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Schweizer Hollywood-Insider breitet sein Leben aus

Mathias Brunner vor einem seiner Kunstwerke
Hier zeigt This Brunner eines seiner Kunstwerke, eine riesige Reproduktion eines Taschenbuchs (das Douglas Sirk zu einem klassischen Melodram verarbeitete). Beobachtet wird er von einem seiner engsten Freunde, Filmregisseur John Waters, der auch ein Nachwort zu Brunners Autobiografie verfasst hat. swissinfo.ch

Matthias "This" Brunner hat die Zürcher Filmkultur geprägt wie kaum ein anderer – und sich dabei mit so mancher Berühmtheit angefreundet. Seine neue Autobiografie bietet faszinierende Einblicke in ein Leben voller Leidenschaft, Drama, Luxus, Kino und Kunst.

Es wäre schwierig, eine Geschichte des internationalen Jetsets zu schreiben, ohne die Schweiz zu erwähnen. Hier verbringen Filmstars und die Aristokratie ihre Weihnachtsferien und kurven auf den Skipisten von Klosters, St. Moritz und Gstaad herum.

Audrey Hepburn, David Niven, Richard Burton und Elizabeth Taylor verbrachten in der Schweiz ihre letzten Lebensjahre. Hier lagerten die Superreichen ihr Geld, nach dem Vorbild vieler klassischer James-Bond-Bösewichte, bevor die karibischen Steuerparadiese aufkamen.

Cover von Magnificent Obsessions Saved My Life
Paramount Pictures

Trotz dieses glanzvollen Stammbaums ist die Zahl der Schweizerinnen und Schweizer, die von sich behaupten können, Teil des berühmten “Gstaad Set” gewesen zu sein, auffallend klein. Sie reicht – zumindest im öffentlichen Bewusstsein – nicht viel weiter als zu den verstorbenen Filmstars Ursula Andress und Maximilian Schell.

Doch das könnte sich bald ändern, dank des Buchs “Magnificent Obsessions Saved My Life”, das demnächst in zweiter Auflage erscheinen wird.

Der Filmkurator und Künstler Matthias “This” Brunner schildert darin sein bemerkenswertes Leben – von der Anklage, “unanständige” Filme zu zeigen, bis zur Freundschaft mit Andy Warhol.

Von der unerwarteten Kontaktaufnahme durch Stanley Kubrick bis zur Aufnahme von Robert Mapplethorpe in seiner Wohnung.

Und schliesslich vom Winterdinner mit Modeschöpfer Valentino, Roger Moore, Bianca Jagger und William F. Buckley bis zum Verlust seiner grossen Liebe Thomas Ammann durch Aids.

Seite mit einem Zitat aus Brunners Buch
SWI

Zürich wird zur “Cinéville”

Brunner, 1945 in eine gutbürgerliche Zürcher Familie hineingeboren, machte sich in den 1960er-Jahren rasch einen Namen, indem er für die aufblühende Gegenkultur der Stadt kuratierte Programme mit Avantgardefilmen organisierte.

“Mir wurde klar”, erinnert er sich bei einem Gespräch in seinem Haus, das mit seinem Design aus der Jahrhundertmitte und der zeitgenössischen Kunst wie eine Kunstgalerie wirkt, “dass ich die Sache selbst in die Hand nehmen musste, wenn hier in Zürich niemand [Rainer W.] Fassbinder und [Wim] Wenders zeigen würde”.

Es folgte eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte in der Schweizer Kinolandschaft: 1973 eröffnete Brunner sein erstes Kino und legte damit den Grundstein für die Arthouse-Kinokette, die auf ihrem Höhepunkt acht Standorte in ganz Zürich betrieb.

Poster für das Filmpodium Zürich
Eines der Plakate, die Walter Pfeiffer im Auftrag von Brunner für eine Douglas-Sirk-Retrospektive (1974) im Zürcher Filmpodium entwarf, dem bis heute wichtigsten Arthouse-Kino der Stadt. © Walter Pfeiffer

Obwohl er 2009 von seiner Funktion bei Arthouse zurückgetreten ist, verfolgt er das Geschehen in der Zürcher Kinoszene weiterhin mit grossem Interesse.

Die Kinowelt blieb von den globalen Auswirkungen der veränderten Publikumsgewohnheiten und der Covid-19-Pandemie nicht verschont.

Wie überall auf der Welt blieb auch Zürichs Kinoszene nicht verschont: In den letzten fünf Monaten ging ein grosses Kino in Konkurs, das Arthouse-Multiplex Kosmos. Und zwei der verbliebenen sieben Arthouse-Kinos haben ihre baldige Schliessung angekündigt.

Brunner nennt die Kosmos-Pleite “völlig vorhersehbar” und verweist auf eine Reihe von Ursachen: das Aufkommen moderner, konkurrierender Arthouse-Ketten, die sich gegenseitig die Kundschaft abgraben, und die zunehmende Verfügbarkeit von Hightech-Heimkinos.

Am provokantesten ist vielleicht, dass er eine weltweite Entwicklung hin zu einer “Wischiwaschi-Programmierung” beklagt. Die Kuratierenden versäumten es, Assoziationen zwischen einzelnen Kinos und bestimmten Filmschaffenden zu knüpfen, wodurch sich die Kinos nicht mehr durch ihre Filmauswahl profilieren könnten.

Der gnadenlose Absturz der Filmkritik

Auch der Kulturjournalismus sei nicht frei von Schuld, sagt Brunner. Zwar habe er immer wieder damit zu kämpfen gehabt, dass die Kritik “seine” Filme verriss – besonders in Erinnerung sind ihm die Zeitungen, die das Frühwerk von Quentin Tarantino ablehnten.

Doch der aktuelle Zustand der Kritik sei für ihn besonders ernüchternd: “Es geht nur noch darum, sich mit anderen Kritikerinnen und Kritikern kleinlich zu streiten – extreme Positionen einzunehmen, um ihrer selbst willen.”

Er wünscht sich mehr Raum für kulturelle Debatten: “Es sollte echte Argumente geben, eine tiefere Auseinandersetzung mit schwierigen, extremen Themen. Stattdessen blättert man weiter und hört nie wieder etwas über den Film.”

Doch diese Kritik bedeutet nicht, dass Brunner der Filmkultur, die er mitprägte, den Rücken kehren würde: Als wir ihn treffen, ist er gerade im Begriff, die jüngsten Filme nachzuholen.

Das Drama “The Eight Mountains” und der oscarnominierte Film “Tár” mit Cate Blanchett gefallen ihm gut, während der siebenfache Oscar-Gewinner Everything Everywhere All at Once ihn nicht überzeugen konnte.

“Unerträglich schlecht. Ich bin nie in die Geschichte reingekommen – es schien mir, als wären die Regisseure nur auf Koks. Nach 90 Minuten habe ich das Kino verlassen.”

Hinter den Kulissen des Jetsets

Doch wie kommt es, dass ein Zürcher Filmkurator zum festen Bestandteil hyperexklusiver Prominententreffen auf Privatinseln und zum persönlichen Freund von John Waters, Douglas Sirk und Elizabeth Taylor wurde?

Thomas Ammann vor dem Balthus-Gemälde Drei Schwestern
Thomas Ammann vor dem Balthus-Gemälde “Drei Schwestern” (um 1965), fotografiert Anfang der 1980er-Jahre. © Jeannette Montgomery Barron

In seinem Buch, das persönliche Anekdoten mit grossformatigen Technicolor-Filmstills und einigen wenigen Schnappschüssen von ihm selbst sowie Dutzenden seiner berühmten Zeitgenossinnen und -genossen kombiniert, schreibt Brunner dies einer Mischung aus “kulturellem Glück und Unternehmergeist” zu.

Durch seine Verwurzelung in der blühenden Zürcher Kunstszene der späten 1960er-Jahre wurde er von vielen internationalen Kunstschaffenden wahrgenommen.

Seine Bemühungen, die radikalen Werke von Waters, Pier Paolo Pasolini, Nagisa Ōshima und Niki de Saint Phalle zu zeigen, machten ihn bei Provokateuren dieses Kalibers ebenso beliebt wie bei der Zürcher Sittenpolizei.

Und dann war da noch sein langjähriger Lebensgefährte Thomas Ammann, der sanfte Kunsthändler vom Bodensee, mit dem Brunner nach eigener Aussage die glücklichsten Jahre seines Lebens verbrachte – und der sich mit seinem hohen beruflichen Status und seiner sympathischen Art einen festen Platz auf den Terrassen und Yachten der Reichen und Berühmten sicherte.

Das letzte Kapitel des Kapitalismus

Das Ammann-Kapitel in “Magnificent Obsessions” ist ein Muss für alle, die sich für den Starruhm der Nachkriegszeit interessieren: Unerwartete Cameos gibt es zuhauf, dazu intime Urlaubsfotos und Geschichten aus dem Schoss des Luxus.

Berühmte Namen fallen in rasantem Tempo, doch die Dekadenz des Ganzen ist Brunner nicht entgangen, der scherzhaft meint, man habe das Gefühl, “das letzte Kapitel des Kapitalismus zu erleben”.

Kathryn Bigelow und Brunner, East Hampton. Fotografiert um 1983 von Thomas Ammann
Als sie noch reine Kinobegeisterte waren: Brunner mit Kathryn Bigelow, East Hampton (USA), 1983. Bigelow hat später mehrere preisgekrönte Filme gedreht, darunter “The Hurt Locker” (2010) und “Zero Dark Thirty” (2012). © Archive Matthias Brunner

Brunner schildert Ammanns Tod an den Komplikationen von Aids im Jahr 1993 in herzzerreissenden Details – und bringt seine anhaltende Frustration über die öffentliche Reaktion auf die Krise in den 1980er-Jahren zum Ausdruck: “Dadurch wurde Schwulsein viel weniger akzeptabel als zuvor”, erinnert er sich.

Und obwohl er feststellt, dass sich die Situation für die LGBTIQ+-Gemeinschaft seither deutlich verbessert hat, nennt er die rechtsextreme Gewalt gegen Homosexuelle und die Dämonisierung von trans Personen, die unter anderem von der Republikanischen Partei in den USA propagiert wird, als Verhaltensweisen, die von den Medien und der Öffentlichkeit aufs Schärfste verurteilt werden müssen.

Und die Zukunft? Brunner gibt zu, dass die täglichen Nachrichten heute kaum noch Trost spenden: “Mir tun die jungen Leute leid”, sagt er. “Wie wird ihr Leben in zwanzig, dreissig Jahren aussehen? Alles scheint immer schneller, immer verrückter, immer gefährlicher zu werden.”

Aber genau das ist es, was gute Kunst auszeichnet: Visionen zu vermitteln, wie die Welt sein könnte. In gewisser Weise erhofft sich Brunner das auch von seinem eigenen Buch.

“Wenn meine Autobiografie junge Lesende dazu inspiriert, die Dinge, die sie lieben, mit noch mehr Leidenschaft zu tun und zu erkennen, dass ihr Leben durch den Dialog der Künste ungemein bereichert wird, dann hat es seine Aufgabe erfüllt. Das würde mich glücklich machen!”

Kunstinstallation mit 4 Bildschirmen, die gleichzeitig Filmausschnitte zeigen
Brunners Filminstallation “Magnificent Obsession – The Love Affair Between Movies and Literature”, wenn sich das riesige Taschenbuch öffnet: Auf vier Bildschirmen werden gleichzeitig verschiedene Ausschnitte aus einigen der nach Brunners Meinung bedeutendsten Filme der Filmgeschichte gezeigt, in denen Bücher eine wichtige Rolle spielen. swissinfo.ch

Das Buch

“Magnificent Obsessions Saved My Life”Externer Link von Matthias Brunner. Edition Patrick Frey, Zurich.

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub 

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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