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Daniel Sormanni, ein hartnäckiger Einzelkämpfer in Bern

Daniel Sormanni zuhause in seiner Wohnung
Daniel Sormanni lebt seit geraumer Zeit in der Cité Vieusseux, einem beliebten Stadtteil von Genf. Thomas Kern/swissinfo.ch

Die lokale und populistische Bürger:innenbewegung Mouvement citoyens genevois entsendet von 2023 bis 2027 drei Vertreter ins Bundesparlament. Einer von ihnen ist der 73-jährige Daniel Sormanni.

Als wir Daniel Sormanni Mitte Januar in einem Café in der Nähe des Bundeshauses treffen, dreht sich das Gespräch ziemlich schnell über die Zukunft der SRG, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Schweiz, zu der auch SWI swissinfo.ch gehört.

Der neu gewählte Nationalrat des Mouvement citoyens genevois (MCG) kann sich seine Meinung zur Volksinitiative der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nicht verkneifen. Damit will die SVP die Höhe der Radio- und Fernsehgebühren von aktuell 335 auf 200 Schweizer Franken pro Jahr begrenzen.

“Man verkauft diese Lösung als eine Geste für die Kaufkraft, aber das ist ein Trugschluss”, kritisiert der Genfer. Das Gegenteil sei der Fall, so Sormanni: “Die Schweizerinnen und Schweizer müssten noch mehr aus eigener Tasche bezahlen, damit sie Sportübertragungen auf privaten Kanälen verfolgen könnten.”

Anfang Jahr aber griff Daniel Sormanni die SRG frontal an: Er reichte Klage gegen das Westschweizer Fernsehen RTS ein, nachdem der Sender entschieden hatte, einen Film mit Gérard Depardieu aus dem Programm zu streichen. Dies, weil der französische Schauspieler wegen Vergewaltigung und sexueller Übergriffe angeklagt war.

Im vergangenen Oktober zogen 56 neu gewählte Vertreterinnen und Vertreter ins nationale Parlament ein. Die Schweizerische Volkspartei, die Mitte und die Sozialdemokratische Partei haben bei den eidgenössischen Wahlen 2023 am meisten zugelegt und stellen auch die meisten Neulinge im Parlament. Die Grünen haben – als die grossen Verlierer der Wahlen – keine neuen Gesichter nach Bern schicken können.

In dieser Serie porträtiert SWI swissinfo.ch neun Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die ihre ersten Schritte in der nationalen Politik machen.

Für Daniel Sormanni kam die Streichung, die insbesondere in der Westschweiz eine heftige Polemik auslöste, einer Zensur gleich: “Es steht dem RTS nicht zu, den Menschen vorzuschreiben, was sie im Fernsehen sehen sollen”, kritisiert er.

Die “Fischer-Affäre”

Das ist der Stil von Sormanni: rachsüchtig und kompromisslos, aber nicht bereit, sich in politische Schubladen stecken zu lassen oder seine Unabhängigkeit als Parlamentarier zu verleugnen. In Genf mischt er seit fast 50 Jahren in der Politik mit, zuerst auf kommunaler, dann auf kantonaler Ebene. Mit seinen Markenzeichen, der Hartnäckigkeit und den Frontalangriffen auf die Exekutive, hat er in der Politik von Stadt und Kanton einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

“Er ist ein sehr aktiver Politiker, der nicht davor zurückschreckt, an der Kokospalme zu rütteln. Er legt grossen Wert auf die Kontrolle der Exekutive durch das Parlament und wirft oft relevante Fragen auf”, sagt Jérémy Seydoux, Chefredaktor des Genfer Lokalfernsehens Léman Bleu.

Im August 2023, zwei Monate vor den eidgenössischen Wahlen, machte Daniel Sormanni in seinem Kanton Schlagzeilen, als er gegen Fabienne Fischer, damaliges Mitglied der Genfer Kantonsregierung, Anzeige einreichte. Er beschuldigte sie, Mitarbeitende der Verwaltung zur Organisation ihrer Wahlkampagne eingesetzt zu haben. Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen und das Ex-Regierungsmitglied – sie schaffte die Wiederwal nicht – weist die Anschuldigungen zurück. 

Im Windschatten der “Lokomotive Poggia”

“Noch nie zuvor war eine solche Menge an E-Mails aus der Verwaltung auf einmal öffentlich gemacht worden. Diese Enthüllungen, die auf die Transparenzforderungen von Daniel Sormanni zurückzuführen sind, hatten in Genf enorme Auswirkungen”, sagt Jérémy Seydoux. 

Der Hauptbetroffene räumt ein, dass die “Fischer-Affäre” ihn ins Rampenlicht gerückt und sicherlich zu seiner Wahl in den Nationalrat beigetragen habe. Er ist jedoch der Ansicht, dass die Rückkehr des MCG auf die nationale Bühne vor allem der “Lokomotive Mauro Poggia”, dem sehr populären Genfer Ex-Gesundheitsminister, zu verdanken sei.

Die Dreifach-Abordnung der Mouvement – es hat einen Sitz im Ständerat und zwei im Nationalrat – stehe aber auch im Kontext der steigenden internationalen Unsicherheit. Diese hat der Gruppierung laut Sormanni auch Stimmen von der Linken und von den Grünen eingebracht.

Daniel Sormanni vor dem Bundeshaus in bern
Im Bundeshaus in Bern, genauer im Parlament, zählt Daniel Sormanni zur Fraktion der rechten SVP. Thomas Kern/swissinfo.ch

Politische Gegner:innen werfen ihm vor, dass er bereit sei, alles zu tun, um von sich reden zu machen. “Man muss ihm zugutehalten, dass er stur und hartnäckig ist. Aber er kreiert Medienskandale, um dann politisch selbst davon zu profitieren. Den Menschen in Genf haben seine Vorschläge bisher kaum etwas gebracht. Und in Bern braucht es etwas mehr als nur so vorzugehen”, sagt Delphine Klopfenstein, Genfer Nationalrätin der Grünen.

Aus einfachem Milieu stammend

Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, zeigt sich Daniel Sormanni zunächst überrascht, bevor er eine Liste seiner konkreten Erfolge vorlegt. Dazu gehört die Gründung von Fondetec, einer Stiftung der Stadt Genf, die Unternehmen in ihrer Anfangsphase unterstützen soll. “Ich habe alles selbst unternommen, einschliesslich der Ausarbeitung der Statuten der Stiftung, die ich bis 2003 geleitet habe und die heute noch aktiv ist. Aber Frau Klopfenstein kann sich sicher nicht daran erinnern”, verteidigt sich der MCG-Politiker. 

In Genf wird Daniel Sormanni auch Opportunismus vorgeworfen. Er war im ersten Teil seiner politischen Karriere Mitglied der sozialdemokratischen Partei (SP). 2011 wechselte er zum populistischen MCG, das in jenem Jahr grosse Gewinnerin der Genfer Kommunalwahlen war.

Heute wird die Protestpartei, die Eric Stauffer 2005 gegründet hatte, von den meisten Analysten und Beobachterinnen aufgrund ihrer nationalistischen und einwanderungsfeindlichen Positionen am äussersten rechten Rand des politischen Spektrums eingestuft.

Daniel Sormanni verteidigt seinen damaligen Parteiwechsel. “Nicht ich habe mich geändert, sondern die SP hat sich geändert. Sie hat die Arbeiter im Stich gelassen und setzt sich nur noch für die ‘Bobos’ (gutverdienende Menschen in den Städten, die Red.) ein.” Seine berufliche Laufbahn begann er als Automechaniker. Sormanni lebt noch heute in einer Wohngenossenschaft in der Cité Vieusseux, einem beliebten Stadtteil von Genf.

Auf die Frage, ob die Mitgliedschaft in einer Partei, die mehrfach wegen ihrer Kampagnen gegen französische Grenzgänger:innen angeprangert wurde, nicht im Widerspruch zu seiner Verteidigung der Arbeiterklasse steht, antwortet er: “Wir sind weder rassistisch noch fremdenfeindlich, wir sagen einfach ‘wir zuerst’. Die Einwohner von Genf, ob Schweizer oder Ausländer, müssen vorrangig Zugang zu Arbeitsplätzen haben.”

Smartspider Daniel Sormanni DE
Das politische Profil von Daniel Sormanni, erstellt von smartvote.ch.

Nähe zu den Gewerkschaften

Die drei gewählten Vertreter des MCG im Bundeshaus – Mauro Poggia, Roger Golay und Daniel Sormanni – sind Mitglieder der Fraktion der SVP, welche die grösste Fraktion im Parlament stellt. Mauro Poggia hätte sich lieber der Mitte-Partei angeschlossen, aber das Parlamentsgesetz verbietet es Mitgliedern einer Partei, zwei verschiedenen Fraktionen anzugehören.

“Wenn es um Souveränität, Unabhängigkeit, Neutralität oder auch Sicherheit geht, stimmen wir zu 100% mit der SVP überein”, sagt Daniel Sormanni. Bei wirtschaftlichen und sozialen Themen gibt es hingegen Differenzen. Das MCG ist im öffentlichen Dienst in Genf stark verankert und steht den Gewerkschaften nahe, wenn es um die Verteidigung der Löhne oder Renten geht. 

Daniel Sormanni, der von Beobachtern zum linken Flügel des MCG gezählt wird, sagt, dass er grossen Respekt und grosse Sympathie für Pierre-Yves Maillard habe, den Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), empfindet.

Am 3. März wird er wie dieser gegen die Rente mit 66 und für die Gewährung einer 13. AHV-Rente stimmen. “Es ist nicht normal, dass immer mehr Schweizer gezwungen sind, ins Ausland zu gehen, um von ihrer Rente anständig leben zu können”, sagt er.

Daniel Sormanni in einem Genfer Park mit Bäumen
Daniel Sormanni ist ein Politiker, der auf kommunaler und kantonaler Ebene in Genf oft von sich reden gemacht hat. Thomas Kern/swissinfo.ch

Gelingt ihm der Spagat?

Der Neugewählte ist sich bewusst, dass es für ihn in Bern viel schwieriger sein wird, seine Ideen durchzusetzen, als in Genf. Denn auch wenn er versichert, “Schritt für Schritt seine Freiheit gewinnen” zu wollen, dürfte Thomas Aeschi, Fraktionspräsident der SVP im Parlament, Sormanni bei jeder Abstimmung genau auf die Finger schauen.  

Die Tatsache, dass er Mitglied einer Mini-Partei ist, sowie das Zweikammersystem, bei dem die Mitglieder des Ständerats hinter den Kulissen überzeugt werden müssen, um einen Gesetzesentwurf durchzubringen, machen die Sache noch komplizierter. Sormanni aber will die Hände nicht in den Schoss legen. “Die Genfer Bevölkerung hat mir ihr Vertrauen geschenkt, ich will in Bern keine Statistenrolle spielen.”

Nach einer ersten Beobachtungs- und Lernphase in der Wintersession im letzten Dezember will sich Daniel Sormanni in den nächsten Monaten vorrangig für die Krankenversicherung und die Renten einsetzen, zwei Themen, die ihm am Herzen liegen.

Er will insbesondere die Krankenkassen zu mehr finanzieller Transparenz zwingen und das AHV-Reglement ändern, um zu verhindern, dass Personen, die während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn Beiträge gezahlt haben, im Alter mit einer gekürzten Rente dastehen.

Wiederkehrendes Thema: Transparenz 

Seine erste Wortmeldung hebt er sich jedoch für die Fragestunde an die Regierung in der Frühjahrssession auf, die am 26. Februar beginnt.

Er will dabei Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider nach dem Preis fragen, den die Schweiz für die 61 Millionen Dosen Covid-Impfstoff bezahlt hat, die der Bund während der Pandemie gekauft hatte. Den Betrag wollten die Behörden trotz der Aufforderung des eidgenössischen Transparenzbeauftragten bisher nicht offenlegen.

“Ich bin kein Impfgegner, aber diese Undurchsichtigkeit schürt das Misstrauen der Bürger gegenüber den Behörden und das Gefühl, dass alle korrupt sind”, sagte er. Je nach Antwort der Bundesrätin will der Neugewählte die politischen und rechtlichen Möglichkeiten prüfen, damit diese Informationen publik werden.

In einem Alter, in dem viele seiner Altersgenoss:innen eine Donaukreuzfahrt machen oder sich um die Enkelkinder kümmern, will Daniel Sormanni so manchem Mitglied des Bundesrats das Leben schwer machen. “Zählen Sie nicht darauf, dass ich aufhöre, jene Fragen zu stellen, die unangenehm sind”, warnt er.

Editiert von Pauline Turuban. Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi

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