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Die Krise als Chance

Ein Mann guckt streng in die Kamera
Frank Walter Steinmeier im August 2017. null

Frank Walter Steinmeier hat einige Zeit gebraucht, um in seiner Rolle als Bundespräsident Deutschlands anzukommen. In der Zeit der schwierigen Regierungsbildung schlug seine Stunde. Heute kommt er zum zweitägigen Staatsbesuch in die Schweiz.

Die Voraussetzungen für einen guten Start waren eigentlich perfekt: Als Aussenminister genoss der Sozialdemokrat Frank Walter Steinmeier zuvor die höchsten Beliebtheitswerte im Lande. Seine unaufgeregte und gekonnte Diplomatie hatte den Deutschen das beruhigende Gefühl vermittelt, auf der globalen Bühne bestens vertreten zu sein. Doch in seiner ersten Zeit im Schloss Bellevue musste der gebürtige Siegerländer seine neue Rolle erst finden: Der Übergang von den Verhandlungstischen an die Staatsbankette, von der Krisenintervention zu gesellschaftlichen Appellen brauchte Zeit. Was ist eigentlich die Botschaft dieses Mannes, fragte leicht ratlos die Süddeutsche Zeitung nach seinen ersten 100 Tagen im Amt.

Frank Walter Steinmeier wurde am 5. Januar 1956 in Detmold geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen in dem protestantischen Dorf Brakelsiek im Lipperland auf. Sein Vater war Tischler, seine Mutter erst Fabrik- dann Forstarbeiterin. Er studierte in Gießen Jura, arbeitete dort ein Jahrzehnt lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät und lernte in der Zeit auch seine Frau Elke Büdenbender kennen. Seine politische Laufbahn begann in der niedersächsischen Staatskanzlei als Medienreferent unter dem damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder. Dem folgt er nach Berlin und war von 1999 bis 2005 an der Seite des Kanzlers Schröder Chef des Bundeskanzleramtes. Von 2005 bis 2009 leitete Steinmeier das Aussenministerium in der ersten Grossen Koalition der SPD mit der CDU/CSU. 2009 trat er gegen die Regierungschefin Angela Merkel als Kanzlerkandidat an und erlitt mit 23 Prozent der Wählerstimmen eine empfindliche Niederlage. Seiner Karriere schadete es nicht. Im Dezember 2013 wurde er erneut Aussenminister in der zweiten Grossen Koalition. Im Februar 2017 wurde Frank Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt, am 8. März 2017 übernahm er das Amt von Johannes Gauck. Während seiner Amtszeit ruht seine SPD-Parteimitgliedschaft.

Der Bundespräsident hat zwar viel Macht, doch im Alltag ist er bis auf wenige Punkte eben doch in erster Linie ein Repräsentant des Landes. Die Bürger erwarten von ihm einen moralischen Kompass, Leitlinien und Anstösse in gesellschaftlichen Krisenzeiten. Menschen Mut zur Demokratie machen und an ihre Verantwortung appellieren, diese Rolle hatte Steinmeiers Vorgänger im Amt, der präsente und eloquente ehemalige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck, überzeugend ausgefüllt. Das war kein leichtes Erbe für Frank Walter Steinmeier. “Ich will die Kräfte wecken, die in dieser Gesellschaft stecken”, sagt er bei seiner offiziellen Nominierung. Das klang dann doch etwas zu vage, um als Programm zu gelten.

Neuwahlen verhindert

Seine grosse Stunde schlug mit den gescheiterten Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen fast zwei Monate nach der Bundestagswahl im September 2017. Deutschland stand im November nach wie vor ohne Regierung da. Zuvor hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz eine Fortführung der Grossen Koalition mit der CDU unter Angela Merkel kategorisch ausgeschlossen. Die Zeichen standen auf Neuwahlen. Doch es kam bekanntlich anders. Der Bundespräsident zeigte mit einem Mal jene Autorität und Entschlossenheit, die viele an ihm zuvor im Amt vermisst hatten. Die Lösung erforderte genau das, was der Diplomat Steinmeier hervorragend kann: Vermitteln, mahnen, zuhören, Menschen zusammenbringen und um eine Lösung ringen, selbst wenn die Lage aussichtslos scheint. “In dieser Krise ein Glücksfall” schrieb die ZEIT. Das Blatt hatte sich gewendet.

Durch die Medien gingen Fotos, wie Steinmeier die Parteivorsitzenden nach und nach im Schloss Bellevue empfing und ihnen ins Gewissen redete, doch noch eine Koalition welcher Art auch immer zu bilden. “Wer sich um politische Verantwortung bewirbt, darf sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen hält”, gab er den Gästen mit auf den Weg. Steinmeiers Worte waren mehr als mahnende Rhetorik. In der Tat ist es der Bundespräsident, der über Neuwahlen entscheidet: Wenn es nach einer Bundestagswahl im Parlament wegen fehlender Koalitionszusagen keine Mehrheit für einen künftigen Kanzler oder eine Kanzlerin gibt, liegt es an ihm, den Kopf einer Minderheitsregierung zu ernennen. Alternativ kann er den Bundestag auflösen und den Weg für Neuwahlen freimachen. Eben das wollte Steinmeier um jeden Preis vermeiden. 

Ein Mann und eine Frau auf dem roten Teppich
Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender stehen am Tag seiner Vereidigung vor dem Schloss Bellevue in Berlin. DPA

Zugleich klang aus seinen Worten deutliche Kritik an jenen an, die ihr Ego in den Verhandlungen über die Verantwortung für das Land gestellt hatten. Sie waren wohl auch an seine eigene Partei, die SPD, gerichtet, die sich strikt geweigert hatte, die Grosse Koalition mit der CDU/CSU fortzusetzen. Zu gerupft waren die Sozialdemokraten aus diesen Jahren hervorgegangen.

Es wird Steinmeiers unerbittlichem Beharren zugeschrieben, dass aus den beiden ehemaligen Koalitionspartnern trotz aller Differenzen und Nie-Wieder-Beteuerungen erneut eine Regierung wurde. Am 7. Februar 2018 war die längste Regierungsbildung in Deutschland abgeschlossen.

Bodenständig und zugänglich

Über mangelnde Sympathien musste sich Steinmeier sowieso nie Gedanken machen. Er gilt als bodenständig, ehrlich und zugänglich. Wie einst Gerhard Schröder mischt er sich ohne Allüren unter die Menschen und versteht es Schranken zu überwinden. Dabei hilft ihm sicher das sympathische Auftreten seiner Frau Elke Büdenbender, die ihren Job als Verwaltungsrichterin in Berlin für ihre Rolle als First Lady auf Eis gelegt hat. Die beiden strahlen eine authentische Verbundenheit aus. 2010 spendete Steinmeier seiner Frau eine Niere und zog sich für acht Wochen aus dem politischen Leben zurück. Seine ohnehin hervorragenden Beliebtheitswerte stiegen dadurch weiter an.

Zugleich ist er ein Politprofi, der die Fallstricke des Geschäfts kennt und sich entsprechend verhält. Er kann zuhören, das bescheinigen ihm viele. Steinmeier ist kein verbaler Polterer wie Gerhard Schröder oder sein Nachfolger im Aussenministerium Siegmar Gabriel. Seine Formulierungen mögen zeitweilig gestanzt klingen, aber sie sind im Angenehmen keine Waffen sondern Ermunterungen – Appelle an Geduld, Aufeinanderzugehen und Dialogbereitschaft.

Diese Eigenschaften kommen ihm auch im Amt des Bundespräsidenten zugute. Und eins hat er seinem Vorgänger voraus. Anders als Gauck ist Steinmeier tief verwurzelt in der politischen Klasse. Er kennt nicht nur alle wichtigen Köpfe der Innenpolitik, sondern aus seiner Zeit als Aussenminister jene auf der ganzen Welt. Auf seinen Reisen ins Ausland trifft er nun also auf viele bekannte Gesichter.

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