Geschichten mit und ohne Sprechblasen
Im April 2020 wurde ein neues Förderungsinstrument lanciert, das sich direkt an die lebhafte und gut vernetzte Szene der Schweizer Comics Künstler wendet. Zehn Werkbeiträge in der Höhe von je 20'000 Franken wurden Anfang dieses Jahres vergeben, künftig sollen jährlich Beiträge an Comic-Künstler vergeben werden. Eine späte Anerkennung der neunten Kunst.
Für Claudio Barandun ist dieser Preis ein Zeichen für die gewachsene «Erkenntnis, dass der Comic eben tatsächlich ein eigenständiges Medium» sei. Barandun ist seit letztem Jahr Co-Geschäftsleiter der Edition ModerneExterner Link, dem Verlag der deutschsprachigen Independent Comic Szene seit der ersten Stunde. Er bezeichnet sich in erster Linie als Fan und begrüsst alles, was dem Medium hilft.
Die Kunstform, die man frankophon auch als die «neunte Kunst» bezeichnet, befand sich, was die direkte Förderung angeht, während Jahren etwas unangenehm eingeklemmt zwischen den Kunstgattungen. «Auch früher wurden schon mal einzelne Projekte aus dem Topf der Literaturförderung unterstützt, aber das Erzählen mit Bildern erfordert ganz andere Fähigkeiten und Ausbildungen. Auch in den Bereich der visuellen Kunst passte der Comic nie ganz, denn auch wenn er geprägt ist von Bildern, waren die Zeichnungen oft zu narrativ und auch sonst zu weit weg vom üblichen Kunstbetrieb,» meint Barandun dazu. Dennoch, die Wertschätzung des Comics habe sich verändert – und auch wenn er bisher hauptsächlich im Feuilleton angekommen ist, höre bei den meisten die «Welt der Comics bei Asterix und Lucky Luke auf».
Die Comicszene wurde von der Kulturstiftung Pro Helvetia auch früher schon mit Beiträgen an Festivals, Lesereisen, Übersetzungen und Publikationen unterstützt. Mit den neuen WerkbeiträgenExterner Link soll das Geld nun direkt an die Künstler gehen und so in ihre Projekte einfliessen. Swissinfo.ch hat mit Fanny VaucherExterner Link und Thomas OttExterner Link, zwei der 10 PreisträgerInnenExterner Link, gesprochen.
«Bei Stipendienwettbewerben mitzumachen, ist ein wenig wie Lotto spielen. Wer sitzt in der Jury? Wer sind die MitbewerberInnen? Und wenn ich nichts zugesprochen bekomme, heisst das noch lange nicht, dass meine Arbeit schlecht ist», sagt Thomas Ott, der seit dem Abschluss an der Schule für Gestaltung in Zürich 1987 mit dem Genre arbeitet und damit zu den bekanntesten Vertretern der Schweizer Comicszene gehört.
Thomas Ott sucht seit längerer Zeit nach Geld zur Finanzierung eines neuen Projekts: «Ich arbeite an einem richtigen Wälzer, geplant sind etwa 300 Seiten.» Ott liebt das Spiel mit dem Genre des Horrors, er mag Stories, die schlecht ausgehen. «Meine Geschichten sind mit zunehmendem Alter aber sicher subtiler und psychologischer geworden. Bei meinem letzten Buch geht es letztlich um das Thema der Selbstfindung.»
Bevor er den Werkbeitrag von Pro Helvetia erhalten hat, suchte er zwei Jahre lang ohne Erfolg. «Es kann sein, dass das mit der Art und der Qualität meines Projektes zu tun hat, es ist aber auch gut möglich, dass der Grund dafür bei meinem Alter und meiner doch recht etablierten Position in dieser Szene liegt. Viele denken sich vielleicht: Der Ott hat ein Buch gemacht für Louis Vuitton, der hat eine Galerie und kann Illustrationen an Sammler verkaufen, der braucht das Geld doch gar nicht.»
Ott findet es wichtig über Geld zu reden: «Für die Auftragsarbeit für Louis Vuitton hatte ich beispielsweise 40’000 Franken bekommen, im Voraus. Das ist sehr ungewöhnlich. Hätte ich mein Buch damals innert 7 Monaten abgeliefert wie geplant, hätte ich mal was Rechtes verdient. Die Wahrheit ist aber, dass mich das Projekt zwei Jahre gekostet hat, bis es da war, wo ich meine Arbeit haben wollte.»
Thomas Ott hat neben dem Zeichnen während zehn Jahren an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) unterrichtet und in dieser Zeit Kinder mit grossgezogen. «Das war super. Familie, der Job, meine eigene Arbeit, das gab mir auch eine gewisse Sicherheit. Aber jetzt sind die Kinder gross und mit der Freiheit, die sich damit wieder einstellt, entschied ich mich die Stelle aufzugeben.» Das war kurz vor der ersten Welle der Pandemie, nicht gerade der beste Moment für einen solchen Entscheid, fügt Ott selber hinzu, aber er nimmt es gelassen. «Man gewöhnt sich daran, dass das Geld regelmässig kommt, das kann dann kontraproduktiv sein, was die Kreativität angeht. Man muss als Künstler auch ein wenig unter Druck bleiben, sonst schläfst du ein und wirst bequem, auf jeden Fall geht es mir so.»
Pro Helvetia habe ihn aber zuvor schon unterstützt, mit Reisestipendien oder Ähnlichem. «Wenn ich etwa nach Argentinien zu einem Comic Festival eingeladen werde, dann wenden sich die Organisatoren an Pro Helvetia, damit diese die Reisekosten für mich übernehmen. Ein Festival in Buenos Aires kann diese Kosten nicht selber übernehmen. Ich konnte so reisen und bin so etwas wie ein Kulturdiplomat der Schweiz.»¨
Freiheit vs. Sicherheit
Fanny Vaucher zeichnet klassisch mit Feder und Tusche, die Farben in ihren Bildern sind aquarelliert. Ihr Stil ist im Vergleich zu Thomas Ott leicht und hell. Ott kratzt seine Bilder in die schwarze Oberfläche eines Schabkartons, Vaucher beginnt ihre Zeichnungen auf einem leeren, weissen Papier.
Fanny Vaucher machte erst einen Master in Literatur an der Universität Lausanne und zog danach nach Genf, um dort an der Hochschule für Angewandte Kunst Comics und Illustration zu studieren. Der Wechsel lag für Vaucher nahe, denn sie begeisterte sich sowohl fürs Zeichnen als auch für das Schreiben und damit für die erzählerische Kraft des Comics.
Vor etwas mehr als zwei Jahren zeichnete sie nach einem Drehbuch des Journalisten Éric Burnand «Le Siècle d’Emma», das Leben einer Schweizer Familie im 20. Jahrhundert. Der historische Comic erzählt die Geschichte der politischen und sozialen Ereignisse in der Schweiz «aus der Sicht von Emma, die im Jahr 1900 zur Welt kommt». Das Werk wurde 2020 am Comic Festival in Delémont mit dem Titel «bester Schweizer Comic» ausgezeichnet.
Vor drei Jahren hat sie ihren Nebenjob als Lektorin aufgegeben und lebt seither von ihren Comics und Illustrationen. Nebst den Honoraren, die Fanny Vaucher mit Auftragsarbeiten verdient, besteht ein wichtiger Teil Ihres Einkommens aus Geld, das sie über Stipendien und von Stiftungen erhält. Ausgesprochen kommerzielle Arbeiten für grosse Firmen lehnt sie jedoch ab, sie arbeitet primär für Institutionen wie Museen, Bibliotheken, Medien oder öffentliche Veranstalter.
«Wenn sich meine Bücher gut verkaufen, so wie jetzt mit Le Siècle d’Emma, bringt mir das auch noch ein paar Tausend Franken im Jahr ein. Da ist aber auch nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass ich fast zwei Jahre daran gearbeitet habe.» Vauchers durchschnittliches monatliches Einkommen liegt mit Stipendien bei etwas über 2000 Franken. Das bedeutet einen bescheidenen Lebensstil, «ich habe die Freiheit der Bequemlichkeit vorgezogen», sagt sie. Im Moment ist es aber sehr schwierig: «Meine Art zu arbeiten und zu funktionieren lässt sich offenbar mit den angebotenen staatlichen Hilfsmitteln nicht vereinbaren und mir wurde die Corona bedingte Erwerbsersatzentschädigung nicht bewilligt.»
Grosse Sprünge wird Vaucher auch trotz des Pro-Helvetia-Werkbeitrags keine machen: «Das Geld wird meine täglichen Ausgaben decken. Wenn man bedenkt, dass nur die Hälfte, also 10’000 Franken zur Auszahlung kommt, und die andere Hälfte erst dann, wenn das fertige Werk einem Verlag übergeben wird, so ist das keine grosse Summe für ein Projekt, das mich fast ein Jahr Arbeit kosten wird.» Vaucher sieht den Beitrag denn auch mehr als «Ermutigung und Unterstützung, und nicht zur Deckung der Kosten für die Realisierung.»
Sie sieht den Comic auch als Teil des kulturellen Erbes der Schweiz. «Auch das Verlagswesen muss gefördert, genauso wie Sammlungen, Ausstellungen und die Konservierung unterstützt werden. Es macht keinen Sinn, zu behaupten, dass der Comic in diesem Land von Rodolphe Töpffer (der Sohn des Karikaturisten Wolfgang-Adam Töpffer) in Genf erfunden wurde, und trotzdem so wenig dafür zu tun.»
Dies sind die drei Säulen der Schweizer Comic-Szene: Die Edition Moderne feiert dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Der Verlag publiziert Comics und Graphic Novels in deutscher Sprache. Sein Einfluss geht weit über die Landesgrenzen hinaus.
Strapazin ist eine in Zürich publizierte Comic-Zeitschrift. Das vierteljährlich erscheinende Magazin bietet vor allem unabhängigen ZeichnerInnen eine Plattform. 2018 verlieh die Stadt Zürich Strapazin eine Kulturelle Auszeichnung im Bereich der Literatur.
Fumetto ist das Schweizer Comic-Festival. Es findet jährlich in Luzern statt und hat sich zu einem der wichtigsten internationalen Comicfestivals in Europa entwickelt.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch