt Kulturminister Pascal Couchepin, der wie Chappaz aus dem Wallis stammt, zum Tod des Schriftstellers. Chappaz habe eine grosse Naturverbundenheit verkörpert.

Der im Alter von 92 Jahren in Martigny Verstorbene hinterlässt ein grosses literarisches Werk. Seit 1939 schrieb er über vierzig Bücher. Das letzte erschien erst im vergangenen Jahr: “La pipe qui prie et fume”.

Aufgewachsen in der Abtei von Le Châble im Val de Bagnes, war Chappaz als Teilzeit-Weinbauer bei seinem Onkel in seinem Herkunftskanton Wallis verwurzelt. In seinen Büchern erreichte er allerdings schon früh eine universelle Dimension. Sein Schreiben zeugt von einer permanenten Unruhe.

Als Hilfsgeometer bei der Grande-Dixence

Nach seiner Ausbildung im renommierten Collège de Saint-Maurice (auch dies verbindet Couchepin und Chappaz) unternahm er zahlreiche Reisen. Davon erzählte er in seinem Buch “La tentation de l’Orient”.

Das Dilemma zwischen Brotberuf und brotloser Berufung führte zu einer psychischen Krise. Chappaz begegnete ihr, indem er sich 1955 bis 1958 als Hilfsgeometer beim Bau des Staudamms Grande-Dixence “verdingte”. Das ersparte ihm die Psychiatriecouch: “Der Arzt empfahl den Divan, ich wählte die Dixence”, sagte er.

Aus dieser Arbeit entstand ein weiteres Buch: “Le Chant de la Grande-Dixence”. Mit diesem und mit dem “Portrait des Valaisans” gelang ihm 1965 der Durchbruch beim breiten Publikum.

Dann schrieb er 1976 das Pamphlet “Les maquereaux des cimes blanches” (“Die Zuhälter des ewigen Schnees”), und es kam zum Eklat. Seine Art, das Erbe der Natur und der Kultur zu verteidigen, kam einem ökologischen Kreuzzug nahe.

Suche nach dem verlorenen Paradies

Seit “Les grandes journées de printemps” zeigte sich bei Chappaz eine vielfältige Suche nach dem verlorenen Paradies, eine glückliche Irrfahrt.

Der Chappaz-Experte Jérôme Meisoz sieht im Werk des Wallisers eine Spannung zwischen dem Heiligen und dem Profanen, zu dem eine weitere hinzukommt: “die Spannung zwischen der hochgeschätzten Vergangenheit und einer ambivalenten Gegenwart”. Davon spricht “Le Match Valais-Judée”, eine bissige Kritik an der Vermarktung des Wallis für den Tourismus.

Wenn schliesslich der Teufel mit den Hoteliers gegen Gott und die Kinder verliert, verwandelt sich der Text mit einer beinahe surrealistischen Sprache in eine utopische Fabel.

1988 schrieb Chappaz aus Anlass des zehnjährigen Pontifikats von Papst Johannes Paul II in der Westschweizer Zeitung La Liberté: “Seine Position gegenüber der Natur ist klar die der Ökologie und der Lobpreisung. Gegen die Zerstörung, gegen die Zähmung. Daher kommt seine Moral: eine Ökologie des Menschen, die die Trennung von Körper und Seele ablehnt.”

Maurice Chappaz, der nachfolgende Autoren wie Nicolas Bouvier und Jacques Chessex inspiriert hat, ist immer ein leidenschaftlicher Schriftsteller geblieben. 1983 schrieb er in “A rire et à mourir: “Was ist das für eine Idee, ein literarisches Werk mit Tinte zu schreiben! Niemand schreibt so. Die Poesie kommt aus dem Blut.”

Der Match Wallis-Chappaz

Mehrere Chappaz-Werke wurden von Pierre Imhasly ins Deutsche übersetzt, darunter “Rinder, Kinder und Propheten” (“Le Match Valais-Judée”), “Die Zuhälter des ewigen Schnees” und “Die Walliser Dichtung und Wahrheit”.

Nach etlichen anderen Literaturpreisen erhielt Maurice Chappaz 1997 den Grossen Schillerpreis, den renommiertesten der Schweiz. Zum Glück sei der Match Wallis-Chappaz unentschieden ausgegangen, sagte damals Bundesrätin Ruth Dreifuss in ihrer Gratulationsrede.

Mit der Abwandlung des Romantitels “Le Match Valais-Judée” spielte sie unmissverständlich auf Chappaz’ Scharmützel mit den Walliser Heimatausverkäufern an – und lobte ihn dafür.

swissinfo, Jacques Sterchi/La Liberté und Agenturen

Maurice Chappaz ist 1916 als Sohn eines Anwalts in Lausanne geboren worden. Er wuchs in Martigny und in der Abtei von Le Châble im Kanton Wallis auf. Er studierte am Collège Saint-Maurice und anschliessend an der Universität Genf.

Sein erster Roman “Un homme qui vivait couché sur un banc” wurde 1939 von Charles Ferdinand Ramuz hoch gelobt.

1947 heiratete Chappaz die Schriftstellerin Corinna Bille. Nach ihrem Tod 1979 und der Zeit der Trauer schrieb er “Le livre de C.” und “La mort s’est posée comme un oiseau”.

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