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ROMANTSCH —– Die Rätoromanen und ihr Verhältnis zu Zürich

Zürich ist für viele Exil-Romanen eine attraktive Stadt. ST/swiss-image

In Zürich lebt die grösste romanischsprachige Gemeinde ausserhalb des Kantons Graubünden. Viele sind aus wirtschaftlichen Gründen in die Metropole gezogen.

Anton Killias, der Präsident von Quarta Lingua – romanischer Sprach- und Kulturverein in Zürich – im Gespräch mit swissinfo über seine Erfahrungen als Auswanderer.

Quarta Lingua (vierte Sprache) wurde 1972 gegründet. Der Verein hat heute rund 400 Mitglieder, nicht alle romanischer Muttersprache.

Daneben gibt es in Zürich zahlreiche weitere Romantsch-Vereine, und unter anderem auch einen romanisch-deutschen Chor. Was bisher fehlt sind Orte, wo Kinder Romantsch lernen könnten.

swissinfo: Wie gross ist die Romantsch-Gemeinde in Zürich?

Anton Killias: Das wissen wir nicht genau, denn in der Volkszählung wurde dies nicht erfasst. Aber es ist sicher die grösste ausserhalb der Stammlande. Das hat unter anderem auch mit der romanisch-deutschen Zweisprachigkeit zu tun.

Als ich zur Schule ging, hatten wir noch kein Deutsch gesprochen. Heute wachsen die Kinder praktisch mit den beiden Sprachen auf. Da stellt sich dann auch die Frage, welche Sprache man mehr spricht. Wenn man mir diese Frage stellt, so muss ich sagen: Deutsch, da ich in Zürich lebe. Aber im Familienkreis und im romanischsprachigen Freundeskreise sprechen wir natürlich Romantsch.

swissinfo: Wieso verlassen so viele Romantsch Sprechende das Graubünden und kommen nach Zürich?

A.K.: In meiner Jugendzeit gab es noch viele Grossfamilien. Wir waren zu Hause acht Geschwister. Nur eines der Kinder konnte den Hof übernehmen, die andern mussten etwas anderes lernen. Und da gab es im Dorf nur wenig Möglichkeiten.

Zürich ist die grösste Schweizer Wirtschaftsmetropole und daher sehr attraktiv. Auch wenn man auf die Universität wollte, musste man Graubünden verlassen, und da lag Zürich auch am nächsten. Viele von uns blieben danach einfach hier.

swissinfo: Hat das Leben hier in Zürich auch Nachteile?

A. K.: Zu meiner Zeit hatten viele Heimweh. Wir mussten ja auch zu einer anderen Sprache greifen. Für die unter uns, die in den Bergen aufgewachsen waren, war der Umzug nach Zürich so etwas wie ein Kulturschock. So bleibt mir in Erinnerung, dass ich als junger Mann nicht genau wusste, wie das Tram zu brauchen. Zudem vermisste ich meine Familie, denn in den Bergen war das Familienleben viel intensiver.

swissinfo: Gehen eigentlich viele der Exil-Romanen zurück ins Graubünden, wenn sie pensioniert werden?

A.K.: Viele von uns haben dort ein Haus, oft ein Ferienhaus wie in meinem Fall. Das Haus steht in Andiast, in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Wir gehen im Winter und im Sommer dorthin.

Allerdings würde es mir schwer fallen, nach 40 Jahren in Zürich, wo ich meinen Freundeskreis habe und auch politisch aktiv war, wieder permanent dort zu leben.

swissinfo-interview: Isobel Leybold-Johnson
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Anton Killias wurde 1930 in Andiast geboren, einem Dorf in der Surselva, wo man Sursilvan spricht.
Er verbrachte den grössten Teil seines Lebens in Zürich, wo er als Versicherungsmann tätig und auch politisch aktiv war.
Heute ist Killias Präsident von Quarta Lingua, einem romanischen Sprach- und Kulturverein.
Quarta Lingua ist verbunden mit der Lia Rumantscha, dem Dachverband für die Erhaltung und Förderung des Romantsch.

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