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Wählen in der Wahlheimat

Deutsche haben sich wegen des ihnen bisher untersagten Doppelbürgerrechts weniger ums Schweizerwerden bemüht als andere Nationen. Seit Mitte 2007 ist dies nun erlaubt. Auch die Familie Lodewyks möchte sich einbürgern lassen.

Ein interessantes Stellenangebot führte den Maschinenbau-Ingenieur Johann Lodewyks 1994 aus Essen in der Schweiz. 1995 folgten ihm seine Frau Gabriele, eine Gymnasiallehrerin, mit den Kindern Lars und Cecilia nach.

Seither leben sie in Kriens bei Luzern. Vor kurzem haben sie sich für die Schweizer Staatsbürgerschaft beworben. «Wir möchten endlich an den politischen Entscheiden teilnehmen», sagt Gabriele Lodewyks.

«Da wir inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft behalten dürfen, auch wenn wir Schweizer geworden sind, ändert sich für uns nicht viel – ausser, dass wir hier stimm- und wahlberechtigt werden», sagt Johann Lodewyks. Und Tochter Cecilia doppelt nach: «Das gilt auch für mich. Ausserdem fühle ich mich als Schweizerin, ich bin schliesslich hier aufgewachsen.»

Bisher konnte Cecilia weder eine deutsche noch eine schweizerische Identitätskarte beantragen. Es sei sehr umständlich, immer den Reisepass mitzuschleppen, im Ausgang, für den Eintritt in die Clubs, etc.

Weil die Kinder der Lodewyks inzwischen volljährig sind, ist die Einbürgerung eine individuelle Entscheidung jedes Familienmitglieds. Für den Sohn könnte eine Einbürgerung zur Zeit uninteressant sein, vermutet Gabriele, da er Militär- oder Ersatzdienst leisten müsste.

Politische Polarisierung lässt Wunsch reifen

Gegenüber früher herrsche in der schweizerischen Politiklandschaft eine Polarisierung, so die Lodewyks. Das verstärke ganz klar das Bedürfnis, am politischen Leben aktiver teilzunehmen.

«Das Wahlrecht ist ein wichtiger Grund zur Einbürgerung. Aber der Umstand, dass ich jetzt den deutschen Pass nicht mehr abgeben muss, wiegt stärker», sagt Johann.

Da sie gerne abstimmen möchte, meint Cecilia, sei die Einbürgerung auch für sie sehr interessant.

Staatsangehörigkeit – kein Kriterium im Arbeitsmarkt

Auf dem Arbeitsmarkt wiege die Staatsangehörigkeit weniger als früher, so Johann. Auch Gabriele meint: «Als EU-Bürgerin mit C-Ausweis werde ich auf dem Arbeitsmarkt genau gleich behandelt wie Schweizerinnen.»

Zumindest sei ihr während Bewerbungsgesprächen nichts anderes aufgefallen. «Im Gegenteil: die Tatsache, dass ich Hochdeutsch spreche, gilt in meinem Berufsumfeld, der Schule, als grosser Vorteil.» Dort wird ja von den Lehrkräften ein tadelloses Hochdeutsch verlangt.

Veränderte Gesetzgebung in Deutschland

Ein Hauptgrund, weshalb bis jetzt so viele Deutsche mit der Einbürgerung zögerten, ist die erst vor kurzem erlaubte Möglichkeit der Doppelbürgerschaft für deutsche Staatsangehörige.

Ein weiterer Grund, nämlich Integrationsprobleme, dürfte bei Deutschen weniger ins Gewicht fallen. Dennoch: Laut Johann betrifft der schwierigste Teil der Integration für Deutsche hierzulande vor allem Missverständnisse um den bisweilen «bissigen deutschen Humor».

Ein weiteres Integrationsproblem, die Sprache, fällt bei Deutschen heute viel weniger an als früher. «Ich betone einfach immer, dass ich die Mundart zwar verstehe, aber bis auf wenige Ausdrücke und Redewendungen nicht spreche», sagt Johann.

«Von mir hat noch niemand verlangt, Schweizerdeutsch zu sprechen. In unserem Team von Lehrkräften werden verschiedene Dialekte gesprochen. Ich verstehe sie alle. Und mein Hochdeutsch wird von allen verstanden», so Gabriele. Mehr brauche es nicht.

«In der Schule ist man mit Hochdeutsch nicht schlecht dran», sagt auch Cecilia. «Würde ich mit meinen Schulfreunden Hoch- statt Schweizerdeutsch reden, würde das wahrscheinlich mich mehr stören als sie.»

Wurzeln bleiben immer deutsch

«Ich fühle mich als Deutsche gut integriert – Kultur und Sprache sind ähnlich», so Gabriele. «Auch mit dem Schweizer Pass werde ich mich als Deutsche fühlen, weniger als Schweizerin. Die Schweiz ist meine Wahlheimat, aber meine Wurzeln sind in Deutschland. Ausserdem rede ich hochdeutsch und denke eher deutsch als schweizerisch.»

Diskriminierung habe sie kaum erfahren, so Tochter Cecilia, obwohl sie bis zum Ende der Primarschule nur Hochdeutsch sprach. Sie sei ja nie die einzige Ausländerin in der Schulklasse gewesen: «Seit ich Schweizerdeutsch spreche, fühle ich mich ohnehin vollständig integriert. Die Schweizer sind alle sehr erstaunt, wenn sie erfahren, dass ich eigentlich eine Deutsche bin.»

Keine Loslösung von Identität, wenig «Vaterland» und dergleichen

Schweizer zu werden sei heute kein derart massiver Einschnitt im persönlichen Bereich mehr wie früher. Johann nennt Beispiele: «Ich kenne Deutsche, für die war die Einbürgerung vor 20 Jahren ein sehr viel schwierigerer, innerer Prozess der Loslösung von der eigenen deutschen Identität.»

Diese alte Generation von «assimilierten» Deutschen betrachte die neue deutsche Einbürgerungs-Generation mit einer Mischung aus Anerkennung und Verwunderung, sagt Johann.

«Ich gehöre zu einer Generation, für die Begriffe wie Vaterland oder Heimat eher problematisch klingen. Ich bin vor dem Hintergrund des europäischen Integrationsprozesses gross geworden.»

swissinfo, Alexander Künzle

Johann wurde 1959 in Essen geboren und ist promovierter Maschinenbau-Ingenieur.

Gabriele wurde 1963 in Mettlach an der Saar geboren, ist Gymnasiallehrerin für Deutsch und Pädagogik sowie Religionspädagogin, arbeitet jedoch als Klassenlehrerin an der Sekundarschule.

Cecilia ist im August 1989 in Aachen geboren und besucht als Schülerin die Kantonsschule.

Im Jahr 2007 schnellten die Einbürgerungsgesuche von Deutschen schweizweit von über 1100 im Vorjahr auf über 2500.

Grund ist die geänderte Praxis in Deutschland: Seit Ende August 2007 dürfen Deutsche bei einer Einbürgerung in einem anderen Land ihre bisherige Staatsbürgerschaft behalten.

2006 wurden 1134 Deutsche eingebürgert, 2007 waren es 1361.

Lebt man seit mindestens fünf Jahren im Land oder ist man drei Jahre mit einem/r Schweizer/in verheiratet oder ist man Kind eines schweizerischen Elternteils, das das Schweizer Bürgerrecht noch nicht besitzt, kann man ein Begehren nach vereinfachter Einbürgerung stellen.

Die Frist für eine ordentliche Einbürgerung beträgt 12 Jahre.

Das Einbürgerungsverfahren ist dreistufig.

Die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung stellt nur das «grüne Licht» für den Erwerb des Schweizer Bürgerrechts durch den Bund dar.

Die Gemeinden und Kantone kennen hingegen noch zusätzliche, eigene Wohnsitz- und Eignungsvoraussetzungen.

Das Schweizer Bürgerrecht erwirbt erst, wer nach Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung auch das Bürgerrecht der Gemeinde und des Kantons erhalten hat.

Ein rechtlich geschützter Anspruch auf die Einbürgerung in der Gemeinde und im Kanton besteht im Regelfall nicht.

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